Roboter an Bord
Der Roboter „Athena“ hat neue Impulse für die Robotikforschung im Gepäck
Um 11:05 Uhr ist der Roboter „Athena“ mit dem Lufthansa Flug LH 457 am Frankfurter Flughafen gelandet. Während des Fluges saß Athena als offizieller Passagier in der Economy Class. Begleitet von Wissenschaftlern des Tübinger Max-Planck-Instituts für Intelligente Systeme (MPI IS), ist sie von Los Angeles nach Tübingen gereist, um dort viel Neues zu lernen: Stehen, Gehen, Balancieren – und darüber hinaus sinnvolle Tätigkeiten, mit denen sie einmal den Menschen helfen könnte.
Die Katastrophe von Fukushima hat aufgezeigt, wie weit die Robotikforschung vom Einsatz in unserem Tagesablauf entfernt ist. Noch immer fehlt es an autonomen Systemen, die zuverlässig und praxiserprobt etwa Türen öffnen, Ventile schließen oder Pumpen in Gang setzen könnten. Vielfältige Aufgaben, die es beispielsweise nach Fukushima zu erledigen gab. Weltweit entwickeln Forscher und Ingenieure Roboter aller Art, die sich eigenständig und verlässlich in einem Trümmerfeld - wie in den zerstörten Kraftwerksgebäuden oder in Erdbebengebieten - bewegen können und je nach Situation sinnvoll und eigenständig handeln. Dies ist eine enorm schwierige Aufgabe.
„Flying Athena home“
Hier kommt Athena ins Spiel. Der humanoide Roboter ist 1,88 m groß, wiegt dabei nur 48kg und steht auf zwei Beinen mit Füßen. Mit seinem Team hat Stefan Schaal, Direktor der Abteilung „Autonome Motorik“ am Tübinger MPI für Intelligente Systeme, Ideen und Vorgaben formuliert, die die US Firma Sarcos umgesetzt hat. Initiiert wurde Athenas Entwicklung von einem US Förderprogramm für Robotik im Katastropheneinsatz (DARPA Robotics Challenge), in Zusammenarbeit mit dem kalifornischen Partnerlabor von Stefan Schaal an der University of Southern California, wo er als Professor für Computer Science, Neuroscience, & Biomedical Engineering wirkt. Während das DARPA-Programm ferngesteuerte Roboter im Sinn hat, zielt die Forschung des MPI für Intelligente Systeme weit darüber hinaus: Sie stattet solche Roboter mit echtem autonomen Verhalten aus oder lässt sie ihr Verhalten sogar selbst erlernen.
Athena ist als humanoider (menschenähnlicher) Roboter konzipiert, weil sie sich einmal in Umgebungen bewähren soll, die auf Menschen zugeschnitten sind. Im Gegensatz zu Vierbeinern haben Zweibeiner den Vorteil, dass sie leichter durch enge Passagen kommen und sich aufrichten können, um hoch gelegene Aktivitäten zu tun (bspw. Hebel umlegen, Glühbirne wechseln).
Am 16.12.2014, 11:05 Uhr, ist Athena mit einer Boeing 747-8 in Frankfurt gelandet (Lufthansa Flug LH 457). Begleitet von den Wissenschaftlern Dr. Jeannette Bohg und Alexander Herzog, hat sie den Flug fast wie ein normaler Passagier in der Kabine verbracht; aber natürlich hat sie weder gegessen, getrunken noch den Waschraum besucht. Denn Athena ist vollkommen passiv gereist, das heißt ohne Energiequelle. Ihre Begleiter haben sie im Rollstuhl zum Flugzeug gebracht. Auf die gleiche Weise verlässt der Roboter in Frankfurt den Flieger und tritt in einem Kleinbus die Fahrt „nach Hause“ an, in die Abteilung für „Autonome Motorik“ am Tübinger MPI für Intelligente Systeme. Dort wollen die Wissenschaftler ihr in den kommenden Monaten als erstes das autonome Gehen über unebenes Terrain beibringen.
Ein neuer humanoider Roboter – eher Katastrophenhelfer als Krankenschwester
Der Roboter steckt voller technischer Finessen. Sein Kopf ist mit Sensoren ausgestattet, mit denen er seine Umgebung erfassen kann. Ein Stereokamerasystem funktioniert dabei sehr ähnlich wie unsere Augen. Es berechnet aus zwei Bildern dreidimensionale Tiefenbilder. Damit kann Athena zum Beispiel im Nahbereich die Position von Objekten zum Greifen ermitteln. Für den Fernbereich zuständig ist ein Velodyne-Laserscanner, der einem kleinen Leuchtturm auf dem Kopf gleicht. Dieser Sensor sendet 32 Laserstrahlen in einem Fächer aus und berechnet aus dem reflektierten Licht den Abstand zu den Oberflächen. Mit einer Reichweite von 80 m dreht sich der Laserscanner 10 mal pro Sekunde um die vertikale Achse und scannt so die ganze Umgebung ab.
In Tübingen wird Athena einen Gleichgewichtssensor auf den Oberkörper montiert bekommen. Er wird die Ausrichtung des Roboters sowie die Beschleunigungen erfassen, die zum Beispiel beim Fallen oder durch Stöße entstehen. Auf ihre richtigen Arme muss Athena noch ein paar Wochen warten, denn die sind noch in der Fertigung. Momentan trägt sie rein kosmetische Prototypenarme aus Kunststoff, die aus dem 3D-Drucker in Tübingen stammen. Diese Arme können nur von Hand bewegt werden und haben keine Sensorik, aber sie ermöglichen es den Wissenschaftlern, das Design zu bewerten.
Athenas Beine sind sehr gelenkig. Ihre Hüft- und Kniegelenke werden hydraulisch, mit Öl unter hohem Druck (200bar), bewegt. Sensoren an allen Gelenken messen die Position und Kraft jedes Gelenks und übermitteln die Daten an die Software, die wiederum die Bewegung der Gelenke über hydraulische Ventile steuert. Athena steht auf Fußprothesen von Otto Bock, die für Menschen entwickelt wurden. Das Kohlefaser-Material der Prothesen erlaubt ein geeignetes Federverhalten für das Laufen auf zwei Beinen. Athena ist der erste humanoide Roboter, der solche Fußprothesen einsetzt.
Das Bewegen der Gelenke unter dem eigenen Gewicht beansprucht am meisten Energie. Eine große Laborpumpe erzeugt unter Hochdruck einen Ölfluss, der mit Schläuchen zum Roboter geleitet wird und dort die Gelenke bewegt. Das heißt, der Roboter ist energe-tisch nicht autonom und benötigt momentan eine externe hydraulische Versorgung. In der Zukunft kann diese direkt in Athena integriert werden. Dagegen wird für die Elektronik und die Sensoren vergleichsweise wenig Energie benötigt. Eine externe Stromversorgung stellt diese bereit und leitet sie mit einem Kabel zum Roboter.
Athena ist eine Maschine – und so sieht sie auch aus. Sie ist nicht der Prototyp eines assistierenden Roboters, der einmal im Krankenhaus hilft oder ältere Menschen bei der Bewältigung ihres Alltags unterstützt. Stefan Schaal erklärt: „Athena ist der Roboter, der jemanden aus dem eingestürzten Haus rettet oder der, den man in den Wald schickt, um den sechsjährigen Thomas zu suchen, der sich verlaufen hat. Athena ist gedacht für körperliche Arbeit in kompliziertem Gelände, das eventuell auch unzugänglich oder zu gefährlich für Menschen ist, und weniger als Lebensgefährte für die Wohnung“.
Athena muss noch viel lernen
Der Roboter ist ganz neu und kann bisher nur rudimentäre Bewegungen ausführen. Bis er autonom stehen, gehen und balancieren kann, werden noch einige Monate vergehen. Mittelfristiges Ziel der Tübinger Wissenschaftler ist es, sie über unebenes Gelände oder Hindernisse laufen zu lassen.
Längerfristige Ziele beinhalten unter anderem die Ganzkörperkoordination, um beispielsweise ein Objekt außer Reichweite zu greifen oder sich durch enge Räume zu bewegen. Bei diesen Aufgaben muss Athena das Gleichgewicht halten, sich abstützen, sich strecken und nach etwas greifen oder eventuell selbstständig wieder aufstehen können. Eine Voraussetzung dafür ist die korrekte Wahrnehmung der Umgebung.
Um diese Ziele zu erreichen, müssen die Forscher noch viel Zeit in die Grundlagen-forschung und Entwicklung investieren. Die fundamentalen Prinzipien, die hinter der menschlichen Fähigkeit stecken, diese scheinbar einfachen Aufgaben auszuführen, sind heute noch weitestgehend unbekannt.
„Uns ist wichtig, dass der Roboter sich künftig einmal sicher in schwierigem Gelände bewegen kann“, so Stefan Schaal. „In unserer Forschung geht es speziell um die autonome Wahrnehmung, Steuerung und Lernfähigkeit solcher futuristischen Systeme. Mit der Hoffnung, dass diese eines Tages im komplizierten Gelände helfen können. Zum Beispiel im Katastropheneinsatz, in der Raumfahrt, für Hilfeleistung bei Epidemien, für Notfalleinsätze (Brand, Industrie, Wetter, Personensuche, etc.) - d.h., so ziemlich alles, wo Systeme auf Rädern nicht einsetzbar sind. Natürlich sind das alles Zukunftsvisionen, und wir haben viel Forschung vor uns, das zu erreichen.“