Forschungsbericht 2015 - Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik
Stabil oder nicht stabil? Eine Raumzeit auf dem Prüfstand
Die Allgemeine Relativitätstheorie – Einsteins 100 Jahre alte, klassische Theorie von Raum und Zeit – scheint heutzutage gut verstanden zu sein. Allerdings gibt es innerhalb dieser Theorie immer noch grundlegende Fragen zu beantworten, etwa bei der Interpretation von Lösungen. Im Mittelpunkt der Theorie stehen die Einstein’schen Feldgleichungen von 1915. Dabei handelt es sich um ein gekoppeltes System nichtlinearer partieller Differentialgleichungen.
Eine Lösung von Einsteins Feldgleichungen ist der sogenannte Anti-de-Sitter-Raum (AdS), eine Raumzeit mit negativer kosmologischer Konstante Λ. Ziel der im Folgenden beschriebenen Untersuchungen ist es, tiefere Erkenntnisse über die zugrunde liegende Theorie zu gewinnen und zu einem besseren Verständnis dieser fundamentalen Lösung zu gelangen.
Auch taucht die AdS-Lösung häufig in anderen theoretischen Betrachtungen auf, sodass ein genaues Verständnis auch Auswirkungen auf diese anderen Gebiete hat. Dort betrachtet man asymptotische AdS-Räume, dies sind Lösungen mit den gleichen Eigenschaften im Unendlichen wie AdS selbst. Sie spielen eine zentrale Rolle in der theoretischen Physik im Rahmen der sogenannten AdS/CFT-Korrespondenz. CFT (Conformal Field Theory) ist eine Feldtheorie, für die Quantisierungsvorschriften bekannt sind. Die AdS/CFT-Korrespondenz untersucht, welche Eigenschaften des Anti-de-Sitter-Raumes – beispielsweise das Auftreten Schwarzer Löcher – Entsprechungen in CFT haben und wie aus der Quantenfeldtheorie Rückschlüsse auf das Verhalten dieser Eigenschaften im relativistischen Bereich gezogen werden können. Die AdS/CFT-Korrespondenz spielt beispielsweise in der String-Theorie eine wichtige Rolle.
Wie stabil ist eine Raumzeit?
Um die Lösungen der Einstein-Gleichungen physikalisch interpretieren zu können, wird ihre Stabilität mathematisch untersucht. Das heißt man untersucht, was bei kleinen Störungen der Raumzeit passiert und wie sich diese Störungen im Laufe der Zeit entwickeln. Mathematisch lässt sich die Frage der Stabilität als Anfangswertproblem formulieren: Es werden bestimmte Werte vorgegeben und in der Zeit entwickelt.
In der Physik ist die genaue Kenntnis aller Parameter eines Systems nicht möglich, es wird vielmehr immer zu kleinen Abweichungen kommen. Führen kleine Störungen bei der Wahl der Parameter auch nur zu kleinen Störungen der Lösung, so wird die Lösung als stabil bezeichnet, andernfalls als instabil (Abb. 1). Für ein physikalisch sinnvolles Modell gilt es zu zeigen, dass die Lösung nicht von der Wahl feinjustierter Bedingungen abhängt, sondern sich gegenüber kleinen Veränderungen als stabil erweist.
Die kosmologische Konstante unter verschiedenen Vorzeichen
Die von Einstein selbst eingeführte kosmologische Konstante erlaubt es, eine neue Klasse von Lösungen der Theorie zu betrachten. Genau wie im dreidimensionalen euklidischen Raum Oberflächen von positiver, verschwindender und negativer Krümmung unterschieden werden (Abb. 2), kann man Lösungen der Einstein’schen Gleichungen mit unterschiedlichem Vorzeichen der kosmologischen Konstante betrachten. Am besten untersucht ist der Minkowski-Raum (Λ = 0), der flache Raum der speziellen Relativität. Diese Lösung stellte sich in einer aufwendigen Studie [1] als stabil heraus; kleine Störungen dieses Raumes werden als überschüssige Energie nach unendlich abgestrahlt. Der de-Sitter-Raum mit positiver kosmologischer Konstante (Λ > 0), benannt nach dem niederländischen Wissenschaftler Willem de Sitter (1872–1934), dient als kosmologisches Modell der Expansionsphase des frühen Universums. Es wird erwartet, dass diese Raumzeit auch einen Endzustand des Universums beschreiben kann. Auch diese Lösung ist stabil [2]. Für den Anti-de-Sitter-Raum mit negativer kosmologischer Konstante (Λ < 0) ist die Frage der Stabilität immer noch offen, was auch deswegen bemerkenswert ist, weil es sich um eine der einfachsten Lösungen der Einstein’schen Gleichungen handelt. Alle drei erwähnten Räume sind speziell, da es sich um maximal symmetrische Lösungen der Gravitations-Feldgleichungen handelt – genauso speziell wie Ebene, Kugel und Hyperboloid für die euklidische Geometrie in zwei Dimensionen.
Wohin mit der Energie?
In den hier beschriebenen Betrachtungen wird als Störung ein Materiefeld eingeführt und dessen zeitliches Verhalten studiert. Der entscheidende Unterschied zwischen AdS einerseits und Minkowski- und de-Sitter-Raum andererseits liegt darin, dass AdS im Gegensatz zu den anderen beiden Raumzeiten abgeschlossen ist. Aufgrund der Endlichkeit des Systems gibt es keine Möglichkeit, Energie im Unendlichen abzustrahlen und so die Lösung zu stabilisieren.
Bizoń und Rostworowski untersuchten das Problem in [3] für einen speziellen kugelsymmetrischen Fall. Die Autoren vermuten einen instabilen AdS-Raum und stützten ihre Vermutung auf störungstheoretische und numerische Berechnungen. Sie zeigten mit Störungsrechnungen, dass bestimmte Wechselwirkungen der Störung zu Resonanzen führen und für die Instabilität verantwortlich sind. Diese nichtlinearen Wechselwirkungen verschieben das Energiespektrum zu höheren Frequenzen. Dies führt zur Konzentration von Energie auf immer feineren räumlichen Skalen und damit zu Turbulenzen. Numerische Simulationen bestätigen dieses Szenario (Abb. 3) und zeigen, dass die nichtlineare Dynamik zur Bildung Schwarzer Löcher führen kann. Um verlässliche numerische Simulationen der turbulenten Dynamik dieser Gleichungen zu erhalten, müssen verschiedene Lösungsstrategien angewendet und die so erhaltenen Resultate verglichen werden.
Nicht jede Störung führt zur Instabilität
Schon in [3] wurde gezeigt, dass nicht alle anfänglichen Störungen zur Bildung eines Schwarzen Loches führen. Inzwischen sind weitere Beispiele von nicht-kollabierenden Anfangsdaten bekannt, z. B. stehende Wellen oder Lösungen, die sich periodisch in der Zeit verhalten. Entscheidend bei der Konstruktion dieser stabilen zeitperiodischen Lösungen war, dass es gelang, alle resonanten Wechselwirkungen zu beseitigen [4].
Die Lösungen weisen mögliche unendlich-periodische oder quasi-periodische Oszillationen auf (Abb. 4). Diese Entdeckungen, insbesondere die Existenz der zeit-periodischen Lösungen und ihre Eigenschaften, wurden in der Dissertation von Maciej Maliborski erweitert auf andere kugelsymmetrische Modelle und sind Bestandteil weiterer aktueller Untersuchungen. Die Studien zeigen auf, dass die nicht-kollabierenden Konfigurationen unter Störungen stabil sein könnten. Die Koexistenz der kollabierenden und nicht-kollabierenden Konfigurationen macht das Stabilitätsproblem allerdings besonders anspruchsvoll – selbst in vereinfachten symmetriereduzierten Situationen wie der Kugelsymmetrie.
Analytische Studien helfen beim Verständnis nichtstabiler Bereiche
Auch wenn Computersimulationen essentiell bei diesen Entdeckungen waren, müssen diese durch analytische Studien ergänzt werden, um die Stabilitätseigenschaften des AdS-Raumes genauer zu verstehen. Als wichtiges analytisches Werkzeug wurde jüngst die sogenannte resonante Näherung entwickelt [5, 6]. In dieser Näherung werden alle nichtlinearen Wechselwirkungen außer den resonanten vernachlässigt. Eine wichtige Eigenschaft dieses Systems ist seine Skaleninvarianz, die die Untersuchung von beliebig kleinen Störungen erlaubt. Die resonante Näherung wurde zuerst benutzt, um quasi-periodische (nicht-kollabierende) Lösungen und – aktueller – um auch kollabierende Lösungen [7] zu beschreiben und so die Ursache der Stabilität besser zu verstehen. Diese vorläufigen Studien zeigen die wichtige Rolle auf, die die resonante Näherung in unserem Verständnis der globalen Dynamik von asymptotischen AdS-Räumen spielen kann.
Ausblick
Aufgrund der Schwierigkeit des Problems sind aktuelle Studien der Stabilität von AdS auf Kugelsymmetrie beschränkt und auf bestimmte Randbedingungen. Es wäre sehr interessant, diese vereinfachenden Annahmen abzuschwächen. Mit Sicherheit werden Computersimulationen auch in weiteren Untersuchungen eine wichtige Rolle spielen. Sie helfen auch bei der Entwicklung eines intuitiven Verständnisses des Problems. Dieses aktuelle und sehr aktive Forschungsfeld, das Allgemeine Relativität mit String-Theorie, Differentialgeometrie, der Theorie der partiellen Differentialgleichungen sowie Turbulenz und numerischen Analysis vereint, könnte nicht nur die wichtige Frage der Stabilität des AdS-Raumes beantworten, sondern auch neue Phänomene an der Schnittstelle von Allgemeiner Relativität und Turbulenz aufdecken.