Forschungsbericht 2014 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Kurze Gamma-Blitze und die stärksten Magnetfelder im Universum
Kurze Gamma-Blitze zählen zu den gewaltigsten Explosionen, die wir im Universum beobachten können. In weniger als zwei Sekunden setzen sie so viel Energie in Form von Gammastrahlung frei, wie man durch eine Explosion von bis zu einer Milliarde Sonnenmassen des Sprengstoffs TNT erreichen könnte. Durch Satellitenmissionen wie Swift hat sich herausgestellt, dass diese Explosionen extragalaktischen Ursprungs sind und gleichmäßig über alle Himmelsrichtungen verteilt auftreten. Beobachtungen legen nahe, dass sie höchstwahrscheinlich durch die Kollision zweier Neutronensterne – extrem dichte Sterne im Endstadium ihrer Entwicklung – in einem Doppelsternsystem hervorgerufen werden. Die genauen Umstände der Entstehung einer solchen Explosion bleiben jedoch auch nach mehr als 20 Jahren Forschung rätselhaft.
Numerische Simulationen auf Supercomputern können die physikalischen Vorgänge, die zur Erzeugung eines kurzen Gamma-Blitzes führen, immer besser nachbilden. Sie sind ein unerlässliches Werkzeug zur Lösung des Rätsels, da satelliten- und erdgebundene Beobachtungen nur indirekt Auskunft über die tatsächlichen Vorgänge bei der Erzeugung eines kurzen Gamma-Blitzes geben können. Im Folgenden soll erläutert werden, wie aktuelle numerische Simulationen wesentlich zum Verständnis dieses Phänomens beitragen können.
Woher stammen die enormen Energien?
Numerische Simulationen konnten zeigen, dass bei der Kollision zweier Neutronensterne zunächst ein extrem dichter, metastabiler Neutronenstern entsteht, der nach einiger Zeit (im Millisekundenbereich) zu einem Schwarzen Loch kollabiert. Dieses ist anfänglich noch von einer dicken Akkretionsscheibe umgeben, die langsam (auf der Zeitskala von einer Sekunde) in das Schwarze Loch hinein fällt. Schon sehr früh wurde vermutet, dass diese Akkretionsscheibe Anlass zu starker Neutrinoemission gibt. Die dabei durch die paarweise Vernichtung von Neutrinos und Antineutrinos freigesetzte Energie könnte prinzipiell einen senkrecht zur Akkretionsscheibe gerichteten („jetartigen”) Gamma-Blitz hervorrufen. Zusätzlich oder alternativ wird vermutet, dass die Energie starker Magnetfelder eine Schlüsselrolle für die Erklärung solcher Gammastrahlen-Blitze spielt. Wie können jedoch solch extrem starke Magnetfelder, die die Stärke des Erdmagnetfeldes um das zehn bis hundert Billiardenfache übertreffen, aus den ursprünglich deutlich schwächeren Magnetfeldern der einzelnen Neutronensterne entstehen?
Kürzlich konnte erstmals ein Mechanismus im extrem dichten Neutronenstern simuliert werden, der solch enorme Magnetfeldstärken erzeugen kann [1]. Ursache hierfür ist ein Phänomen, das bei einem unterschiedlich schnell („differenziell”) rotierenden Plasma in Gegenwart magnetischer Felder auftreten kann: Benachbarte Plasmaschichten sind durch das Magnetfeld aneinander gekoppelt und werden durch die unterschiedliche Rotationsgeschwindigkeit in Turbulenz versetzt. Durch diese sogenannte Magnetorotationsinstabilität können bereits vorhandene Magnetfelder exponentiell verstärkt werden.
Zur Untersuchung dieses Mechanismus wurde ein extrem dichter Neutronenstern, wie er etwa durch die Kollision zweier Neutronensterne entsteht, mit einem anfangs geordneten („poloidalen”) Magnetfeld simuliert (Abb. 1). Die Struktur des Magnetfelds wird zunächst durch die Rotation des Sterns nach und nach immer komplexer, bis sich schließlich die Magnetorotationsinstabilität in Form von Wellenmustern zeigt und das Magnetfeld in Bruchteilen von Millisekunden exponentiell verstärkt (siehe Abb. 1, mittlere Momentaufnahme). Da der Stern dynamisch instabil ist, kollabiert er schließlich zu einem Schwarzen Loch, das anfangs von einer dicken Akkretionsscheibe umgeben ist (Abb. 1, dritte Momentaufnahme). In dieser torusförmigen Akkretionsscheibe treten nun enorm starke Magnetfelder auf. Die Simulation zeigt eindeutig diesen exponentiellen Verstärkungsmechanismus, der aufgrund der extremen physikalischen Bedingungen von sehr starker Gravitation im Innern solcher Sterne zuvor nicht zweifelsfrei nachzuweisen war. Kürzlich konnte er in einer unabhängigen Simulation bestätigt werden [2]. Mechanismen wie dieser erzeugen die stärksten Magnetfelder im Universum und können erklären, woher die enormen Energien der kurzen Gamma-Blitze stammen.
Das „Nachglühen” – der Schlüssel zum Explosionsmechanismus?
Satellitendaten haben unlängst gezeigt, dass die große Mehrzahl von kurzen Gamma-Blitzen noch für Stunden bis Tage danach kontinuierlich Röntgenstrahlung abgeben [3]. Die Zeitskala dieses „Nachglühens” ist Größenordnungen zu lang, um sie durch Emission von einer Akkretionsscheibe um ein Schwarzes Loch zu erklären. Das Paradigma der Bildung eines Schwarzen Lochs mit Akkretionsscheibe kurz nach der Verschmelzung der beiden Neutronensterne, wie oben beschrieben, steht also im scheinbaren Widerspruch zu den neuesten Beobachtungen. Stattdessen können einige Einzelheiten der Beobachtungen erklärt werden, wenn man annimmt, dass bei der Kollision zweier Neutronensterne in der Regel ein langlebiger Neutronenstern entsteht, der zumindest für die Dauer des Nachglühens nicht zu einem Schwarzen Loch kollabiert [3].
Numerische Simulationen stützen diese Hypothese und zeigen einen neuen Emissionsmechanismus für das Nachglühen, der für bisher schwer zu erklärende Details der Beobachtungsdaten verantwortlich sein könnte [4]. Abbildung 2 zeigt Momentaufnahmen aus der Simulation eines solchen extrem dichten, langlebigen Neutronensterns. Das Magnetfeld im Inneren des Sterns wird durch das differenziell rotierende Plasma „aufgewickelt” und verstärkt. Dadurch steigt der Druck an der Oberfläche des Sterns und ein stark magnetisierter Wind wird erzeugt (siehe Abb. 2, zweite und dritte Momentaufnahme). Die magnetische Energie, die durch diesen Wind weggetragen wird, steht im Einklang mit den Beobachtungsdaten und kann die Anfangsphase des Nachglühens erklären. Nach einer gewissen Zeit wird sich der Stern zu einem starr rotierenden Körper entwickeln, womit die Erzeugung des Winds eingestellt wird. Nun kann der Stern wie ein Pulsar durch sein starkes Magnetfeld Rotationsenergie in elektromagnetische Strahlung, in diesem Fall Röntgenstrahlung, umwandeln und jene abstrahlen. Dies kann die zweite Phase des Nachglühens erklären.
Die Hypothese des langlebigen Neutronensterns hat allerdings einen entscheidenden Nachteil: Obgleich dieses Szenario scheinbar eine Lösung für das Problem des „Nachglühens” bereithält, kann es nicht erklären, wie der zuvor beobachtete Gamma-Blitz erzeugt werden soll. Andererseits stellt die oben diskutierte Anordnung aus Schwarzem Loch und Akkretionsscheibe eine natürliche Erklärung für die Erzeugung eines Gamma-Blitzes dar, kann aber das Nachglühen nicht erklären.
Ein neues Modell zur Erklärung des Phänomens
Ein Lösungsvorschlag für dieses Problem wurde kürzlich unterbreitet [5] (siehe [6] für einen alternativen Vorschlag). Gemäß diesem Modell (Abb. 3) wird durch die Kollision zweier Neutronensterne in der Regel ein langlebiger, im Innern unterschiedlich schnell rotierender, extrem dichter Neutronenstern erzeugt. Zunächst emittiert er wie oben beschrieben elektromagnetische Energie in Form eines Materiewindes, der durch die hohe Materiedichte eine für Strahlung nahezu undurchlässige Umgebung erzeugt und somit den Großteil der darin enthaltenen Energie speichert (Abb. 3, I). Nur ein kleiner Teil der Energie wird bereits in Form von Röntgenstrahlung abgegeben. Nach dieser Anfangsphase wird der Stern zu einem starr rotierenden Körper und erzeugt in seiner Umgebung ein Plasma aus Elektronen, Positronen und Photonen, einen Pulsar-Nebel (Abb. 3, II). Der hohe Druck der darin befindlichen Photonen bläht den umgebenden Materiewind auf und sorgt für eine Ausdehnung mit relativistischen Geschwindigkeiten. Rotationsenergie des Neutronensterns wird hierbei in Energie dieses Plasmas umgewandelt und somit zwischengespeichert. Sobald hinreichend Rotationsenergie entnommen wurde, kollabiert der Neutronenstern zu einem Schwarzen Loch mit Akkretionsscheibe (Abb. 3, III). Nur eine hinreichend schnelle Rotation hat diesen Stern zuvor vor dem Kollaps zu einem Schwarzen Loch bewahren können. Dieses System aus Schwarzem Loch und Akkretionsscheibe kann nun einen „jetartigen”, also gebündelten, Gamma-Blitz erzeugen, der sich in dem ausgedehnten Pulsar-Nebel und dem Materiewind nahezu ungehindert ausbreiten kann. Demgegenüber ist ein Großteil der Energie, die dem Neutronenstern vor dem Kollaps entzogen wurde, immer noch in dem Pulsar-Nebel und dem Materiewind gespeichert und kann nur auf wesentlich längeren Zeitskalen in Form von Röntgenstrahlung abgesondert werden. Dadurch kommt es zu einer verzögerten Abgabe dieser Energie, die effektiv eine Zeitumkehrung (time-reversal) in der Beobachtung der Gamma- und einem Teil der Röntgenstrahlung bewirkt: Obwohl die Energie im Pulsar-Nebel und dem Materiewind vor dem Kollaps dem Stern entzogen wurde, wird ein Großteil davon erst nach dem Kollaps und damit nach dem Gamma-Blitz emittiert. Rechnungen zeigen, dass diese Verzögerung mit den Beobachtungsdaten vereinbar ist und damit das beobachtete Nachglühen erklären kann [5].
Wenn dieses Szenario zutrifft, entfalten sich neue, ungeahnte Perspektiven und Konsequenzen. Eine Herausforderung wird es beispielsweise sein, Röntgenstrahlung vor einem Gamma-Blitz zu beobachten (vgl. Abb. 3, I & II). Dies wäre ein starkes Indiz für die „Zeitumkehrung” und damit für das vorgeschlagene Szenario. Leider ist eine solche Beobachtung bislang noch nicht möglich. Satelliten verwenden derzeit den Gamma-Blitz zum Auslösen von Beobachtungen im Röntgenbereich. Dies erwies sich bisher als praktikabel und sinnvoll, da man keine Röntgenstrahlung vor dem eigentlichen Gamma-Blitz erwartete. Darüber hinaus könnte man mit gleichzeitigen Gravitationswellen- und elektromagnetischen Beobachtungen erstmals die Lebenszeit eines Neutronensterns genau bestimmen (mit einer Genauigkeit besser als 1%). Das stärkste Gravitationswellensignal (zum Zeitpunkt der Kollision der beiden Neutronensterne, kurz vor der Momentaufnehme in Abb. 3, I) wäre nämlich vom Gamma-Blitz (Abb. 3, III) gerade durch die Lebenszeit des extrem dichten Neutronensterns getrennt. Darüber hinaus eignen sich Gravitationswellendetektoren ideal zum Auslösen von satelliten- und erdgebundenen Beobachtungen von kurzen Gamma-Blitzen. Dieses Szenario eröffnet folglich interessante Perspektiven vor dem Hintergrund der „Multi-Messenger-Astronomie” durch zeitgleiche Beobachtungen im elektromagnetischen und Gravitationswellenbereich, die durch die Inbetriebnahme von Gravitationswellendetektoren wie advanced LIGO und Virgo in den nächsten Jahren möglich wird.
Zusätzliche numerische Simulationen sowie Beobachtungen können dieses Szenario entweder widerlegen, oder es weiter untermauern – vielleicht schon sehr bald. In jedem Fall werden weitere Untersuchungen diesbezüglich helfen, der Lösung des Rätsels um die Entstehung der dramatischsten Explosionen im Universum ein entscheidendes Stück näher zu kommen.