Ein Röntgenbild des halben Universums

Daten der bisher umfangreichsten Durchmusterung des Röntgenhimmels mit dem eRosita-Teleskop weltweit veröffentlicht

Die Röntgenastronomie blickt auf eine ereignisreiche 60-jährige Geschichte zurück, in der sie die Extreme des Universums erforscht hat: von explodierenden Sternen bis hin zu aktiven Galaxienkernen, die mit ihren supermassiven Schwarzen Löchern zu den effizientesten Energiequellen im Universum zählen. Während die meisten Röntgenteleskope gebaut werden, um solche Phänomene im Detail zu beobachten, hat eRosita das große Ganze im Blick. Dazu gehören die größten Strukturen im Universum, Filamente aus heißem Gas, die mächtige Galaxienhaufen miteinander verbinden und in denen sich Antworten auf die wohl größten Fragen verbergen könnten: Wie hat sich das Universum entwickelt und warum dehnt es sich aus?
 

Das deutsche eRosita-Konsortium hat heute seinen Anteil an den Daten veröffentlicht, die das Röntgenteleskop eRosita auf dem Satelliten Spektrum-RG bei seiner ersten Himmelsdurchmusterung gesammelt hat. Der erste eRosita All-Sky Survey Katalog (eRASS1) ist mit rund 900.000 einzelnen Quellen die größte jemals veröffentlichte Sammlung von Röntgenquellen. Zusammen mit den Daten veröffentlicht das Konsortium eine Reihe wissenschaftlicher Publikationen mit neuen Ergebnissen, die von Studien über die Bewohnbarkeit von Planeten bis zur Entdeckung der größten kosmischen Strukturen reichen. In den ersten sechs Beobachtungsmonaten hat eRosita bereits mehr Röntgenquellen entdeckt als jemals zuvor in der 60-jährigen Geschichte der Röntgenastronomie. Die Daten stehen der wissenschaftlichen Gemeinschaft weltweit zur Verfügung.

Über 700.000 supermassereiche schwarze Löcher

Schwenk über den eRosita-Himmel

Die Animation zeigt den Röntgenhimmel, wie er von eRosita beobachtet wurde. Die Röntgenbänder wurden entsprechend ihrer Energie farblich kodiert (rot für 0,3-0,6 keV, grün für 0,6-1 keV, blau für 1-2,3 keV) und eine Reihe prominenter Quellen wurden hervorgehoben.

Die eRASS1-Beobachtungen mit dem eRosita-Teleskop wurden vom 12. Dezember 2019 bis zum 11. Juni 2020 durchgeführt. Die hier veröffentlichten Daten decken die Hälfte des gesamten Himmels ab. Im empfindlichsten Energiebereich der eRosita-Detektoren (0,2-2 Kiloelektronenvolt / keV) hat das Teleskop 170 Millionen Röntgenlichtteilchen entdeckt – eine Rekordzahl. In der Röntgenastronomie ist es möglich, einzelne Lichtteilchen (Photonen), mit ihrer jeweiligen Energie und ihrer Ankunftszeit im Detektor zu messen. Nach sorgfältiger Verarbeitung und Kalibrierung fand man neben einem großflächigen und diffusen Röntgenhintergrund auch, wie sich an zahlreichen Positionen am Himmel Photonen ballten – entsprechend der fast eine Million nachgewiesenen Objekte, die im Röntgenlicht strahlen. Nach eRASS1 setzte eRosita die Durchmusterung des Himmels bis Februar 2022 fort. Auch diese Daten werden in den kommenden Jahren der Weltöffentlichkeit zugänglich gemacht.

Unter den 900.000 Quellen befinden sich etwa 710.000 supermassereiche schwarze Löcher in fernen Galaxien (aktive galaktische Kerne), über 180.000 aktive Sterne in unserer eigenen Milchstraße oder 12.000 Galaxienhaufen, neben einer kleinen Anzahl weiterer exotischer Quellen wie röntgenstrahlende Doppelsterne, Supernovaüberreste oder Pulsare. „Das sind überwältigende Zahlen für die Röntgenastronomie“, sagt Andrea Merloni, leitender Wissenschaftler von eRosita und Erstautor des eRosita-Katalogs. „Wir haben in sechs Monaten mehr Quellen entdeckt als die großen Flaggschiff-Missionen XMM-Newton und Chandra in fast 25 Jahren.“

Kann Röntgenstrahlung von Sternen Planeten unbewohnbar machen? 

Zeitgleich mit der Datenfreigabe reicht das deutsche eRosita-Konsortium fast 50 wissenschaftliche Publikationen bei referierten Fachzeitschriften ein, die Teile der Katalogdaten interpretieren. Die meisten dieser Veröffentlichungen erscheinen mit dieser Ankündigung. Zu den darin beschriebenen Entdeckungen gehören auch mehr als 1000 Superhaufen von Galaxien, das riesige Filament von warm-heißem, reinem Gas zwischen zwei Galaxienhaufen und zwei neue „quasi-periodisch ausbrechende“ Schwarze Löcher. Außerdem wird untersucht, wie die Röntgenstrahlung eines Sterns die Atmosphäre von Planeten und damit deren Wassergehalt beeinflussen kann. Miriam Ramos-Ceja, die das eRosita Operations Team leitet, wünscht sich, dass diese ersten Ergebnisse eine inspirierende Wirkung haben werden. „Wir hoffen, dass dadurch weltweit noch mehr Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler mit Hochenergie-Daten arbeiten und so die Grenzen der Röntgenastronomie weiter verschieben werden“.

„Der Umfang der wissenschaftlichen Ergebnisse und die Bedeutung der Durchmusterung sind ziemlich überwältigend und lassen sich nur schwer in Worte fassen“, sagt Mara Salvato, die als Sprecherin des deutschen eRosita-Konsortiums die Arbeit von rund 250 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in 12 Arbeitsgruppen koordiniert.

Neben einem Katalog neuer und bekannter kosmischer Röntgenquellen, veröffentlicht das Konsortium auch Bilder des Röntgenhimmels bei verschiedenen Energien und die nötige Software, um die Datenfülle eingehend zu analysieren. Das eRosita-Team hat den Röntgenkatalog zudem mit Messungen anderer Teleskope bei anderen Wellenlängen angereichert, um das Bild zu vervollständigen.   

Jetzt sind die vielen Universitäten und Forschungseinrichtungen weltweit am Zug. „Wir sind gespannt, was der Rest der Welt in den veröffentlichten Daten finden wird“, sagt Kirpal Nandra, Direktor am Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik.

HH, BEU

Hintergrundinformationen

eROSITA ist das Instrument für die weiche Röntgenstrahlung an Bord von Spektrum-RG (SRG), einer gemeinsamen russisch-deutschen Wissenschaftsmission, die von der Russischen Raumfahrtagentur Roskosmos im Interesse der Russischen Akademie der Wissenschaften, vertreten durch ihr Institut für Weltraumforschung (IKI), und der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt wird. Die SRG-Raumsonde wurde von der Lavochkin Association (NPOL) und ihren Auftragnehmern gebaut und wird von NPOL mit Unterstützung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) betrieben.

Das Teleskop wurde am 13. Juli 2019 an Bord der SRG-Mission ins All gebracht. Seine große Sammelfläche und sein weites Sichtfeld sind für eine tiefe Durchmusterung des gesamten Himmels im Röntgenbereich ausgelegt. Über sechs Monate hinweg (Dezember 2019 – Juni 2020) hat SRG/eROSITA die erste Durchmusterung des gesamten Himmels bei Energien von 0,2-8 keV abgeschlossen. Dies ist deutlich tiefer als die einzige bisher existierende Durchmusterung des gesamten Himmels mit einem Röntgenteleskop, die 1990 von ROSAT bei Energien von 0,1-2,4 keV durchgeführt wurde. Drei weitere vollständige Durchmusterungen des gesamten Himmels wurden zwischen Juni 2020 und Februar 2022 abgeschlossen.

Das deutsche eROSITA-Konsortium wird vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) geleitet und umfasst die Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg, die Sternwarte der Universität Hamburg, das Leibniz-Institut für Astrophysik Potsdam (AIP) und das Institut für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen, mit Unterstützung des DLR und der Max-Planck-Gesellschaft. Das Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn und die Ludwig-Maximilians-Universität München sind als assoziierte Institute ebenfalls an der wissenschaftlichen Nutzung von eROSITA beteiligt. eROSITA-Daten werden mit dem vom deutschen eROSITA-Konsortium entwickelten Softwaresystem eSASS verarbeitet.

eROSITA wurde im Februar 2022 in den Safe Mode versetzt und hat den wissenschaftlichen Betrieb seither nicht wieder aufgenommen.

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