Widerstand schlägt Wellen
Das Verständnis, unter welchen Bedingungen Supraleitung entsteht und wie sie sich bei praxistauglichen Temperaturen realisieren lässt, wächst
Auch die Physik kann Hinweise zum Energiesparen geben. Eine internationale Kollaboration im Rahmen des Zentrums für Quantenmaterialien, das die Max Planck Gesellschaft gemeinsam mit der University of British Columbia (Kanada) betreibt, kann Materialwissenschaftlern nun Tipps für die Entwicklung von Hochtemperatur-Supraleitern geben, damit diese den Namen auch verdienen. Derzeit firmieren unter diesem Titel etwa keramische Kuprate, die ihren elektrischen Widerstand zwar bei deutlich höheren Temperaturen verlieren als konventionelle Supraleiter, aber immer noch weit unter dem Gefrierpunkt von Wasser. Die Physiker haben nun in zwei komplementären Arbeiten festgestellt, dass die Supraleitung in Kupraten bei höchstens minus 135 Grad Celsius zusammenbricht, weil sich darin Ladungsdichtewellen ausbilden. Diese periodischen Schwankungen in der Verteilung der elektrischen Ladungen zerstören die Supraleitung. Um Supraleiter zu finden, die bei praxistauglichen Temperaturen ihren Widerstand aufgeben, müssen Materialwissenschaftler daher nach Substanzen suchen, in denen die Ladungsdichtewellen nicht auftreten.
Knapp zwei Prozent der elektrischen Energie, die Kraftwerke produzieren, geht im Stromnetz verloren. Das entspricht alleine in Deutschland der Strommenge, die ein mittelgroßes Kohlekraftwerk liefert. Und die Verluste dürften noch steigen, wenn Strom künftig etwa von großen offshore-Windparks auch in den Süden der Republik transportiert wird. Supraleiter könnten da Abhilfe schaffen – wenn sie Strom auch noch bei sommerlichen Temperaturen ohne Verluste zum Verbraucher brächten. Um systematisch nach solchen Materialien suchen zu können, müssen sich Physiker aber erst ein genaues Bild verschaffen, warum die derzeit besten Supraleiter überhaupt ihren Widerstand verlieren und wie sich die Temperatur, bei der das geschieht, nach oben schrauben lässt – ein Puzzle, an dem Forscher seit rund 30 Jahren tüfteln. Doch allmählich werden die Konturen erkennbar. Nun fügt eine internationale Kollaboration, in der neben dem Max-Planck-Institut für Festkörperforschung die Universitäten Princeton und British Columbia sowie das Helmholtz-Zentrum Berlin für Materialien und Energie tragende Rollen spielen, mit zwei Arbeiten weitere Puzzlesteine in das Bild ein.
„Wir haben in Kupraten oberhalb der Temperaturen, bei denen sie supraleitend werden, Ladungsdichtewellen gefunden“, sagt Bernhard Keimer. „Diese werden wie die Supraleitung von den starken Wechselwirkungen zwischen den Elektronen verursacht.“ Der Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart war an einer der beiden Arbeiten direkt und an der anderen beratend beteiligt.
Im Wettstreit der Zustände entscheidet eine Nasenlänge
Dass Elektronen stark miteinander wechselwirken, ist eine Voraussetzung, damit Supraleitung überhaupt entstehen kann – das wissen Physiker schon lange. Denn die Kräfte – nach dem derzeitigen Forschungsstand handelt es sich um magnetische Kräfte – schweißen je zwei Elektronen zu Cooperpaaren zusammen, die ungebremst durch das Kristallgitter sausen. Schon lange wissen die Forscher auch, dass die starken Wechselwirkungen noch andere elektronische Phänomene hervorrufen können: Magnetismus etwa oder eben die Ladungsdichtewellen, die sich mit der Supraleitung überhaupt nicht vertragen.
„Diese verschiedenen Zustände konkurrieren in den Materialien miteinander“, erklärt Keimer. „Welcher sich durchsetzt, entscheidet sich oft nur durch eine Nasenlänge Vorsprung.“ Das heißt, ob ein Material supraleitend ist oder nicht, hängt ausgesprochen empfindlich davon ab, aus welchen Elementen es besteht und welche Struktur es bildet. Nicht zuletzt mischt dabei aber auch der Zufall mit. Auch dank der aktuellen Arbeiten bekommen die Physiker jedoch ein immer besseres Gefühl dafür, unter welchen Umständen Supraleitung auftritt. „Wir kommen also dem Ziel näher, diesen Zustand vorhersagen zu können und somit Materialien zu entwickeln, die schon bei hohen Temperaturen supraleitend werden“, sagt der Physiker.
Zum besseren Verständnis der Supraleitung trägt die Kollaboration nun mit Experimenten an zwei Materialien bei, die neben Kupferoxid als charakteristische Komponente Bismuth enthalten und entsprechend der verschiedenen Anteile der Elemente Bi2201 und Bi2212 genannt werden. Jeweils eine einzige Probe des Materials untersuchten die Forscher mit verschiedenen Methoden: Beide Materialien durchleuchteten die Stuttgarter Max-Planck-Forscher mit resonanter Röntgenstreuung, und zwar in Zusammenarbeit mit einer Arbeitsgruppe des Helmholtz-Zentrums Berlin am dortigen Synchrotron BESSY. Diese Experimente enthüllten Details über die Ladungsverteilung im Inneren der Materialien. Anschließend reiste einer der beteiligten Wissenschaftler mit dem luftdicht verschlossenen Material im Koffer zur Princeton-University. Dort tasteten die Projektpartner die Probe mit einem Rastertunnel-Mikroskop ab, das die Ladungsverteilung an der Oberfläche erfasst. Die Bi2201-Probe untersuchten Physiker der University of British Columbia zudem mit der winkelaufgelösten Photoelektronen-Spektroskopie, die weitere Einzelheiten der elektronischen Struktur an der Oberfläche des Materials offenlegt.
Ladungsdichtewellen treten in allen Kuprat-Supraleitern auf
Mithilfe der sich ergänzenden Untersuchungen wiesen die Forscher für beide Proben nach, dass die Ladungswellen in verschiedenen bismuthhaltigen Kupraten auftreten, und zwar im gesamten Material und nicht etwa nur an der Oberfläche. „Da wir die Ladungsdichtewellen vorher schon an einem anderen Kuprat-Supraleiter gefunden haben, können wir davon ausgehen, dass sie in allen Kuprat-Supraleitern auftreten und die Supraleitung zestören“, sagt Bernhard Keimer.
Mit einer der beiden Arbeiten vervollständigten die Wissenschaftler das Puzzle der Hochtemperatur-Supraleitung aber noch an anderer Stelle. Sie können nämlich Auffälligkeiten in der Bandstruktur dieser Materialien erklären. Die Bandstruktur ist eine Art Masterplan des elektronischen Verhaltens von Materialien. Aus ihr kann man etwa ablesen, ob es sich um einen metallischen Leiter, einen Isolator oder einen Halbleiter handelt. Sie gibt nämlich wieder, ob Elektronen fest gebunden sind, ob sie sich frei durch das Material bewegen können oder ob sie mit einem Energieschub eine Bandlücke überwinden müssen, um freie Beweglichkeit zu erlangen.
Das Ziel: eine genaue Kontrolle der starken elektronischen Kräfte
Bei Supraleitern treten in der Bandstruktur Pseudolücken auf. Sie heißen so, weil die Lücken anders als in einem Isolator nicht vollständig sind und für Elektronen bestimmter Geschwindigkeiten überhaupt nicht existieren. Für viele Elektronen bedeutet die Pseudolücke jedoch, dass die Ladungsträger sich nicht mehr ungehindert durch das Material bewegen können. „Wir haben jetzt festgestellt, dass die Ursache der Pseudolücke in den Ladungsdichtewellen liegt“, sagt Bernhard Keimer. Das lässt sich auch gut nachvollziehen: Wenn die Elektronen eine feste Ordnung einnehmen, verlieren sie ihre Beweglichkeit. „Letztlich lassen sich Pseudolücken also auch auf die starken Wechselwirkungen der Elektronen zurückführen“, so Keimer.
In Zukunft wird es also darum gehen, die starken Wechselwirkungen der Elektronen exakt kontrollieren zu können. Nur dann können Physiker und Materialwissenschaftler die Kräfte so kanalisieren, dass diese auch bei normaler Umgebungstemperatur zum Kitt der Cooperpaare werden und nicht etwa Ladungsdichtewellen erzeugen. „Wenn wir das schaffen, können wir einen wichtigen Beitrag für die Energieversorgung der Zukunft leisten“, sagt Bernhard Keimer.
PH