Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Erste Grenzwerte für die Gravitationswellen von rotierenden Neutronensternen - Analysen der ersten wissenschaftlichen Datenaufnahme von GEO600
Astrophysikalische Relativitätstheorie (Prof. Dr. Bernard Schutz)
MPI für Gravitationsphysik, Golm
Anfang 1916 stellte Albert Einstein nach langer Entwicklungszeit seine Theorie der allgemeinen Relativität (ART) vor, die sich im Gegensatz zur Quantentheorie mit der Physik großer Objekte und der Gravitation beschäftigt. Aus dieser Theorie ergaben sich einige interessante Vorhersagen, von denen die meisten inzwischen überprüft und bestätigt worden sind. So ist zum Beispiel die Periheldrehung des Planeten Merkur schlüssig erklärt worden: Die klassische Theorie der Schwerkraft würde ohne die Berücksichtigung anderer Planeten erwarten, dass sich der Merkur auf einer immer gleichen Ellipsenbahn um die Sonne bewegt. Nimmt man den Einfluss der äußeren Planeten hinzu, so erwartet man, dass sich der Punkt der größten Sonnennähe bei jedem Umlauf verschiebt. Diese Verschiebung von etwa 5600 Bogensekunden/Jahrhundert - eine Bogensekunde ist der 3600ste Teil eines Winkelgrades - wurde gemessen, allerdings ergab sich eine Differenz zwischen dem erwarteten Wert und der Messung von etwa 43 Bogensekunden pro Jahrhundert. Dieser winzige Unterschied konnte erst mithilfe von Einsteins Theorie erklärt werden.
Neben anderen Vorhersagen, wie etwa der Lichtbeugung, die durch Sir Arthur Eddington 1919 anlässlich einer Sonnenfinsternis bestätigt wurde, sagt die Theorie die Existenz von Gravitationswellen voraus. Während in der Newtonschen Gravitationstheorie die Veränderungen der Schwerkraft in einem Sternensystem ohne Zeitverzögerung überall zu messen wären, breiten sich diese "Signale" nach der ART nur noch mit Lichtgeschwindigkeit aus.
Wie entstehen Gravitationswellen?
Im Prinzip entstehen Gravitationswellen jedes Mal, wenn sich eine Masse relativ zu einer anderen Masse bewegt. Da sie aber nur sehr schwach mit Materie wechselwirken, braucht es schon extrem massereiche und sich schnell bewegende Objekte, um Gravitationswellen zu erzeugen, die stark genug sind, dass wir sie auf der Erde messen können.
Zu den möglichen Quellen, nach denen die Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik suchen, zählen einander umkreisende und kollidierende Neutronensterne und Schwarze Löcher, schnell rotierende, asymmetrische Neutronensterne und Supernovae. Die Arbeitsgruppen "Astrophysikalische Relativitätstheorie" und "Laserinterferometrie und Gravitationswellen-Astronomie" (Teilinstitut Hannover) forschen zusammen mit ihren internationalen Partnern in diesen Bereichen.
Ein Teil der Arbeitsgruppe "Astrophysikalische Relativitätstheorie" arbeitet am Problem der numerischen Lösung der Einsteinschen Feldgleichungen, insbesondere an der Vorhersage, wie die Stärke der Gravitationswellen bei einer Kollision zweier Schwarzer Löcher variiert [1]. Diese Informationen sind bei der Auswertung der Daten von entscheidender Bedeutung, die vom Gravitationswellendetektor GEO600 aufgenommen werden, da nur eine präzise Vorhersage der Ereignisse ein erfolgreiches Auffinden der schwachen Signale ermöglicht.
Testläufe am Gravitationswellendetektor
GEO600 ist ein großes Interferometer südlich von Hannover, das in enger Kooperation zwischen den Max-Planck-Instituten für Gravitationsphysik und Quantenoptik und den Universitäten Hannover, Cardiff (Wales) und Glasgow (Schottland) gebaut worden ist und betrieben wird [2]. In den beiden 600 m langen Interferometerarmen wird ein Laserstrahl durch ein Vakuum geschickt, um minimale Längenänderungen zwischen den Endspiegeln und dem Zentralgebäude feststellen zu können. Da selbst eine Supernovaexplosion innerhalb unserer Milchstraße diese Messstrecke maximal um ein Tausendstel eines Atomkerndurchmessers schwingen ließe, kann man erahnen, dass es sehr wichtig ist, sämtliche Störquellen soweit wie möglich zu eliminieren. Diese Arbeiten gehen seit der Grundsteinlegung 1995 sehr gut voran, sodass im Jahr 2002 der erste wissenschaftliche Testlauf stattfinden konnte. Nach dem Einbau der endgültigen Optiken gab es dann Ende 2003 einen weiteren, sehr erfolgreichen Testlauf.
Wie glatt ist ein Neutronenstern?
Gemeinsam mit weiteren Kooperationspartnern innerhalb der LIGO Scientific Collaboration - ein weltweiter Zusammenschluss von etwa 450 Wissenschaftlern [3] - arbeitet ein anderer Teil der Arbeitsgruppe "Astrophysikalische Relativitätstheorie" an der Datenanalyse von GEO600 [4]. In den letzten Jahren hat diese Gruppe Verfahren ausgearbeitet und in Computerprogramme umgesetzt, die die großen Datenmengen von GEO600 auf kontinuierliche Quellen hin untersucht. Zu diesen Quellen zählen beispielsweise schnell rotierende Neutronensterne - also extrem kompakte Objekte mit einer ähnlichen Masse wie unsere Sonne, allerdings in eine Kugel mit einem Durchmesser von nur 20-30 km komprimiert. Diese Objekte sind als Pulsare schon seit langem durch radioastronomische Untersuchungen bekannt und recht gut verstanden. Normalerweise sind Neutronensterne ideal rund beziehungsweise am Äquator infolge der hohen Rotationsfrequenz von einigen Hundert Umdrehungen pro Sekunde "ausgebeult". Trotzdem zählen sie wahrscheinlich zu den glattesten Körpern des Universums. Neue Untersuchungen [5] haben gezeigt, dass ihre höchsten "Berge" gerade einmal Höhen von wenigen Millimetern erreichen können, ohne dass sie unter ihrem Eigengewicht zusammenbrechen. Gerade diese Unebenheiten sind es aber, die durch ihre Asymmetrie Gravitationswellen erzeugen können.
Solche Signale sind extrem schwach. Trotz des hohen technischen Aufwands, der am Detektor betrieben wird, verschwinden sie im Rauschen. Um sie dennoch aufzuspüren, wurden spezielle mathematische Methoden - Algorithmen - entwickelt und optimiert. Eine weitere Schwierigkeit besteht darin die Daten so zu modifizieren, dass man gewissermaßen in bestimmte Himmelsrichtungen schauen kann. Während ein optisches Teleskop ebenso wie ein Radioteleskop auf das zu beobachtende Objekt ausgerichtet werden muss, nimmt ein Gravitationswellendetektor immer Signale aus allen Richtungen gleichzeitig auf.
Bei einem Signal, das nur sehr kurz und kräftig ist, kann man daher mit nur einem Detektor nicht entscheiden, aus welcher Richtung das Signal kam. Mithilfe von mindestens zwei weiteren Detektoren, beispielsweise den beiden LIGO-Detektoren in den USA [6], kann es jedoch gelingen, die Richtung, aus der dieses Signal kam, zu bestimmen.
Lang anhaltende, periodische Signale, nach denen die Wissenschaftler des Albert-Einstein-Instituts suchen, versucht man mit einer anderen Methode zu entdecken. Ein solche Quelle wäre ein Pulsar, der relativ zu unserem Sonnensystem praktisch unbeweglich am Himmel steht. Da sich der Detektor auf der Erdoberfläche befindet und sich die Erde einmal in 24 Stunden um sich selbst dreht, bewegt sich der Detektor relativ zum Neutronenstern. Durch diese Bewegung ergibt sich eine Frequenzverschiebung des Signals (Doppler-Effekt); jedes Mal, wenn sich der Detektor auf den Stern zu bewegt erhöht sich scheinbar dessen Sendefrequenz, bewegt er sich von dem Stern fort, erniedrigt sich die Frequenz. Dieser Effekt ist analog zur Tonveränderung, wenn ein Polizeiauto mit eingeschalteter Sirene vorbeifährt.
Die Rotation der Erde ist nicht die einzige Bewegung des Detektors. Da sich die Erde und der Mond gegenseitig umkreisen und die Erde sich um die Sonne bewegt, ergibt sich für jede Himmelsrichtung im Laufe eines Jahres eine spezifische "Korrekturvorschrift" für ein Signal, welches aus dieser Richtung kommen könnte. Dadurch kann man das gemessene Signal für eine bestimmte Himmelsrichtung "optimieren" und dann mittels einer Frequenzanalyse gezielt danach suchen.
Billiarden von Parameterkombinationen
Durch den langen Beobachtungszeitraum wirkt sich allerdings ein weiterer Effekt der Pulsare aus: Sie verlieren kontinuierlich Energie durch Abstrahlen von Gravitations- und elektromagnetischen Wellen, wodurch sich die Rotationsfrequenz verringert. Wenn diese Verlangsamungsrate unbekannt ist, man ohne eine richtige Korrektur ein solches Signal aber nicht finden würde, muss man verschiedene Annahmen machen und auf ihre Richtigkeit testen. Da man natürlich nicht alle Kombinationsmöglichkeiten der Positionen und der Verlangsamung berücksichtigen kann, versucht man mit einer Kombination der Werte auch möglichst viele Signale zu erfassen, die in der Nachbarschaft der gewählten Kombination liegen. Dadurch verringert sich zwar die Nachweisempfindlichkeit, eine erfolgreiche Suche wird damit aber überhaupt erst ermöglicht. Die Tabelle in Abbildung 2 (entnommen aus [7]) zeigt vereinfacht, wie viele Parameterkombinationen probiert werden müssen, um rotierende Neutronensterne finden zu können (Daten aus einer viermonatigen Datenaufnahme vorausgesetzt). Für einige Pulsare ist die Verlangsamungsrate durch radioastronomische Messungen bekannt, so dass nach diesen gesondert gesucht werden kann.
Mit den derzeit zur Verfügung stehenden Computerkapazitäten ist es nur möglich, nach Signalen alter Neutronensterne mit bekannter Position zu suchen. Die Suche nach jungen, gerade entstandenen Pulsaren ist selbst bei bekannter Position utopisch. Daher wird die Suche nach unbekannten, alten Pulsaren hauptsächlich in der Ebene der Milchstraße, der Galaxie zu der auch die Erde gehört, durchgeführt werden.
Allerdings verdeutlichen diese Zahlen nur die Bedürfnisse bei der Benutzung einer so genannten kohärenten - also zusammenhängenden - Analyse. Ein Schwerpunkt der Arbeit in den letzten Jahren war die Entwicklung einer Kombination von kohärenten und inkohärenten Methoden (der so genannten Hough-Transformation). Dadurch lassen sich die genannten Zahlen für die notwendigen Parameterkombinationen signifikant nach unten korrigieren und zumindest die Suche nach Pulsaren in der Milchstraßenebene wird möglich.
Zum Zweck der Datenanalyse wurde Anfang 2003 der Computercluster MERLIN eingeweiht, der mit seinen inzwischen 180 Dual-CPU-Knoten die Hauptlast der Suche nach Neutronensternen tragen wird. Erste Rechenläufe mit den Daten aus dem wissenschaftlichen Test (S1) wurden vor kurzem veröffentlicht [8]. In dieser Veröffentlichung wurde mit den drei LIGO-Detektoren und dem GEO600-Detektor eine obere Grenze von 1,4x10-22 gefunden. Das heißt, wenn der Pulsar PSR J1939+2134 stärker als dieser Wert strahlen würde, hätte man ihn detektieren können. Eine weitere Schlussfolgerung aus dem gefundenen Wert ist die maximal mögliche Elliptizität von 2,9x10-4 (1045 gcm2/Izz), wobei Izz das Trägheitsmoment des Pulsars bezüglich der Rotationsachse ist.
Anhand von Abbildung 3 erkennt man, dass selbst im Idealfall nur sehr wenige Pulsare überhaupt stark genug Gravitationswellen abstrahlen, um für GEO600 oder einer der anderen LSC-Detektoren nachweisbar zu sein. Erst die nachfolgenden, verbesserten Detektoren werden wesentlich mehr Pulsare entdecken können.
Obwohl man selbst bei der endgültigen Empfindlichkeit von GEO600 überhaupt nur ein oder zwei Pulsare wird finden können, ist es dennoch sehr wichtig, Daten aufzunehmen und zu analysieren. Mit diesen Daten kann man, ohne ein Signal gefunden zu haben, eine obere Grenze berechnen, oberhalb dessen man einen Pulsar sehr wahrscheinlich gefunden hätte. Je empfindlicher nun das Instrument wird und je länger man Daten aufnimmt, um so niedriger wird diese Grenze - bis man das tatsächliche Signal findet.
Ende 2003 lief GEO600 erstmals mit der endgültigen optischen Konfiguration, die eine stark verbesserte Empfindlichkeit erbrachte; weitere wissenschaftliche Datenaufnahmen in 2003 und 2004 werden verbesserte Grenzwerte für bekannte Pulsare bringen.