Forschungsbericht 2003 - Max-Planck-Institut für Mathematik
Nichtkommutative Geometrie und Zahlentheorie
Noncommutative geometry and number theory
Was die Theorie besonders interessant macht, ist die Tatsache, dass solche quantisierten Räume in vielen verschiedenen Zusammenhängen auftreten. Man trifft direkt auf Beispiele solcher Räume, wenn man Äquivalenzrelationen betrachtet, die so grob sind, dass sie die meisten Punkte des Raumes zu einer Klasse zusammenfassen. Trotzdem möchte man bei dieser Klasseneinteilung noch genügend viel Information über den Raum beibehalten, um interessante Geometrie darauf zu betreiben. In solchen Fällen liefert die nichtkommutative Geometrie eine Art "Quantenwolke'' um den klassischen Raum herum, welche die wesentliche geometrische Information erhält, selbst wenn der zugrundeliegende klassische Raum extrem ausgeartet ist. Auf diese "Quantenaura'' können nun alle ausgefeilten Werkzeuge der Geometrie und Analysis angewendet werden - allerdings erst nach entsprechender Anpassung. In letzter Zeit wurde zunehmend deutlich, dass die Werkzeuge der nichtkommutativen Geometrie neue und wichtige Anwendungen liefern können, insbesondere im Bereich der Zahlentheorie. Letztere ist ein völlig anders gearteter Zweig der reinen Mathematik, mit einer sehr langen und ruhmreichen Geschichte. Die Verbindung zwischen den beiden Gebieten ergab sich vor allem aus einem neuen Zugang von Connes zur Riemannschen Vermutung (diese ist gegenwärtig das vielleicht berühmteste ungelöste Problem der Mathematik). Der erste Hinweis auf eine solche Verbindung zwischen nichtkommutativer Geometrieund Zahlentheorie war bereits früher aufgetaucht, als Bost und Connes einen sehr interessantennichtkommutativen Raum mit bemerkenswerten arithmetischen Eigenschaften entdeckten. Das durch diesen Raum beschriebene physikalische System besteht aus quantisiertenoptischen Phasen, die mithilfe unterschiedlicher Skalierungen diskretisiert werden. Diese Skalierungen entsprechen im wesentlichen den so genannten "Phasoren'' (Zeigern), die auch bei der Modellierung von Quantencomputern benutzt werden. Ein Mechanismus, der die Verträglichkeit von Skalenwechseln kontrolliert, teilt die Phasoren vermöge einer Art Renormalisierungsprozedur in verschiedene Klassen ein (Abb. 1). Auf diese Weise liefert die Verträglichkeitsbedingung eine äquivalenzrelation, die die Menge der Aquivalenzklassen zu einem nichtkommutativen Raum macht .
Das auf diese Weise erhaltene System hat eine intrinsische Dynamik, die beschreibt, wie es sich mit der Zeit ändert, und man kann entsprechende thermodynamische Gleichgewichtszustände bei veschiedenen Temperaturen betrachten. Oberhalb einer gewissen kritischen Temperatur ist die Phasenverteilung im wesentlichen chaotisch, und es gibt einen einzigen Gleichgewichtszustand. Bei der so genannten kritischen Temperatur erfährt das Sytem eine Phasenverschiebung mit spontaner Symmetriebrechung, und unterhalb der kritischen Temperatur weist das System viele verschiedene Gleichgewichtszustände auf, die durch arithmetische Bedingungen parametrisiert werden können. Es ist besonders interessant zu untersuchen, was bei der "Null-Temperatur'' (dem absoluten Nullpunkt) passiert. Die arithmetische Struktur, die die Operation der Symmetriegruppe der extremalen Grundzustände beschreibt, war schon Gauss wohlbekannt: er benutzte (im Alter von 17 Jahren) genau dieselbe Struktur, um das folgende berühmte geometrische Problem zu lösen: Welche regelmässigen Polygone (Abb. 2) können allein mit Zirkel und Lineal konstruiert werden ?
Das entscheidende Strukturmerkmal, das eine Lösung dieses geometrischen Problems erlaubt, ist die Tatsache, dass zusätzlich zu den offensichtlichen Drehungssymmetrien des regelmäßigen Polygons eine weitere versteckte und viel subtilere Symmetrie existiert, die von der Galoisgruppe, einem wunderschönen und mysteriösen Objekt, herkommt. Diese Galoisgruppe zeigt sich nicht nur durch die multiplikative Operation der Einheitswurzeln(nämlich als Drehungen des Polygons in sich um seinen Mittelpunkt), sondern auch dadurch, dass diese Wurzeln zu Potenzen erhoben werden. Aus dem Beispiel des nichtkommutativen Raums von Bost und Connes kristallisiertsich so ein "Wörterbuch'' heraus, das die Phänomene spontaner Symmetriebrechungin der statistischen Quantenmechanik in Bezug setzt zur Mathematik der Galoiserweiterungen. Darüber hinaus ist die Partitionsfunktion dieses statistischenquantenmechanischen Systems ein Objekt von zentralem Interesse in der Zahlentheorie:es ist nichts anderes als die Riemannsche Zetafunktion (Abb. 3).
In letzter Zeit wurden weitere Resultate erzielt, die auf eine tiefliegende Beziehung zwischen nichtkommutativer Geometrie und Zahlentheorie hindeuten, insbesondere fanden Connes und Moscovici in Arbeiten über die "modularen Heckealgebren'', dass die Rankin-Cohen-Klammern - eine wichtige algebraische Struktur auf Modulformen, die vor etlichen Jahren von Zagier (am MPI) ausführlich studiert wurde - eine natürliche Interpretation in der Sprache der nichtkommutativen Geometrie haben. Modulformen stellen eine sehr wichtige Klasse von Funktionen dar, die eine fundamentale Rolle in vielen Bereichender Mathematik spielen, insbesondere in der Zahlentheorie und der Arithmetischen Geometrie. Sie enthüllen beispielsweise sehr komplexe Symmetriemuster, die in gewissen Pflasterungen der hyperbolischen Ebene augenfällig gemacht werden können (Abb. 4).
Wenn man die von Zagier untersuchten algebraischen Strukturen aus der Sicht des nichtkommutativen Geometers betrachtet, erscheinen sie als eine"Inkarnation'' eines Symmetrietyps nichtkommutativer Räume, die verknüpft sind mit der transversalen Geometrie von Blätterungen in Kodimension~1 (Abb. 5). Letztere wurden ausgiebig in Arbeiten von Connes und Moscovici untersucht.
Die speziellen Pflasterungen der hyperbolischen Ebene, die oben im Zusammenhang mit Modulformen bereits erwähnt wurden, liefern eine ganze Familie 2-dimensionaler Flächen, die unter dem Namen Modulkurven bekannt sind. In neueren Arbeiten von Manin und Marcolli (beide am MPI) wurde gezeigt, dass viele Aspekte der reichhaltigen arithmetischen Struktur der Modulkurven durch einen nichtkommutativen Raum "eingefangen'' werden, welcher resultiert, wenn man die obige Pflasterung auf den "unendlich fernen'' Horizont derhyperbolischen Ebene einschränkt (die untere horizontale Gerade in Abb. 4, zusammen mit einem unendlich fernen Punkt). Die Tatsache, dass der unendlich ferne Horizont der Modulkurven einen nichtkommutativen Raum in sich birgt, war auch in Arbeiten von Connes, Douglas und Schwarz im Kontext der Stringtheorie beobachtet worden. In einer (noch laufenden) Untersuchung von Connes und Marcolli (MPI) wurde die bemerkenswerte Tatsache entdeckt, dass all die obigen Beispiele wechselseitiger Beziehungen zwischen nichtkommutativer Geometrie und Zahlentheorie (die Connesschen Arbeiten über die Riemannsche Zetafunktion, das Bost-Connes-System, die modulare Heckealgebra sowie der nichtkommutative Rand von Modulkurven) in der Tat Erscheinungen eines einzigen zugrundeliegenden nichtkommutativen Raums ist, nämlich dem Raum der Kommensurabilitätsklassen von Q-Gittern. Ein Gitter besteht aus Anordungen von Punkten in einem Vektorraum, die wie Atome in einem Kristall angeordnet sind. Zum Beispiel bildet die Menge der Punkte mit ganzzahligen Koordinaten in der Ebene ein 2-dimensionales Gitter. Ein Q-Gitter ist ein solches Objekt, bei dem man eine Vorschrift hat, mithilfe derer die Punkte mit rationalen Koordinaten innerhalb der Fundamentalmasche des Gitters gekennzeichnet werden können. Wenn jeder rationale Punkt auf eindeutige Weise gekennzeichnet wird, heißt das Q-Gitter invertierbar, während man im allgemeinen auch Vorschriften zulässt, die gewisse Punkte (in der Tat ganze "Punktnetze'') auslassen und dafür anderen Punkten mehrere verschiedene Kennzeichnungen zuweisen (Abb. 6), wo die ausgelassenen Punkte mit einem weißen Kreis markiert sind).
Man kann die Q-Gitter beim Studium ihrer geometrischen Eigenschaften auf natürliche Weise in Klassen einteilen. Hierbei besteht eine Klasse aus allen solchen Gittern, welche dieselben rationalen Punkte besitzen und deren Etikettierungen in denjenigen Punktenübereinstimmen, in denen die respektiven Q-Gitter definiert sind. Dies bestimmt eine Äquivalenzrelation auf der Menge der Q-Gitter. Man stellt fest, dass die Identifizierungen, welche bei diesem scheinbar harmlosen Prozess entstehen, schon drastisch genug sind, um einen nichtkommutativen Raum zu erzeugen. Schränkt man andererseits die Aufmerksamkeit auf die invertierbaren Q-Gitter ein, dann erhält man einen klassischen Raum. Im Falle 2-dimensionaler Gitter ist der Parameterraum die Familie aller Modulkurven. Da Q-Gitter in jeder Dimension existieren, gibt es in jeder Dimension einen zugehörigen nichtkommutativen Raum. Der Bost-Connes-Raum ist nun gerade der Raum der Kommensurabilitätsklassen von 1-dimensionalen Q-Gittern, die man bis auf einen Skalarfaktor betrachtet. Der nichtkommutative Raum, der von Connes in der spektrale Realisierung der Nullstellen der Zetafunktion eingeführt wurde (die genaue Positionierung dieser Nullstellen in der komplexen Ebene ist der Inhalt der o.e.~Riemannschen Vermutung), ist der Raum der Kommensurabilitätsklassen 1-dimensionaler Q-Gitter, wobei aber der Skalarfaktor berücksichtigt wird. Die modulare Heckealgebra von Connes und Moscovici ist ein Teil der Koordinatenalgebra auf dem Raum der kommensurabilitätsklassen 2-dimensionaler Q-Gitter und die Gesamtheit der nichtkommutativen Ränder aller Modulkurven bildet ein Stratum in diesem Raum, welches die möglichen Degenerationen des 2-dimensionalen Gitters enthält. Der nichtkommutative Raum von Kommensurabilitätsklassen 2-dimensionaler Q-Gitter, bis auf einen Skalarfaktor, hat auch eine natürliche "Zeit-Evolution'' und man kann die Struktur der entsprechenden thermodynamischen Gleichgewichtszustände untersuchen. Am absoluten Nullpunkt "gefriert'' dieser Quantenraum zu dem zugrundeliegenden klassischen Raum (der o.e.~ Familie von Modulkurven) und es treten keine Quantenflüsse mehr auf. Die Extremalzustände am absoluten Nullpunkt entsprechen Punkten auf der Modulkurve. Wenn die Temperatur steigt, dann überwiegen Quanteneffekte und das System durchläuft eine erste Phasenverschiebung, bei der all die verschiedenen Gleichgewichtszuständezusammenkommen, was einen chaotischen Zustand (den einzigen des Systems) erzeugt. Es gibt eine zweite kritische Temperatur, bei der das System eine weitere Phasenverschiebung erfährt, nach welcher kein Gleichgewichtszustand mehr "überlebt''. Die Symmetriegruppe, die auf diesem quantenmechanischen System operiert, ist die Gruppe aller "arithmetischer Standard-Symmetrien'' der Modulfunktionen. Wie im 1-dimensionalen Fall erfolgt die induzierte Operation auf den Extremzuständen bei Temperatur Null vermöge der Galoistheorie. Die Symmetrien dieses 2-dimensionalen Systems sind jedoch nicht alle direkt auf dem klassischen Raum bei Temperatur Null sichtbar, da sie die feinere Struktur des Quantensystems für ihre Definition benötigen. Daher erhält man die Galoisoperation bei Temperatur Null dadurch, dass man das System - höchstens bis zur kritischen Temperatur - erwärmt, wo man die Gesamtmenge der Symmetrien des Quantensystems betrachtet, um es dann schließlich wieder auf Temperatur Null abzukühlen, wo die arithmetischen Eigenschaften sichtbar werden. Der nichtkommutative Raum von Kommensurabilitätsklassen von Q-Gittern mit seiner reichen arithmetischen Struktur liefert ein wertvolles Werkzeug zur Untersuchung vieler damit verknüpfter zahlentheoretischer Fragen. Zum Beispiel ist eine wichtige Frage bei der spektralen Realisierung der Nullstellen der Riemannschen Zetafunktion, wie man auf konsistente Weise zu Körpererweiterungen der rationalen Zahlen übergeht. Die Behandlung solcher Fragen involviert die nichtkommutativen Räume höherdimensionaler Q-Gitterund deren wechselseitige Beziehungen.