SARS-CoV-2 infiziert Stützzellen im Riechepithel von COVID-19-Patienten
Das Coronavirus scheint keine Nervenzellen im Riechepithel und im Riechkolben zu infizieren
COVID-19 geht mit einem vorübergehenden oder langfristigen Verlust des Geruchssinns einher. Die Ursachen dafür sind noch immer unklar. Eine ungelöste Frage ist, ob SARS-CoV-2 über den Riechnerv ins Gehirn eindringen kann. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Max-Planck-Forschungsstelle für Neurogenetik in Frankfurt haben nun herausgefunden, dass SARS-CoV-2 die Riechsinneszellen der Riechschleimhaut von COVID-19-Patienten nicht zu infizieren scheint. Die Forschenden arbeiteten dabei mit Ärzten und Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Leuven (Leuven, Belgien) und eines großen Krankenhauses in Brügge, Belgien, sowie mit Wissenschaftlern von NanoString Technologies in Seattle, USA, zusammen. Es fanden sich keine Hinweise auf eine Infektion der Nervenzellen des Riechkolbens. Stattdessen sind die Stützzellen das primäre Ziel im Riechepithel für das Virus. Den Forschenden zufolge scheint es sich bei SARS-CoV-2 nicht um ein neurotropes Virus zu handeln.
Damit SARS-CoV-2 eine Zelle befallen kann, muss das Virus an einen Rezeptor auf der Zellmembran binden. Der klassische Eintrittsrezeptor ist ACE2. Frühere Studien haben gezeigt, dass ACE2 von Stützzellen im menschlichen Riechepithel gebildet wird, nicht aber von den Riechsinneszellen – also den Nervenzellen, die durch Geruchsstoffe in der eingeatmeten Luft stimuliert werden und elektrische Signale an den Riechkolben im Gehirn weiterleiten.
Welche Aufgaben die Stützzellen in der menschlichen Riechschleimhaut besitzen, ist bisher noch kaum untersucht. Studien an Labortieren deuten darauf hin, dass Stützzellen den Riechsinneszellen eine Reihe von unterstützenden Funktionen bieten, indem sie ihnen beispielsweise Stoffwechselprodukte liefern. Beide Zelltypen werden während des gesamten Lebens des Menschen kontinuierlich aus Stammzellen innerhalb des Riechepithels regeneriert.
Da die Riechschleimhaut tief in der Nasenhöhle liegt, können Gewebeproben bei Patienten, die an COVID-19 erkrankt sind, nicht einfach entnommen werden. Die Ärztinnen und Ärzte entwickelten deshalb ein neuartiges Protokoll zur Entnahme von Gewebeproben von verstorbenen COVID-19-Patienten und – als Kontrolle – von verstorbenen Patienten, die zum Zeitpunkt ihres Todes nicht mit SARS-CoV-2 infiziert waren. Der Arbeitsablauf begann mit der sofortigen Benachrichtigung eines Teams von Hals-Nasen-Ohren-Ärzten über den Tod eines COVID-19-Patienten auf einer Intensiv- oder Normalstation. Mit Hilfe eines Endoskops entnahmen die Ärzte am Bett des verstorbenen Patienten Gewebeproben aus den Atem- und Riechschleimhäuten sowie dem linken und dem rechten Riechkolben. Auf diese Weise konnten die Ärzte die Gewebeproben innerhalb von 60 bis 90 Minuten nach dem Tod des Patienten gewinnen. "Dank dieses kurzen Intervalls befanden sich die Gewebeproben für molekularbiologische Untersuchungen in einem einwandfreien Zustand", sagt Laura Van Gerven, Hals-Nasen-Ohrenärztin in Leuven und Mitleiterin des ANOSMIC-19 genannten Projekts.
Die Frankfurter Forscher unter der Leitung der Wissenschaftlerin Mona Khan färbten anschließend mit speziell entwickelten Sonden Schnitte der Gewebeproben an und analysierten sie unter einem konfokalen Mikroskop. Mit der ultrasensitiven Analysemethode, auch RNAscope genannt, können verschiedene Arten von RNA-Molekülen von SARS-CoV-2 innerhalb einzelner Zellen sichtbar gemacht werden. Durch die gleichzeitige Visualisierung und farbliche Unterscheidung der für die verschiedenen Zelltypen charakteristischen RNA-Moleküle in Kombination mit der klassischen Zellfärbung durch Antikörper konnten die Wissenschaftler die infizierten Zellen bestimmten Zelltypen zuordnen. "Unsere Ergebnisse zeigen, dass SARS-CoV-2 Stützzellen im Riechepithel von COVID-19-Patienten infiziert und sich in diesen Zellen stark vermehrt", sagt Peter Mombaerts, Direktor der Max-Planck-Forschungsstelle für Neurogenetik. Die Analyse von Schnitten der Riechschleimhaut eines COVID-19-Patienten mit einem neuartigen Ansatz der Ganztranskriptomanalyse unter Verwendung des Digital Spatial Profiler von NanoString Technologies ergab zudem, dass die Infektion der Stützzellen die Aktivität von Genen für Geruchsrezeptoren in den nahe gelegenen Riechsinneszellen nicht verändert.
Virus-RNA in den Hirnhäuten
Desweitern enthielten die Nervenzellen des Riechkolbens auch keine virale RNA. In einem Drittel der Fälle wiesen die Forscher das jedoch Virus in den so genannten Leptomeningen nach, den die Riechkolben umschließenden Hirnhäuten. Dort könnte die virale RNA von Viruspartikeln stammen, die über den Riechnerv oder über den Blutkreislauf in die Leptomeningen gelangt sind. Dies würde bedeuten, dass sie nicht aus infizierten Zellen stammen. Alternativ könnte es sich bei der viralen RNA, die die Forscher in den Leptomeningen nachweisen konnten, auch einfach um freigesetzte virale RNA-Moleküle handeln, die nicht in Viruspartikeln verpackt sind.
Die Ergebnisse sprechen nicht dafür, dass SARS-CoV-2 Nervenzellen des Menschen infizieren kann. Die Forschenden gehen deshalb davon aus, dass der Verlust des Geruchsinns durch einen Befall der Stützzellen ausgelöst wird, die dadurch die Riechsinneszellen nicht mehr ausreichend unterstützen können. Demnach wirkt das Virus also indirekt auf diese Nervenzellen ein, ohne sie jedoch zu infizieren. Die Folgen einer Infektion der Stützzellen könnten von Patient zu Patient variieren, zumal die Stützzellen aufgrund ihrer Lage an der Oberfläche der Nasenschleimhaut vom Immunsystem nur unzureichend geschützt werden könnten. Selbst geimpfte oder genesene Patienten könnten deshalb ihren Geruchssinn nach einer Infektion mit SARS-CoV-2 verlieren.