Neue Blutstammzellen dank Interferon-Gamma
Signalmolekül lässt im Embryo neue Blutstammzellen entstehen
In der frühen Phase der Embryonalentwicklung bilden sich nach und nach Stammzellen mit definierten Aufgaben heraus, beispielsweise blutbildende Stammzellen. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim haben nun entdeckt, wie die Blutstammzellen entstehen: Interferon-Gamma, ein Molekül, das normalerweise an Entzündungsprozessen beteiligt ist, spielt bei diesem Zelltyp während der frühen Phase der Embryonalentwicklung eine entscheidende Rolle. Mit dem Wissen könnte zukünftig die Herstellung von Blutstammzellen im Labor deutlich verbessert werden.
Stammzellen ersetzen abgestorbene Zellen und halten die Organe des Körpers auf diese Weise funktionstüchtig. Zudem sind sie für die Regeneration durch Erkrankungen geschädigter Organen unerlässlich. Eine Besonderheit stellen dabei die blutbildenden Stammzellen dar: Da die meisten Blutkörperchen nur eine relativ kurze Lebensdauer besitzen, haben die Blutstammzellen auch im gesunden Organismus kontinuierlich für Nachschub zu sorgen.
Bislang war bekannt, dass Blutstammzellen in einer frühen Phase der Embryonalentwicklung aus Blutgefäßzellen hervorgehen. Welche molekularen Abläufe dem zugrunde liegen, war jedoch noch großteils ungeklärt. Die Arbeitsgruppe von Didier Stainier vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung fand nun heraus, dass Interferon-Gamma, ein normalerweise an Entzündungsprozessen und Infektionen beteiligtes Signalmolekül, auch eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Blutstammzellen im Embryo spielt.
In der an Zebrafischen durchgeführten Studie veränderten die Bad Nauheimer Wissenschaftler Tiere durch einen genetischen Eingriff derart, dass die Embryonen ab einem festgelegten Zeitpunkt das Interferon vermehrt produzierten. „Wir stellten fest, dass Tiere mit einer solchen Interferon-Gamma-Überexpression mehr Blutstammzellen bilden“, sagte Suphansa Sawamiphak, Erstautorin der Studie. Umgekehrt war die Anzahl an Blutstammzellen bei den Embryonen deutlich reduziert, bei denen der Rezeptor für das Interferon ausgeschaltet war. „Eine wichtige Beobachtung unserer Studie ist zudem, dass Interferon nicht etwa die Zellteilungsaktivität bereits vorhandener Blutzellen verstärkt, sondern dass sich die Stammzellen aus den Zellen der Blutgefäße entwickeln“, so Sawamiphak.
In weiteren Experimenten gelang es den Forschern, den Effekt von Interferon-Gamma auf die Bildung von Blutstammzellen in einen Zusammenhang mit anderen bekannten Faktoren zu bringen. „Interferon-Gamma wirkt nicht unabhängig, sondern ist Teil einer Signalkette: Unsere Daten deuten darauf hin, dass fließendes Blut zusammen mit einem als NOTCH bezeichnetes Regulationselement die Bildung von Interferon auslöst. Dieses wiederum stimuliert die Stammzellproduktion“, so Sawamiphak.
Der nun entschlüsselte Mechanismus kommt für die Wissenschaftler recht unerwartet: „Im erwachsenen Organismus hat Interferon-Gamma einen gegenteiligen Effekt, da es die Blutstammzellen während einer Infektion oder Entzündungsreaktion negativ zu beeinflussen scheint“, erklärte Didier Stainier, Direktor am Max-Planck-Institut. Eine Erklärung für diesen scheinbaren Widerspruch könne sein, dass im Laufe der Evolution dieser grundlegende Mechanismus beim ausgewachsenen Organismus in einem anderen Zusammenhang wiederverwendet worden ist.
Die Ergebnisse der Studie könnten sich als wertvoll für die zukünftige Stammzellforschung erweisen: „Bislang werden Blutstammzellen im Labor aus embryonalen Stammzellen oder anderen aufwändig isolierten Stammzellen mit teils recht geringer Ausbeute hergestellt. Unsere Studie könnte dazu beitragen, dass man die gängigen Verfahren zur Zelldifferenzierung optimiert“, so Stainier. Ziel sei es, den Zugang zu Blutstammzellen und ihre Herstellung zu vereinfachen.
MH/HR/BA