Anatomische Barrieren schützen das Gehirn vor SARS-CoV-2
Keine Hinweise auf Coronaviren einschließlich Omikron im Gehirn
COVID-19 geht häufig einher mit einem teilweisen oder vollständigen Verlust des Geruchsinns. Das Virus infiziert Stützzellen des Riechepithels und beeinträchtigt dadurch vermutlich die Aktivität der Riechsinneszellen. Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Neurogenetik in Frankfurt haben nun zusammen mit Ärzten und Forschenden der Universitätskliniken Leuven und Krankenhäusern in Brügge und Brüssel in Belgien Gewebeproben aus der Nasenschleimhaut und dem Gehirn von Patienten untersucht, die an oder mit einer Infektion mit den SARS-CoV-2-Varianten Delta sowie Omikron BA.1 oder BA.2 gestorben sind. Bei insgesamt mehr als hundert COVID-19-Patienten fanden die Wissenschaftler keine Hinweise auf Coronaviren im Gehirn. Ein kaum untersuchter Typ von Bindegewebszellen in der Riechschleimhaut scheint als eine von mehreren anatomischen Barrieren zu fungieren, die das Gehirn an empfindlichen Schnittstellen vor dem Virus schützen.
Anosmie tritt häufig nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 auf und reicht von einer vorübergehenden Beeinträchtigung bis zu einem anhaltenden, möglicherweise dauerhaften Verlust des Geruchsinns. Die Nasenschleimhaut stellt eine der Haupteintrittsstellen für das Virus dar. Schon früh in der Pandemie kam der Verdacht auf, dass das Virus Zellen des Riechepithels infizieren, auf den Riechnerv überspringen und dann über den nur wenige Millimeter von der Nasenhöhle entfernt liegenden Riechkolben in das Gehirn eindringen könnte.
Doch dieser Verdacht hat sich nicht bestätigt. Im November 2021 berichteten Forschende der Max-Planck-Forschungsstelle für Neurogenetik in Frankfurt zusammen mit Ärzten und Wissenschaftlern in Leuven und Brügge, dass SARS-CoV-2 die Stützzellen des Riechepithels infiziert, nicht aber die Riechsinneszellen. Im Riechkolben wiesen die Forschenden das Virus ebenfalls nicht nach. Die Ärzte hatten ein chirurgisches Verfahren entwickelt, mit dem sie Gewebeproben von verstorbenen Patienten entnehmen konnten. Damit konnten sie bei 70 COVID-19-Patienten innerhalb von ein bis zwei Stunden nach dem Tod Proben aus der Rachen- und der Nasenschleimhaut und des Frontallappens des Gehirns sowie die Riechkolben entnehmen. Dieses ungewöhnlich kurze Intervall macht die Gewebeproben für molekulare und histologische Untersuchungen besonders geeignet.
Negative Geweproben aus dem Gehirn
Nun hat das Team Gewebeproben von 45 zusätzliche COVID-19-Patienten untersucht, die innerhalb von zwei Wochen nach der Diagnose gestorben waren und mit den Varianten Delta, Omikron BA.1 oder BA.2 infiziert waren. Die Forschenden analysierten zudem Gewebeproben des Frontallappens des Gehirns der meisten COVID-19-Patienten aus der ersten Patientengruppe, die mit dem ursprünglichen Wuhan-Stamm oder der Alpha-Variante infiziert waren. "Wir haben die Riechkolben und die Frontallappenproben mikroskopisch auf RNA und Proteine des Virus untersucht. Alle Proben waren negativ, es waren keine Nervenzellen infiziert. Auch bei dem Versuch, SARS-CoV-2 aus der Gehirnflüssigkeit zu gewinnen, konnten wir keine Hinweise darauf finden, dass der Erreger in das Gehirn eingedrungen war", sagt Peter Mombaerts von der Max-Planck-Forschungsstelle für Neurogenetik. Laura Van Gerven, HNO-Chirurgin an den Universitätskliniken Leuven, Belgien, fügt hinzu: "Die größte Chance für SARS-CoV-2, ins Gehirn einzudringen, bestünde bei diesen schwer erkrankten Patienten."
Die so genannten perineurialen Fibroblasten des Riechnervs - dünne, längliche Zellen mit unbekannter Funktion - fungieren offenbar als anatomische Barriere. Sie umhüllen die Bündel des Riechnervs in einer oder mehreren dicht gepackten Schichten. "Wir wissen nicht, wie diese Zellen das Virus daran hindern, in die Zellen des Riechnervs einzudringen. Aber sie scheinen entscheidend dazu beizutragen, dass SARS-CoV-2 - und möglicherweise einige der vielen anderen Erreger, die die Nasenschleimhaut infizieren - nicht in das Gehirn eindringen", erklärt Mombaerts.