Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Festkörperforschung

Elektronische Korrelationen in Nickelat-Supraleitern

Electronic correlations in superconducting nickelates

Autoren
Bogdanov, Nikolay A.; Katukuri, Vamshi M.; Alavi, Ali
Abteilungen
Theorie der elektronischen Struktur
Zusammenfassung
Starke Wechselwirkungen zwischen Elektronen spielen eine zentrale Rolle bei der Hochtemperatur-Supraleitung von dotierten Kupraten. Die Entdeckung dieser Eigenschaft in den isostrukturellen und isoelektronischen Nickeloxiden ist bedeutsam, obwohl sie sich erst drei Jahrzehnte nach ihrer Entdeckung in Kupraten realisieren ließ. Durch den Einsatz von ab-initio Quantenchemiemethoden untersuchen wir die Unterschiede in der elektronischen Struktur dieser scheinbar ähnlichen Systeme und schließen damit Rückschlüsse auf die mikroskopischen Ursachen des Phänomens.
Summary
Strong electron-electron interactions play a pivotal role in the manifestation of superconductivity at high temperatures in doped cuprates. The finding of superconductivity in isostructural and isoelectronic nickel oxides is exciting, although not realized until after three decades of its discovery in cuprates. It is fascinating to see how different the electronic correlations are in the two seemingly identical systems and explore the physical features that support or hinder superconductivity. We provide an insight into these differences using ab initio quantum chemistry methods.

Die Entdeckung der Supraleitung in lochdotierten Nickelaten (LaNiO2, La = {Nd, Pr} ) [1], ist bemerkenswert. Denn diese Materialien ähneln isostrukturell und elektronisch stark korrelierten Kupferoxidverbindungen (Kupraten), bei denen die Hochtemperatur-Supraleitung als erstes beobachtet wurde. Unter atmosphärischem Druck ist die kritische Temperatur (TC) in Kuprat-Supraleitern mit 134 Kelvin vergleichsweise hoch, während sie bei Nickelaten im Bereich von 10 Kelvin bis 15 Kelvin liegt.

Die geringe kritische Temperatur in Nickelaten wirft Fragen zum mikroskopischen Ursprung der grundlegenden physikalischen Phänomene auf, welche die Supraleitung in stark korrelierten Materialien antreiben. Obwohl es keine Theorie gibt, die den Ursprung der Supraleitung in diesen Systemen vollständig erklärt, herrscht weitgehender Konsens darüber, dass antiferromagnetische Korrelationen im Grundzustand entscheidend sind. Daraus enstehende Quantenspinfluktuationen übernehmen die Rolle von Schwingungen, die Phononen in herkömmlichen Supraleitern ähneln. Die antiferromagnetische Néel-Ordnung und die entsprechenden Fluktuationen manifestieren sich in Kupraten aus den lokalisierten Momenten des Mott-Isolator-Grundzustands, der selbst eine Folge starker elektronischer Wechselwirkungen der Valenzorbitale ist. Im Rahmen des bekannten Hubbard-Modells ist die magnetische Austauschwechselwirkung als 4t2/U gegeben, wobei t das Transfer-Integral zwischen zwei Orbitalen und U die Coulomb-Abstoßung auf demselben Gitterpunkt ist. In Kupraten hat die Austauschwechselwirkung zum nächsten Nachbarn einen Wert von etwa 250 Millielektronvolt (in Sr2CuO3).

Wir haben untersucht, wie sich das supraleitende Nickelmaterial NdNiO2 vom Kuprat-Analog CaCuO2 unterscheidet [2]. Um die elektronischen Korrelationen in diesen beiden Materialen zu erläutern, verwenden wir korrelierte Multireferenz-Methoden der Quantenchemie wie die Dichtematrix-Renormalisierungsgruppe und full configuration interaction Quantum Monte Carlo.

Nickelate in d9-Elektronenkonfiguration

In den meisten anorganischen Festkörpern ist Nickel stabil im Oxidationszustand +2 mit einer 3d8‑Valenzkonfiguration vorzufinden. In oktaedrisch koordinierten Verbindungen führt die d8‑Konfiguration zum High-Spin-Zustand, wobei ungepaarte Elektronen in den vom Kristallfeld aufgespaltenen eg-Orbitalen parallel ausgerichtet sind. In der Kristallstruktur von NdNiO2 wird jedoch Ni1+ stabilisiert, obgleich es,  wie in Abbildung 1 gezeigt, eine quadratisch-planare Koordinationsgeometrie ausweist [1]. Die 3d-Multiplettstruktur des Ni1+-Ions in NdNiO2 ähnelt auffällig der des Cu2+-Ions in CaCuO2, wobei sich im Grundzustand ein einzelnes Loch im 3d x2−y2-Orbital befindet. In der Nickelverbindung liegen die niedrigsten und höchsten angeregten Zustände mit einem Loch in den 3d xy- und 3d z2-Orbitalen bei 1,4 Elektronvolt und 3,1 Elektronvolt, im Vergleich zu 1,7 Elektronvolt und 2,7 Elektronvolt im isostrukturellen Kuprat. Während in beiden Verbindungen etwa 80 Prozent der Wellenfunktion vom Zustand mit einem Loch im 3d x2−y2-Orbital dominiert wird, variiert die restliche Zusammensetzung stark. Der zweitgrößte Beitrag ist die erwartete Metall 3d x2−y2 zu Sauerstoff 2p σ* Charge Transfer Konfiguration, die etwa 1,7 Prozent des Gewichts in CaCuO2 aber nur ungefähr 0,5 Prozent in NdNiO2 ausmacht. Die nachfolgenden Terme in der Wellenfunktion des Cuprats sind Einzelanregungen von Cu 3d zu 4d Orbitalen, was einer als Breathing bezeichneten Relaxation entspricht [3]. In Nickelaten hingegen spielen doppelte Anregungen von Nickel 3d- zu 4d-Orbitalen eine untergeordnete Rolle, was auf das Vorhandensein starker dynamischer Elektronenkorrelationen hinweist.

Orbital-Verschränkungsentropie

Für eine Wellenfunktion, die als Linearkombination von Slater-Determinanten gegeben ist, lassen sich Elektronenkorrelationseffekte durch die von-Neumann-Entropie der besetzten Orbitale quantifizieren. Eine Maßeinheit ist die Einzelorbitalentropie s(1)i, welche die Korrelation des Orbitals i mit den anderen Orbitalen angibt. Eine andere Maßeinheit ist die gegenseitige Orbitalinformation Ii,j, mit der die Korrelationen innerhalb eines Orbitalpaars in der eingebetteten Umgebung aller anderen Orbitale veranschaulicht werden können. s(1)i nimmt ein Maximum an, wenn alle vier möglichen Besetzungen eines Orbitals gleichermaßen wahrscheinlich sind. Daher erfährt ein Orbital mit einer großen s(1)i starke Ladungsschwankungen, was auf ein stark korreliertes Orbital hindeutet. In Abbildung 2 sind s(1)i (Punkte) und Ii,j (Linien) – gewonnen aus oben genannten Wellenfunktionen (siehe [2] für Details) – dargestellt. Da der Sauerstoff 2p σ*-Ladungstransfer in NdNiO2 geringer ist als in CaCuO2, ließ sich eine deutlich höhere Orbitalinformation zwischen den 3d- und 4d-Orbitalen beobachten. Das weißt darauf hin, dass die dynamische Elektronenkorrelation innerhalb der d-Orbitale in NdNiO2 stark ist, weshalb wir mit stärkeren Multipletteffekten rechnen.

Magnetische Austauschwechselwirkungen

Der magnetische Austausch (J) in diesen Systemen beruht hauptsächlich auf dem Superaustausch und wird durch virtuelle Elektronenanregungen (oder Löcher), t, von den vermittelnden Sauerstoff-Liganden und durch die effektive lokale Coulomb-Abstoßung Ueff an den 3d-Orbitalen der Ni (Cu)-Ionen vermittelt. Eine schwächere Hybridisierung zwischen den Übergangsmetall 3d- und Sauerstoff 2p-Orbitalen in Nickelaten sollte zu einem geringeren t Wert und daher zu einem kleineren J führen. Berechnungen vom Mean-Field-Typ legen J-Werte in Nickelaten nahe, die etwa 10 mal kleiner sind als die in Kupraten beobachteten [4]. Im Gegensatz zum vorherrschenden Konsens prognostizieren unsere quantenchemischen Berechnungen eine vergleichsweise starke magnetische Kopplung von 78 Millielektronvolt für NdNiO2, nur etwa 2,5-mal kleiner im Vergleich zum isostrukturellen Kuprat. Bemerkenswerterweise ließen sich diese Vorhersagen später experimentell verifizieren [5]. Es stellte sich heraus, dass stärkere Mehrteilchen-Wechselwirkungen in Nickeloxiden die Reduzierung der effektiven Coulomb-Abstoßung Ueff bewirken und daher zu einem relativ großen magnetischen Austausch führen.

Insgesamt sind die Ausgangsverbindungen der Nickelat-Supraleiter den Kuprat-Analogen sehr ähnlich, jedoch ist das Zusammenspiel mikroskopischer Wechselwirkungen verschieden. Die effektiven lokalen Coulomb-Wechselwirkungen sind geringer in d9-Nickelaten, was zu einem größeren Austausch führt als erwartet, auch wenn die Hybridisierung zwischen Ni 3d- und O 2p-Orbitalen gering ist.

Literaturhinweise

Li, D.; Lee, K.; Wang, B. Y.; Osada, M.; Crossley, S.; Lee, H. R.; Cui, Y.; Hikita, Y.; Hwang, H. Y.
Superconductivity in an infinite-layer nickelate
Nature 572, 624-627 (2019)
Katukuri, V. M.; Bogdanov, N. A.; Weser, O.; van den Brink, J.; Alavi, A.
Electronic correlations and magnetic interactions in infinite-layer NdNiO2
Physical Review B 102, 241112 (2020)
Bogdanov, N. A.; Li Manni, G.; Sharma, S.; Gunnarsson, O.; Alavi, A.
Enhancement of superexchange due to synergetic breathing and hopping in corner-sharing cuprates
Nature Physics 18, 190-195 (2022)
Jiang, M.; Berciu, M.; Sawatzky, G. A.
Critical Nature of the Ni Spin State in Doped NdNiO2
Physical Review Letters 124, 207004 (2020)
Lu, H.; Rossi, M.; Nag, A.; Osada, M.; Li, D. F.; Lee, K.; Wang, B. Y.; Garcia-Fernandez, M.; Agrestini, S.; Shen, Z. X.; Been, E. M.; Moritz, B.; Devereaux, T. P.; Zaanen, J.; Hwang, H. Y.; Zhou, K.-J.; Lee, W. S.
Magnetic excitations in infinite-layer nickelates
Science 373, 213-216 (2021)

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