„Das würde unser Verständnis von Physik über den Haufen werfen“
Im Max-Planck-RIKEN-PTB-Center untersuchen Physiker, ob die Naturkonstanten konstant sind und warum es mehr Materie als Antimaterie gibt
Am 8. April 2019 wird das Max-Planck-RIKEN-PTB-Center for Time, Constants and Fundamental Symmetries in Tokio offiziell eröffnet. Daran sind die beiden Max-Planck-Institute für Kernphysik und für Quantenoptik, das japanische Forschungsinstitut RIKEN und die Physikalisch-Technische Bundesanstalt, kurz PTB, beteiligt. Wir sprachen mit Klaus Blaum, Direktor am Max-Planck-Institut für Kernphysik und einer der Co-Direktoren des Centers, über die Forschungsziele des Centers, deren praktische Relevanz und den Gewinn, den die Kooperation bringt.
Herr Blaum, um welche Forschungsziele geht es am Max-Planck-RIKEN-PTB-Center?
Eines unserer Ziele ist es, Naturkonstanten wie die Masse des Elektrons genauer zu bestimmen. Die Bedeutung der Konstanten spiegelt sich in der Neudefinition des SI-Einheitensystems im vergangenen Jahr wider. Bis dahin gab es beispielsweise für die Einheit Kilogramm noch das Urkilogramm als Prototyp. Jetzt werden alle sieben Einheiten über definierende Konstanten festgelegt. Mit einer genaueren Bestimmung von Naturkonstanten verbinden wir auch die Hoffnung, dass sie vielleicht doch nicht konstant sind. Das wäre natürlich eine Revolution.
Was würde das für unsere Sicht auf die Welt bedeuten?
In der Physik gibt es das Standardmodell der Elementarteilchen, mit dem wir vieles beschreiben können. Wir wissen aber inzwischen, dass dieses Modell Fehler hat. So haben etwa Neutrinos eine Masse, obwohl das Standardmodell sagt, sie hätten keine. Außerdem kann es die dunkle Materie nicht erklären, von der es im Universum den Beobachtungen zufolge fünf Mal so viel geben muss wie von der sichtbaren Materie. Und das Standardmodell sagt auch voraus, dass die Naturkonstanten konstant sind. Deshalb wollen wir mit größerer Genauigkeit überprüfen, ob sich die Naturkonstanten über die Zeit ändern. Wenn es gelingt, das nachzuweisen, würde das unser Verständnis von der Physik teilweise über den Haufen werfen.
Und dafür würde es einen Nobelpreis geben…
Davon ist auszugehen. Die Gruppe, die als erstes entdeckt, dass es eine nicht-konstante Naturkonstante gibt, fährt höchstwahrscheinlich nach Stockholm. Das gilt auch für die Gruppe, die als erstes den Grund für die Asymmetrie zwischen Materie und Antimaterie findet.
Mit dieser Asymmetrie beschäftigen sich in dem Center auch. Worum geht es da?
Materie und Antimaterie sind nach dem Urknall zu gleichen Teilen entstanden. Heute findet sich im Universum aber fast nur noch Materie. Das können wir noch nicht erklären. Nach allem, was wir heute messen können, sind Materie und Antimaterie in allen Eigenschaften gleich. Das Proton ist beispielsweise genauso schwer wie das Antiproton, und auch ihre magnetischen Momente sind gleich. Es muss aber irgendwo einen Unterschied geben. Deshalb suchen wir in dem Center nach winzigen Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie.
Haben Sie in der Kooperation also Aussicht auf den Nobelpreis?
Da gibt es einen kleinen Wermutstropfen. Wir wissen nicht, wieviel genauer wir werden müssen, um die Veränderungen bei den Naturkonstanten oder die Unterschiede zwischen Materie und Antimaterie aufzuspüren. Klar ist nur: Wenn es sie gibt, liegen sie weit von den aktuellen Limits der Messtechnik entfernt.
Was verbindet die genaueren Messungen der Naturkonstanten mit den Untersuchungen der Symmetrien?
Beide Themen greifen technisch ineinander. Bei den genaueren Bestimmungen der Naturkonstanten und den Untersuchungen der Symmetrien geht es immer um die Messung einer Frequenz beziehungsweise einer Zeit. Technische Fortschritte auf einem Gebiet versuchen wir auf das andere Gebiet zu übertragen. Zudem helfen uns bessere Uhren, die wir in dem Center entwickeln wollen. Deshalb sind weltweit führende Gruppen auf diesem Gebiet an unserer Kooperation beteiligt.
Atomuhren messen die Zeit heute bis auf die 18te Stelle hinter dem Komma genau. Wie wollen Sie noch genauere Uhren bauen?
Bislang wird Zeit über die Frequenz des Lichts gemessen, das ein Atom abgibt, wenn eines seiner Elektronen von einem Zustand höherer Energie in einen Zustand niedrigerer Energie übergeht. Bei einem Vorschlag, den wir an unserem Center umsetzen wollen, wird der Übergang eines Kerns von einem Zustand in einen anderen untersucht, und nicht eine elektronische Zustandsänderung. Das hätte den Vorteil, dass die Einflüsse der Umgebung dabei dramatisch unterdrückt sind. Wir trauen uns zu, auf diese Weise eine optische Kernuhr zu bauen, die deutlich genauer tickt als die bisher genauesten Uhren.
Ist das auch technisch relevant?
Mit solchen Entwicklungen gehen oft auch technische Neuerungen einher. So haben wir heute so genaue Uhren, dass wir feststellen können, ob eine Uhr auf einem Tisch steht oder ob sie sich zehn Zentimeter darüber befindet. Die beiden Uhren gehen nach der Relativitätstheorie nämlich anders. Mit noch präziseren Uhren könnten wir umgekehrt auch Satellitennavigationssysteme genauer machen. Solche Uhren würden es auch ermöglichen, das Schwerefeld der Erde genauer zu vermessen. Weil das von der Dichte der Erde und damit die Materialzusammensetzung an dieser Stelle abhängt, könnte man auf diese Weise auch nach Rohstoffen zum Beispiel nach Öllagerstätten suchen.
Inwiefern ist gerade die Kooperation zwischen den Max-Planck-Instituten für Kernphysik und für Quantenoptik, von RIKEN und von der PTB erfolgversprechend, um die Ziele zu erreichen?
Jede Gruppe bringt auf den Themengebieten des Centers Stärken und Kompetenzen ein, mit denen sie die anderen Partner weiterbringt. So ist die Gruppe von Ted Hänsch und Thomas Udem am Max-Planck-Institut für Quantenoptik führend in der Bestimmung der Rydberg-Konstante in Wasserstoff. Wir sind bei der Elektronen-Masse weltspitze, die Kollegen Hidetoshi Katori am RIKEN und Ekkehard Peik an der PTB können die Sekunde besonders genau messen, und die Gruppe um Stefan Ulmer auch bei RIKEN macht die genauesten Symmetriemessungen am Proton-Antiproton-System. Im Übrigen vereint die Zeit alle vier beteiligten Institute, denn Gruppen an jedem Institut entwickeln neue, noch genauere Uhren, die im Rahmen des Centers miteinander verglichen werden können. Mit dem Center haben wir auch eine formale Basis, damit Doktoranden oder Postdocs für ein paar Monate zu einem Partnerinstitut gehen können, um dort eine Technik zu lernen und an ihrem Institut anzuwenden. Dieser Transfer von Know-how wird uns sicherlich bei allen Themen, denen wir uns in dem Center widmen, weiterbringen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Peter Hergersberg.