Eisschilde als Klimafaktor
Heute bedecken Eisschilde eine Fläche, die fast so groß ist wie Südamerika. Und auch wenn das nur drei Prozent der Erdoberfläche sind, spielen sie ähnlich wie das arktische Meereis eine große Rolle für das Klima. Um Eisschilde und deren Wechselwirkungen mit dem Klima zu berücksichtigen entwickeln wir ein Klimamodell, in dem sich Eisschilde mit der Zeit in ihrer Ausdehnung verändern können. Solche Veränderungen und Zusammenhänge werden in herkömmlichen Klimamodellen bislang nur unzureichend abgebildet.
Text: Marie -Luise Kapsch & Clemens Schannwell / Max-Planck-Institut für Meteorologie
In den letzten Jahrzehnten sind die Eisschilde Grönlands und der Antarktis stark geschrumpft, und wissenschaftlichen Prognosen zufolge wird sich ihr Rückgang in Zukunft noch verstärken. Eisschilde bilden sich an Land in Regionen mit ausreichend Schneefall, der sich über die Zeit durch Kompression zu Eis verdichtet. Sie entstehen also auf ganz andere Weise als das oft in der Öffentlichkeit diskutierte Meereis, welches sich durch das Frieren von Meerwasser bildet. Da sich der überwiegende Teil der Eisschilde an Land befindet, führt ein Abschmelzen der Eisschilde anders als das Tauen des Meereis zu einem Anstieg des Meeresspiegels. Abhängig von der Entwicklung der Treibhausgasemissionen und der damit verbundenen Schmelze der Eisschilde wird sich der Meeresspiegel bis zum Ende dieses Jahrhunderts vermutlich noch zwischen 0,3 und 1,1 Meter erhöhen. Dies hat nicht nur klimatologische, sondern auch sozioökonomische Auswirkungen, da weltweit etwa 267 Millionen Menschen in Gebieten leben, die weniger als einen Meter über Meeresspiegel-Niveau liegen.
Bereits in der Vergangenheit gab es mehrere Zeiträume, in denen Eisschilde starken klimatischen Änderungen ausgesetzt waren. So herrschte auf der Erde vor etwa 21.000 Jahren eine Kaltzeit, bei der die globale Durchschnittstemperatur etwa fünf Grad Celsius kälter war und der Meeresspiegel circa 120 Meter niedriger lag als heute. Große Eisschilde bedeckten Grönland, die Antarktis und Teile Nordamerikas und Eurasiens – insgesamt rund acht Prozent der Erdoberfläche. Vor etwa 19.000 Jahren begannen die Temperaturen wieder zu steigen, und ein großer Teil der Eisschilde verschwand. Dieser Übergang wird als letzte Termination bezeichnet. Heute sind nur noch der grönländische und der antarktische Eisschild übrig. Um die Klimaänderungen sowie die Wechselwirkungen zwischen Eisschilden und dem Klima besser zu verstehen, führen wir mit unserem neu entwickelten Klimamodell Simulationen langer Zeiträume durch. Daraus wollen wir auch Rückschlüsse auf mögliche zukünftige Klimaentwicklungen ziehen.
Kleine Unterschiede wirken sich stark auf das Klima aus
Ein Schwerpunkt unserer bisheriger Arbeiten war unter anderem ein besseres Verständnis der Auswirkungen von Unsicherheiten in der Ausdehnung und der Höhe der Eisschilde auf das Klima. Dafür haben wir die letzte Termination mit verschiedenen Eisschildrekonstruktionen simuliert: Diese ergeben sich aus der Analyse von geologischen Daten vergangener Eisschilde, die jedoch zeitlich und räumlich unvollständig sind. So kommt es zu verschiedenen Rekonstruktionen, die sich in Eisschildhöhe und -ausdehnung erheblich unterscheiden. Wie die Modellrechnungen zeigen, wirken sich bereits kleine Unterschiede stark auf das Klima aus. Die Veränderungen der Eisschilde beeinflussten dabei sowohl das Klima der letzten Kaltzeit als auch die Zeitpunkte und das Ausmaß abrupter Klimaschwankungen der Nordhemisphäre. Der Hauptgrund hierfür ist, dass die Eisbedeckung der Kontinente und der Eintrag von Schmelzwasser in den Ozean von sich verändernden Eisschilden Auswirkungen auf die atmosphärische und ozeanische Zirkulation hat. Diese regulieren wiederum, wie viel Wärme aus subtropischen Regionen in den Nordatlantik fließt und bestimmen damit das Klima in den angrenzenden Regionen wie zum Beispiel in Europa.
Große Veränderungen der Eisschilde beeinflussten das Klima auch wiederholt in einer Periode der letzten Kaltzeit zwischen 60.000 und 25.000 Jahren vor heute, dem sogenannten marinen Isotopenstadium 3. In dieser Phase prägten starke, zyklische Temperaturschwankungen das Klima der Nordhemisphäre. Zudem kam es zu periodisch auftretenden Instabilitäten der Eisschilde, die nach ihrem deutschen Entdecker als Heinrich-Ereignisse bezeichnet werden. Während eines Heinrich-Ereignisses wurden plötzlich große Mengen an Eisbergen vom nordamerikanischen Eisschild freigesetzt. Die Eisberge gelangten in den Ozean, wo sie unter anderem Einfluss auf die Ozeanzirkulation nahmen und zu einer deutlichen Abkühlung über den Nordatlantik führen konnten. Die genauen Mechanismen die zu diesen Ereignissen führen sind bis heute unklar.
Kontinuierlicher Eisstrom nach einem Kipppunkt
Um zu verstehen, wie unterschiedliche Klimabedingungen beeinflussen, wann ein Heinrich-Ereignis einsetzt, haben wir weitere Simulationen durchgeführt. In unseren Simulationen treten Heinrich-Ereignisse in verschiedenen Regionen des nordamerikanischen Eisschildes immer wieder auf, unterscheiden sich regional aber in ihrer Dynamik. Wie wir zudem festgestellt haben, führt ein wärmeres Klima häufig zur Überschreitung einer kritischen Schwelle, auch Kipppunkt genannt, bei dem es unter Umständen nicht mehr zu Heinrich-Ereignissen kommt, da sich ein kontinuierlicher Eisstrom einstellt. Solch ein Übergang kann den Meeresspiegel um mehrere Meter anheben und verdeutlicht, dass es in der Vergangenheit bereits Kippunkte gab, welche die Klimaentwicklung langfristig ändern können.
Unsere Studien unterstreichen die Bedeutung der Eisschilde für die kurz- und langfristige Klimaentwicklung. Sie zeigen, wie wichtig es ist, Veränderungen von Eisschilden in Modellsimulationen der Vergangenheit und Zukunft zu berücksichtigen. Im nächsten Schritt wollen wir Kipppunkte des Klimasystems identifizieren, die auf sich verändernde Eisschilde zurückzuführen sind und das Potential haben, die Klimaentwicklung nachhaltig zu ändern. Dazu gehören Änderungen des Jetstream, der atlantische Umwälzbewegung (AMOC), zu der auch der Golfstrom gehört, und der Eis-Albedo Rückkopplung. Letztere bedeutet, dass Eis Sonnenstrahlung stärker reflektiert als etwa Vegetation und sich die Erde deshalb dort weniger aufheizt, wo sie mit Eis bedeckt ist. Unser Modellsystem ermöglicht es uns, solche Prozesse und Rückkopplungen zwischen Eisschilden und dem Klima vollständig zu erfassen und zu untersuchen.