Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Radioastronomie

GLOSTAR – auf der Suche nach atomarem und molekularem Gas in der Milchstraße

GLOSTAR - tracing atomic and molecular gas in the Milky Way

Autoren
Wyrowski, Friedrich
Abteilungen

Max-Planck-Institut für Radioastronomie, Bonn

Zusammenfassung
Durch die Kombination von zwei der leistungsfähigsten Radioteleskope der Erde hat ein internationales Forscherteam unter der Leitung des Max-Planck-Instituts für Radioastronomie (MPIfR) in Bonn die bisher empfindlichsten Karten der Radiostrahlung großer Teile der nördlichen galaktischen Ebene erstellt. Im Gegensatz zu früheren Kartierungen beobachtet GLOSTAR nicht nur das Radiokontinuum im Frequenzbereich von 4 bis 8 GigaHertz mit voller Polarisation, sondern gleichzeitig auch Spektrallinien, die das molekulare Gas und atomares Gas über Radio-Rekombinationslinien erfassen.
 
Summary
By combining two of the most powerful radio telescopes on Earth, an international team of researchers led by the Max Planck Institute for Radio Astronomy (MPIfR) in Bonn, created the most sensitive maps of the radio emission of large parts of the Northern Galactic plane so far. Contrary to previous surveys, GLOSTAR observed not only the radio continuum in the frequency range from 4-8 GigaHertz in full polarization, but simultaneously also spectral lines that trace the molecular gas and atomic gas via radio recombination lines.

In der Radioastronomie bedienen sich Astronomen häufig eines Trick, um schärfere Bilder des Himmels zu erzeugen: Dazu schalten sie mehrere Teleskope mittels Interferometrie zu einem größeren zusammen. So etwa auch bei dem Karl G. Jansky Very Large Array in New Mexico, kurz VLA, bei dem zu diesem Zweck die Signale von 27 Einzelantennen korreliert werden. Dabei geht die großräumige Emission oft verloren. Diese diffuse Komponente der Radiostrahlung lässt sich jedoch durch Hinzufügen von Daten des 100-Meter-Teleskops in Effelsberg wieder herstellen (siehe Abb. 1). Damit steht erstmals eine Radiokartierung zur Verfügung, die alle Winkelskalen bis hinunter zu 1,5 Bogensekunden abdeckt. Das entspricht der scheinbaren Größe eines auf dem Boden liegenden Tennisballs, gesehen aus einem Flugzeug in der Luft. Um die 145 Quadratgrad der GLOSTAR-Durchmusterung vollständig zu kartieren, musste das Team kleinere Bilder von fast 50.000 verschiedenen Positionen kombinieren. Die Kartierung benötigte etwa 700 Stunden Beobachtungszeit am VLA. Dadurch fielen fast 40 Terabyte an Rohdaten an.

Anhand des faszinierenden neuen Datensatzes untersuchen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun das interstellare Medium in der Milchstraße sowie massereiche Sterne in ihrer Kindheit und ihrem Tod. Bisherige Durchmusterungen haben nur etwa 30 Prozent der erwarteten Anzahl von Supernova-Überresten in der Milchstraße erfasst. Dank der beispiellosen Empfindlichkeit der GLOSTAR-Durchmusterung war es nun möglich, allein in den VLA-Daten 80 neue Kandidaten zu finden und damit die Anzahl im beobachteten Gebiet zu verdoppeln. Dies ist ein wichtiger Schritt, um das seit langem bestehende Rätsel der fehlenden Supernova-Überreste in der Milchstraße zu lösen. Mit den spannenden Ergebnissen von Kartierungen im Submillimeter- und im fernen Infrarot-Bereich vom Boden und aus dem Weltraum ließen sich massereiche und kalte Staubklumpen, aus denen sich die massereichen Sternhaufen bilden, über die gesamte Milchstraße hinweg nachweisen. Ergänzend zu diesen Ergebnissen liefert die GLOSTAR-Kartierung ein sehr aussagekräftiges und umfassendes Bild sowohl der ionisierten als auch der molekularen Gebiete in der galaktischen Ebene, in denen Sterne jüngst entstanden sind oder erst noch entstehen werden.

Die vorliegende Kartierung deckt auch den nahen Sternentstehungskomplex Cygnus X ab (siehe Abb. 1). Hier wurden neue Quellen mit 6,7 GigaHertz Methanol-Maser-Emission entdeckt. Diese findet man ausschließlich in Regionen, in denen sehr massereiche Sterne von mindestens acht Sonnenmassen entstehen. Während alle Methanolmaser im Cygnus-X-Komplex mit Staubemission assoziiert sind, lassen sich weniger als die Hälfte der Quellen auch im Radiokontinuum nachweisen. Diese Maser sind Wegweiser für Sterne in einem sehr frühen Entwicklungsstadium, noch bevor nachweisbare Radiostrahlung zu sehen ist. Echte massereiche "Proto"-Sterne zu identifizieren, ist seit langem ein Ziel der Sternentstehungsforschung. Mithilfe der Daten des Effelsberg-Teleskops ist es auch gelungen, weitverbreitete Absorption durch Formaldehyd-Gas im Cygnus-X-Komplex zu beobachten. Hier fand das GLOSTAR-Team heraus, dass auf Größenskalen von 15 Lichtjahren die lokalen Geschwindigkeitsgradienten parallel zu den Magnetfeldern verlaufen. Absorption zeigte sich sogar in Regionen mit nur schwacher Kontinuumsstrahlung. Das deutet darauf hin, dass ein Teil der Absorption gegen die kosmische Hintergrundstrahlung gemessen wurde.

Die große Anzahl von Radioquellen zu katalogisieren, ist ebenfalls eine Herausforderung. In den vollständigen GLOSTAR-Datensätzen werden mehr als zehntausend diskrete Quellen unterschiedlicher Natur erwartet, fast 100 pro Quadratgrad. Das Team hat bereits mit deren Klassifikation begonnen und dabei bislang neben den schon erwähnten Supernovaüberresten auch zahlreiche neue Kandidaten für Sternentstehungsgebiete und planetare Nebel entdeckt.

Von Anfang an haben wir am MPIfR eine Reihe von umfangreichen Kartierungen des Radiohimmels durchgeführt, die meisten davon allerdings bei größeren Wellenlängen. Die GLOSTAR-Durchmusterung ist die erste Durchmusterung im Mikrowellen-Bereich von 4 bis 8 Gigahertz, die mit den Infrarot-Durchmusterungen im Weltraum in Bezug auf räumliche Skalen und dynamische Bereiche konkurrieren kann. So wird sie einen einzigartigen Datensatz in Hinblick auf eine globale Perspektive zur Untersuchung der Sternentstehung in unserer Galaxie liefern .

 

Brunthaler, A. et al. 2021
A global view on star formation: The GLOSTAR Galactic plane survey
Astronomy & Astrophysics
Dokara, R. et al., 2021
A Global View on Star Formation: The GLOSTAR Galactic Plane Survey. II. Supernova remnants in the first quadrant of the Milky Way?
Astronomy & Astrophysics
Ortiz-León, G.N. et al., 2021
A global view on star formation: the GLOSTAR Galactic plane survey. III. 6.7 GHz methanol maser survey in Cygnus X
Astronomy & Astrophysics
Gong, Y. et al. 2023
A global view on star formation: The GLOSTAR Galactic plane survey
Astronomy & Astrophysics

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