Unterstützung für Vielfalt
Mehrheit der deutschen Stadtbevölkerung sieht sozio-kulturelle Vielfalt positiv
Wenn Menschen Flüchtende unterstützen, ist dies nicht nur eine spontane Reaktion auf eine weltpolitische Katastrophe, sondern ein Zeichen eines breiten Konsenses zu gesellschaftlicher Vielfalt. Forschende des Max-Planck-Instituts zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen haben untersucht, wie weit die Akzeptanz von Diversität reicht.
Als im Spätsommer 2015 Hunderttausende Menschen vor dem Bürgerkrieg aus Syrien flohen, sorgte Deutschland mit seiner Willkommenskultur weltweit für Aufsehen. Doch von wissenschaftlicher Seite wurden seitdem vor allem negative Einstellungen zu Einwanderung und Vielfalt in Europa untersucht.
Das Projekt Diversity Assent am Max-Planck-Institut zur Erforschung multireligiöser und multiethnischer Gesellschaften in Göttingen setzt andere Akzente. Es beleuchtet in einer repräsentativen Umfrage in bislang ungekannter Breite die Determinanten von Zustimmung zu sozio-kultureller Vielfalt: Wer sind die Menschen, die eine positive Einstellung zur Vielfalt in der Gesellschaft haben und wie weit reicht ihr Konsens?
Dazu befragte ein Forscherteam um Karen Schönwälder und Eloisa Harris insgesamt 2917 Bewohnerinnen und Bewohner in 20 repräsentativ ausgewählten deutschen Städten in den alten und neuen Bundesländern zwischen November 2019 und April 2020 zu ihrer Akzeptanz von sozio-kultureller Vielfalt und ihrem Engagement für Geflüchtete seit 2015. „Wir sehen einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Akzeptanz von Vielfalt und der gezeigten Solidarität für Geflüchtete“, erklärt Projektleiterin Karen Schönwälder. „Die Ergebnisse belegen, dass etwa 70 Prozent der Befragten gesellschaftliche Vielfalt in unterschiedlicher Form positiv empfinden. Zugleich erkennen wir, dass die Hilfsbereitschaft der Bevölkerung 2015 aus unterschiedlichsten Gruppen der Gesellschaft kam und nicht ein einmaliger Impuls von Menschen bestimmter religiöser oder politischer Überzeugungen war.“
Große Hilfsbereitschaft seit 2015
Insgesamt engagierten sich 62 Prozent der Befragten zwischen 2015 und 2020 für Geflüchtete – am häufigsten mit Spenden: Nahezu jede/r Zweite gab Geld oder Sachwerte. 41 Prozent leisteten direkte Hilfe, 13 Prozent wurden zugunsten von Flüchtlingen politisch aktiv und demonstrierten – der Anteil der Befragten, die gegen Flüchtlinge oder Solidarität auf die Straße gingen, liegt bei unter einem Prozent. Dabei engagierten sich zahlreiche Menschen auf mehreren Ebenen: Fast jede/r Vierte leistete zusätzlich zu einer Spende aktive Hilfe. Sieben Prozent der Flüchtlingshelfenden brachten sich sogar dreifach ein: über Spenden, direkte Hilfe und Demonstrationen.
Kulturelle Diversität ist normal
Dank eines speziellen Studiendesigns gelang es dem Forscherteam, Aufschlüsse über unterschiedliche Aspekte der erlebten Diversität im eigenen Wohn- und Lebensumfeld und ihrer Akzeptanz zu erzielen. „Wir können zwischen der Beurteilung der Wirkung von Vielfalt auf Gesellschaft und Individuen und Positionen zu den Folgen einer vielfältigen Gesellschaft für Institutionen und Ressourcenverteilung unterscheiden“, erklärt die Politikwissenschaftlerin Eloisa Harris.
Die Mehrheit der Befragten erlebt Vielfalt der Studie zufolge bereits als normal und als Gewinn für die Gesellschaft und den Einzelnen. Ein Trend, der sich bereits 2010 und damit weit vor der europäischen Hochphase der Flüchtlingswanderung 2015/2016 in einer Vorgängerstudie des Instituts abzeichnete. „Wir neigen dazu, vor allem die Ablehnung von Diversität zu sehen. Dabei ist es keinesfalls die Mehrheit. Nur ein kleiner Teil der Gesellschaft sieht Vielfalt negativ“, erklärt Harris.
Rund 70 Prozent der Befragten sehen Vielfalt grundsätzlich als Bereicherung des städtischen Lebens an. Wie Vielfalt umgesetzt werden soll, bewerten sie unterschiedlich: Eine deutliche Mehrheit von 63 Prozent unterstützt den Wunsch nach Repräsentanz der Diversität in Parlamenten oder befürwortet die staatliche Kulturförderung für Minderheiten (58 Prozent). Dagegen ist die öffentliche Präsenz des Islam noch stärker umstritten (50 Prozent). Hinsichtlich des Schulfachs Religion indes sind die Befragten aufgeschlossener: Eine Gleichstellung aller Religionen im Schulunterricht wäre für die meisten wünschenswert.
Unter Anlegung eines strengen Maßstabs rechnet die Forschungsgruppe gut 63 Prozent der deutschen Stadtbevölkerung denjenigen zu, die Vielfalt konsequent als positiv für die Gesellschaft beurteilen. Die Gruppe der Menschen, die Vielfalt durchgängig auch in den Institutionen repräsentiert sehen wollen, ist mit 49 Prozent noch kleiner. Manche Befragten waren in diesem Punkt unentschlossen. (Die Studie befindet sich derzeit im Begutachtungsverfahren und ist online als preprint verfügbar.) Die breite Akzeptanz der Vielfalt sollte aber eine Basis sein, um für eine noch breitere Unterstützung gleicher Partizipation zu werben.
hut