Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Chemie
Feinstaub katalysiert oxidativen Stress in der Lunge
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
Luftverschmutzung führt weltweit zu erhöhten Gesundheitsrisiken, allerdings sind die zugrunde liegenden chemischen Mechanismen noch nicht vollständig verstanden. Feinstaub enthält chemische Bestandteile, die Oxidationsreaktionen auslösen können. Werden diese eingeatmet, und lagern sie sich in den menschlichen Atemwegen ab, können sie eine Reihe von Radikalreaktionen auslösen und am Laufen halten. Diese führen zur Produktion reaktiver Sauerstoffspezies im Flüssigkeitsfilm des Lungenepithels, der die Atemwege und Lungenbläschen der menschlichen Lunge bedeckt.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die Bildung reaktiver Sauerstoffspezies wie Wasserstoffperoxid, Superoxid und Hydroxyl-Radikale zu oxidativem Stress führen, der Gewebe und Zellstrukturen schädigt. In der wissenschaftlichen Literatur wird die Gesamtproduktion reaktiver Sauerstoffspezies in der Lunge deshalb häufig als Maß genutzt, um die schädliche Wirkung von Luftschadstoffen abzuschätzen.
Neue Erkenntnisse, wie Luftverschmutzung im menschlichen Körper wirkt
In diesem Zusammenhang entdeckte meine Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Chemie unter anderem zwei neue Details über die Wirkung von Luftverschmutzung im Körper. Zum einen fanden wir Hinweise, dass die Konzentration reaktiver Sauerstoffspezies im Flüssigkeitsfilm des Lungenepithels der menschlichen Atemwege hauptsächlich von im Körper selbst produziertem (das heißt endogenem) Wasserstoffperoxid abhängt, und weniger vom eingeatmeten Feinstaub. Das war erst einmal verwunderlich, da wir aus medizinischen und epidemiologischen Studien wissen, dass sich viele negative Gesundheitseffekte dem Feinstaub zuschreiben lassen.
Zum anderen war die Produktion von Hydroxyl-Radikalen in unseren Rechnungen stark mit Feinstaub korreliert. Unsere neuen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass Feinstaub überwiegend durch Umwandlung von Peroxiden in hochreaktive Radikale wirkt. Im Gegensatz zum bereits sehr reaktiven Wasserstoffperoxid sind Hydroxyl-Radikale noch einmal um Größenordnungen reaktionsfreudiger, sodass sie augenblicklich mit biologischen Molekülen wie Proteinen und Membranlipiden reagieren.
Das heißt, Feinstaub ist weniger der Treibstoff, sondern vielmehr der Katalysator der chemischen Reaktionen, die die Zellen und Gewebe schädigen. Wir wissen zudem, dass Feinstaub die Produktion von Superoxid aus endogenen Quellen stimulieren kann, was zusätzlich zur gesundheitsschädlichen Wirkung beiträgt.
Neuer Forschungsansatz zur Berechnung der Gesundheitsgefahr durch Luftverschmutzung
Meine Gruppe bediente sich eines Computermodells namens KM-SUB-ELF 2.0, das wir eigens für diese Studie entwickelt und programmiert haben. Dabei handelt es sich um ein Modell für chemische Reaktionsgeschwindigkeiten in Multiphasen-Systemen. Das Modell simuliert den Transport von Luftschadstoffen in die Lunge und die chemischen Reaktionen, die sich in den Atemwegen abspielen. Wir nutzen es, um die maßgeblichen physikalischen, chemischen und biologischen Prozesse zu identifizieren und die gesundheitsschädlichen Auswirkungen der verschiedenen Arten von Luftschadstoffen zu verstehen.
Wir haben in der neuen Version unseres Computermodells erstmals die Produktion, Diffusion und den Verbrauch von Wasserstoffperoxid in den Zellen und der Blutbahn betrachtet. Diese in biologischen Geweben ablaufenden Prozesse in präzise mathematische Gleichungen zu fassen, war herausfordernd. Vor allem die Durchlässigkeit der Blut-Luft-Schranke für Wasserstoffperoxid ist im Modell von großer Bedeutung, doch ihr Zahlenwert war uns nicht genau bekannt. Wir konnten dieses Problem aber lösen und diese Durchlässigkeit anhand von bekannten Wasserstoffperoxid- und Enzym-Konzentrationen in den verschiedenen Geweben eingrenzen.
Unsere Modellrechnungen ergaben, dass die Gesamtkonzentration der reaktiven Sauerstoffspezies in der Lunge durch körpereigene Prozesse relativ konstant gehalten wird, und nicht unmittelbar mit der Feinstaubbelastung zusammenhängt.
Auswirkungen der neuen Forschungsergebnisse
Die Erkenntnisse aus unserer Studie deuten darauf hin, dass die derzeitigen Ansätze zur Bewertung der unterschiedlichen Toxizität einzelner Feinstaub-Bestandteile einer kritischen Neubewertung unterzogen werden müssen. Zu überdenken ist, ob zellfreie Untersuchungsverfahren, wie sie derzeit üblich sind, weiterhin eine gute Vergleichsgröße für die Bewertung gesundheitsschädlicher Bestandteile des Feinstaubs bleiben sollten. Diese Verfahren untersuchen häufig die Gesamtmenge reaktiver Sauerstoffspezies, und seltener die Bildung hochreaktiver Hydroxyl-Radikale. Die direkte Messung der Bildung solch kurzlebiger Radikale ist jedoch außerordentlich schwierig. Eine weitere Studie aus meiner Gruppe beschäftigt sich daher damit, wie wir die Oxidation und Nitrierung von Proteinen als Marker für oxidativen Stress in der Lunge mit unseren Modellen simulieren können. Diese Marker lassen sich wesentlich einfacher in lebenden Organismen nachweisen.
Folgestudien zur Rolle sekundärer organischer Aerosole
Um die chemischen Mechanismen besser zu verstehen, die den gesundheitsschädlichen Auswirkungen der Luftverschmutzung zugrunde liegen, ist weitere Forschung wichtig. Dazu hat meine Gruppe bereits eine neue Studie angeschlossen. Diese berücksichtigt die vielfältigen Interaktionen zwischen der Radikal-Produktion von Feinstaub und der Produktion von reaktiven Sauerstoffspezies aus körpereigenen Quellen.
Literaturhinweise
DOI: 10.1021/acs.est.3c03556
DOI: 10.1021/acs.est.1c03875