Forschungsbericht 2012 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik, Teilinstitut Hannover

Gravitationswellenastronomie: Ein Blick auf die dunkle Seite des Universums

Autoren
Lück, Harald
Abteilungen
Laserinterferometrie und Gravitationswellenastronomie
Zusammenfassung
Vor etwa zwei Jahrzehnten wurde mit dem Bau von kilometergroßen Gravitationswellendetektoren begonnen. Seither konnte die Empfindlichkeit stetig gesteigert werden und mit dem jetzigen Ausbau zur zweiten Generation wird in einigen Jahren die erstmalige direkte Detektion und damit auch die Analyse einiger astrophysikalischer Prozesse durch Gravitationswellen erwartet. Routinemäßige Beobachtungen werden jedoch erst mit der darauffolgenden dritten Generation, wie dem Einstein Telescope, einem in europäischer Zusammenarbeit konzipierten, unterirdischen Gravitationswellenobservatorium, möglich sein.

Im Jahre 2015 werden die Physiker das hundertjährige Jubiläum der Allgemeinen Relativitätstheorie feiern. Alle Vorhersagen von Einsteins Theorie konnten bisher experimentell bestätigt werden – bis auf eine: die Eigenschaft von Gravitationswellen, messbare Längen zu ändern. Gravitationswellen entstehen, wenn sich sehr große Massen – wie z. B. Sterne oder schwarze Löcher – beschleunigt bewegen. Es handelt sich dabei nicht um elektromagnetische Strahlung, sondern um Wellen in der Raumzeit selbst, die sich mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegen.

Gravitationswellen sollen Aufschluss über die bislang dunkle Seite des Universums geben, denn mit der bekannten, auf elektromagnetischer Strahlung beruhenden Astronomie sind nur etwa 5% des Universums sichtbar. Der Rest sind Dunkle Materie, die sich nur durch ihre Schwerkraft bemerkbar macht, und Dunkle Energie. Der indirekte Nachweis von Gravitationswellen wurde von den Astronomen Hulse und Taylor [1] erbracht und 1993 mit der Verleihung des Nobelpreises anerkannt. Sie beobachteten eine exakte Übereinstimmung des durch Gravitationswellenabstrahlung verursachten Energieverlustes des kompakten Doppelsternsystems PSR1913+16 mit den Vorhersagen der Allgemeinen Relativitätstheorie (Abb. 1).

Gravitationswellendetektoren: die erste Generation

Obwohl Gravitationswellen enorme Energien mit sich führen, sind die von ihnen verursachten, auf der Erde messbaren Längenänderungen winzig klein. Beim Verschmelzen eines Neutronensternpaares im Zentrum der Milchstraße z. B. würde die Leistung der die Erde erreichenden Gravitationswellen mehr als tausendmal höher sein als die von der Sonne eingestrahlte Leistung und doch würde die dadurch verursachte relative Längenänderung nur 10-18 betragen [2]. Das bedeutet, dass sich eine 1 km lange Messstrecke um 10-15 m – oder auch um ein Hunderttausendstel eines Wasserstoffatomdurchmessers – verlängern oder verkürzen würde.

Die Suche nach Gravitationswellen wird nun schon seit einigen Jahrzehnten von einer stetig wachsenden Gemeinde von Wissenschaftlern vorangetrieben. 1994 begann das Max-Planck-Institut für Quantenoptik zusammen mit dem heutigen Institut für Gravitationsphysik der Leibniz Universität Hannover und mehreren britischen Universitäten den Bau des Gravitationswellendetektors GEO600 etwa 20 km südlich von Hannover. Seit 2001 betreibt das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik (Albert-Einstein-Institut, AEI) die Anlage. Es handelt sich dabei um ein Michelsoninterferometer mit einer Armlänge von 600 m.

Bei GEO600 erzeugt ein Lasersystem Licht mit einer Wellenlänge von 1064 Nanometern. Ein halbdurchlässiger Spiegel teilt den Laserstrahl in zwei Strahlen auf, die im rechten Winkel weiterlaufen (Abb. 2). Am Ende einer jeden 600 Meter langen Laufstrecke hängt ein Spiegel (S1 und S2), der das Licht auf einen weiteren Spiegel (S3 und S4) in der Nähe des Strahlteilers (ST) wirft. Durch diesen Kniff wird die Laufstrecke des Lichts annähernd verdoppelt. Von den Spiegeln S3 und S4 laufen die Laserstrahlen über die Endspiegel wieder zum halbdurchlässigen Strahlteiler zurück. Dieser lenkt die Strahlen nun so um, dass sie sich überlagern, also interferieren. Die auf einer Fotodiode ankommenden Lichtwellen schwingen jedoch nicht im Gleich-, sondern nahezu im Gegentakt: ein Wellenberg trifft auf ein Wellental, die Lichtwellen löschen sich also gegenseitig fast aus. Stört eine Gravitationswelle das System und verändert somit die Messstrecken, passt die Auslöschung nicht mehr ganz und die Helligkeit ändert sich. Der Photodetektor sieht ein Signal.

Wie auch die anderen großen interferometrischen Gravitationswellendetektoren LIGO und Virgo erreicht GEO600 heute Empfindlichkeiten, die schon durch Störungen auf subnuklearen Längenskalen beeinträchtigt werden können. So kann GEO600 z. B. bei einer Messzeit von einer Sekunde Spiegelvibrationen nachweisen, die nur einem Hundertstel Prozent eines Protondurchmessers entsprechen. Und doch reicht die Empfindlichkeit für eine Detektion heute noch nicht aus. In jahrelangen gemeinsamen Datenläufen der weltweit existierenden Detektoren wurden einige Petabyte Daten aufgenommen und analysiert, aber es konnte bisher noch keine Gravitationswelle beobachtet werden. Die dafür notwendigen astrophysikalischen Ereignisse sind in dem beobachteten Himmelsvolumen einfach zu selten. Eine Supernova z. B. kommt in der Milchstraße etwa alle 50 Jahre vor. Das Verschmelzen von Neutronensternenpaaren oder schwarzen Löchern ist noch seltener, sodass auch deren größere Signalstärke und damit die größere Reichweite der Detektoren für solche Signale noch keinen Erfolg brachte.

Die zweite Detektorengeneration ist im Bau

Dies soll sich mit der nächsten, jetzt im Bau befindlichen Detektorgeneration (advanced LIGO und advanced Virgo, GEO-HF) ändern, die eine zehnfach bessere Empfindlichkeit verspricht als bisher. Das Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik ist an diesem Fortschritt durch den Einbau neuartiger Technologien am eigenen Detektor GEO600 und durch das Bereitstellen vom Hochleistungslasersystem für die advanced LIGO-Detektoren beteiligt.

Die von der Gravitationswelle verursachte Längenänderung wird umgekehrt proportional mit dem Abstand zur Quelle kleiner, sodass man mit einer zehnfach besseren Empfindlichkeit zehnmal weiter entfernte Ereignisse aufspüren kann. Mit einem zehnfachen Radius wird aber das eingeschlossene Volumen tausendmal größer. Damit gilt eine Detektion von Gravitationswellen mit der nächsten Detektorgeneration innerhalb einer Messzeit von einem Jahr trotz einer recht großen Unsicherheit über die Häufigkeit der Quellen als praktisch sicher. Der Ausbau macht bei allen Detektoren weltweit große Fortschritte: Voraussichtlich sollen sie im Jahr 2015 in Betrieb genommen werden.

Gravitationswellenastronomie mit dem Einstein Telescope

Die direkte Messung von Gravitationswellen ist jedoch erst der erste Schritt auf dem Weg zur Gravitationswellenastronomie. Einige wenige der detektierten Ereignisse der „advanced“ Detektoren werden ein genügend gutes Signal-zu-Rausch-Verhältnis haben, sodass daraus physikalische Parameter der Quellen abgeleitet werden können. Dann weiß man, woher das Signal kommt, um welche Art von Quelle (schwarzes Loch, Supernova o.ä.) es sich handelt und wie sie beschaffen ist. Solche Ereignisse werden allerdings selten vorkommen, sodass mit dieser zweiten Generation von Gravitationswellendetektoren keine routinemäßige Gravitationswellenastronomie betrieben werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen, muss die Empfindlichkeit der Instrumente noch weiter gesteigert werden. Für einige wissenschaftliche Fragestellungen, wie etwa nach der Ausdehnung des Universums oder der Evolution leichter schwarzer Löcher zu supermassiven schwarzen Löchern mit Millionen Sonnenmassen, ist eine Erweiterung des beobachtbaren Frequenzbereiches zu niedrigen Frequenzen notwendig. Diese Ziele können mit dem Bau des Einstein Telescopes realisiert werden. Dieses Gravitationswellenobservatorium soll eine Infrastruktur über viele Jahrzehnte zur Verfügung stellen, in der höchstempfindliche Gravitationswellendetektoren installiert und betrieben werden. In einer von der EU finanzierten, europaweiten Studie wurde in den Jahren 2008 bis 2011 unter Leitung von EGO (European Gravitational Observatory) und dem Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik ein entsprechendes Konzept entwickelt [3].

Die Studie sieht vor, das Einstein Telescope (kurz ET genannt) unterirdisch in einer Tiefe von ca. 200 m zu bauen. Es wird eine dreieckförmige Anordnung vorgeschlagen, bei der große Höhlen an den Endpunkten durch jeweils zehn km lange Tunnel miteinander verbunden werden (Abb. 3). In den Tunneln verlaufen Vakuumrohre, durch die Laserstrahlen mit einer Leistung von bis zu 3 MW geschickt werden. Die Spiegel an den Enden dieser Rohre haben ein Gewicht von ca. 200 kg und werden in bis zu 20 m hohen Vakuumbehältern an langen Vielfachpendeln aufgehängt, um von Bodenbewegungen isoliert ruhig positioniert werden zu können (Abb. 4).

Das gesamte Observatorium wird aus drei Detektoren in symmetrischer Anordnung bestehen. Jeder Detektor besteht aus zwei Interferometern, bei denen eines für den niederfrequenten (ca. 2–100 Hz) und das andere für den hochfrequenten Bereich (50–10.000 Hz) zuständig ist. Für die Optiken des niederfrequenten Interferometers wird Silizium als Material vorgeschlagen, welches auf eine Temperatur von 10 K gekühlt wird, um thermisch angeregte Spiegelvibrationen zu minimieren.

Bis zum Baubeginn, der gegen Ende der Dekade vorgesehen ist, werden Detailfragen in gezielten Forschungsprojekten von Mitarbeitern der beteiligten Institute in ganz Europa bearbeitet. Bis dahin, so sind sich die Gravitationswellenforscher sicher, werden mit der zweiten Generation zahlreiche Gravitationswellen detektiert sein. Mit dem Einstein Telescope – dem Beginn des Zeitalters der Gravitationswellenastronomie – kann man noch die Gravitationswellen von der Kollision zweier schwarzer Löcher in unvorstellbaren Entfernungen am Rand des sichtbaren Weltalls beobachten, welche zu Zeiten entstanden, als das gesamte Universum nur 1/10.000 des heutigen Volumens hatte.

Literaturhinweise

Taylor, J. H.; Fowler, L. A.; McCulloch, P. M.
Measurements of general relativistic effects in the binary pulsar PSR1913+16
Nature 277, 437-440 (1979)
Ruffert, M.; Janka, H.-Th.; Schaefer, G.
Coalescing neutron stars - a step towards physical models. I. Hydrodynamic evolution and gravitational-wave emission
Astronomy and Astrophysics 311, 532-566 (1996)
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