Sunrise III hebt ab
Von der Stratosphäre aus hat das ballongetragene Sonnenobservatorium einen ungestörten Blick auf die Sonne
Nach einer Reihe wetterbedingter Abbrüche seit Ende Mai hat das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III nun seinen Forschungsflug begonnen. Am 10. Juli 2024 um 6.24 Uhr (MESZ) ist es von der Ballon- und Raketenbasis Esrange Space Center in der Nähe der nordschwedischen Kleinstadt Kiruna abgehoben. Ein Heliumballon trägt das mehr drei Tonnen schwere Teleskop in der Stratosphäre entlang des Polarkreises über den Atlantik bis nach Kanada. Während der Reise untersucht Sunrise III die äußere Schicht der Sonne, in der etwa Sonnenstürme ihren Anfang nehmen. Die Daten sollten vielversprechend sein, denn die Sonne ist aktuell besonders aktiv.
Sunrise III wird Prozesse in einer mehr als 2000 Kilometer dicken Schicht der Sonne beobachten. Diese reicht von knapp unter der Oberfläche bis in die obere Chromosphäre. Das Zusammenspiel dynamischer Magnetfelder und heißer Plasmaströme in dieser Region treibt die Aktivität der Sonne an. Sunrise III macht die Prozesse und Strukturen mit extrem hoher räumlicher Auflösung und ohne Unterbrechung sichtbar. Aktuell sind auf der Sonnenoberfläche mehrere große Gruppen von Sonnenflecken zu sehen. Solche Gebiete können Ausgangspunkte von Sonneneruptionen sein. Der Start des Sonnenobservatoriums ist zudem der Auftakt für eine weltweite Beobachtungskampagne: Zeitgleich blicken nun vier Raumsonden und zehn bodengebundene Sonnenteleskope auf unser Zentralgestirn.
„Wir sind wahnsinnig erleichtert, dass der Start heute geglückt ist und bisher alles reibungslos läuft“, berichtet Sunrise III-Projektmanager Andreas Korpi-Lagg, der den Start am Göttingen Operations Center, dem Kontrollzentrum der Mission am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung, verfolgt hat. Es blieb spannend bis zuletzt: Ende Mai und Anfang Juni mussten einige Startversuche wegen ungünstiger Wind- und Wetterbedingungen abgebrochen werden. Der Start glückte beinahe im letzten möglichen Zeitfenster für diese Saison. Das Teleskop soll durch die Stratosphärenwinde entlang des Polarkreises nach Westen getragen werden, diese Winde zeigen aber schon erste Zeichen von Instabilität. Die Winde seien aber laut der beteiligten Nasa-Meteorologen noch stabil gut für einen sicheren Flug.
Sunrise trifft Hercules
Am Tag zuvor, gegen 21 Uhr (MESZ), begannen die Vorbereitungen, sowohl auf der Ballon- und Raketenbasis im Norden Schwedens, als auch in den Kontrollzentren am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung in Göttingen und dem Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins Universität in Maryland, USA. Zunächst öffnet sich das Tor der Ballonhalle, in der das internationale Sunrise III-Team das Observatorium seit April auf seinen Flug vorbereitet hat. Gegen 22.30 Uhr (MESZ) manövrierte das massive Kran- und Startfahrzeug, genannt Hercules, die dreieinhalb Tonnen schwere Last vorsichtig durch das Tor. Erst im Freien montieren Mitglieder des Sunrise III-Teams die letzten Solarpaneele, die während des Flugs die Stromversorgung sicherstellen. Auch dämpfende Elemente aus Wellpappe, die den Aufprall der späteren Landung abschwächen sollen, und Behälter mit Ballast, der zur Höhenregulierung während des Fluges abgeworfen werden kann, wurden angebracht.
Danach transportierte Hercules seine Fracht sanft schaukelnd aufs Startfeld. Die Wetterbedingungen erzwangen dort zunächst eine längere Wartezeit bis das Team der Columbia Scientific Balloon Facility, einer Abteilung der amerikanischen Weltraumbehörde Nasa, die Start, Flug und Landung des Observatoriums verantwortet, grünes Licht gab. Über zwei seitliche Schläuche strömten dan insgesamt 1050 Kilogramm Helium in einen Ballon, der zuvor auf dem Startfeld an der Befestigungsleine weit weg vom Teleskop selbst ausgelegt worden war. Noch mutet er etwas schlapp an, wird sich beim Aufstieg in die Stratosphäre durch den sinkenden äußeren Luftdruck jedoch auf einen Durchmesser von etwa 130 Meter ausdehnen.
Gegen 6.20 Uhr (MESZ) war am 10. Juli 2024 dann alles bereit. Auf ein Kommando hin wurde die Verankerung des Ballons gelöst. Während der Ballong aufstieg, hat Hercules das Observatorium mit dem ausgestreckten Kransausleger sachte in Richtung der sich immer mehr verkürzenden Leine gesteuert. Erst als der Ballon genau über dem Observatorium steht, klinkt das Startfahrzeug seine Last aus. Unter dem Applaus der Umstehenden vor Ort und dem erleichterten Jubel im Kontrollzentrum in Göttingen entschwinden Observatorium und Ballon in den Himmel.
Einzigartiger Blick in die Atmosphäre der Sonne
Die Forschungsreise, die Sunrise III nun antritt, bietet dem Observatorium einen einzigartigen Blick auf unseren Stern. Da die Sonne zu dieser Jahreszeit am Polarkreis nicht untergeht, kann Sunrise III im optimalen Fall rund um die Uhr Messdaten aufzeichnen. In mehr als 35 Kilometern Höhe beeinträchtigen Luftturbulenzen die Sicht kaum. Zudem erreicht Sunrise III in dieser Höhe ultraviolette Strahlung der Sonne. Dieser Teil der Sonnenstrahlung wird von den Luftschichten der Erdatmosphäre größtenteils absorbiert und ist für Sonnenteleskope auf der Erde nicht messbar.
Die ultraviolette Strahlung, die Sunrise III auswertet, entsteht in erster Linie in der bis zu 10.000 Grad Kelvin heißen Chromosphäre der Sonne. In der weiter außen liegenden Korona herrschen mancherorts sogar Temperaturen von mehr als einer Million Grad. Wie es der Sonne gelingt, ihre äußere Hülle auf solch unvorstellbare hohe Temperaturen aufzuheizen und von dort zum Teil heftige Teilchen- und Strahlungsausbrüche ins All zu schleudern, ist noch immer nicht vollständig verstanden. Verschiedene Wellenphänomene, Umschichtungen im magnetischen Feld der Sonne und kleinere Strahlungsausbrüche sind nur einige der Prozesse, die eine Rolle spielen könnten. Die dazugehörigen Vorgänge in der Region von knapp unterhalb der Sonnenoberfläche bis in die obere Chromosphäre sichtbar zu machen und genau zu untersuchen, ist Aufgabe von Sunrise III. Es wird besser als je zuvor möglich sein, den Abstand der einzelnen Prozesse und Strukturen über der Sonnenoberfläche zu bestimmen. „Sunrise III wird uns helfen, die dynamischen Vorgänge in der Sonnenatmosphäre besser als je zuvor zu verstehen“, sagt Sami Solanki, Leiter der Sunrise III-Mission und Direktor am Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung.
Wie wir die Sonne erforschen
Dabei bekommt Sunrise III in den nächsten Tagen Unterstützung: Zehn bodengebundene Sonnenteleskope auf der ganzen Welt, darunter etwa das Daniel K. Inouye Solar Telescope (DKIST) auf Hawaii und GREGOR auf Teneriffa, sowie die Raumsonden und Satelliten IRIS, Hinode, CHASE und Aditya-L1 aus den USA, Japan, China und Indien blicken im Rahmen einer koordinierten Messkampagne zeitgleich auf die Sonne.
Ohne Antrieb über den Atlantik
In den nächsten Tagen treiben die in dieser Saison letzten stabilen stratosphärische Ostwinde das Sonnenobservatorium Sunrise III, das selbst über keinen Antrieb verfügt, westwärts über den Atlantik. Je nach Windgeschwindigkeit dauert der Flug fünf bis sieben Tage. Dann erreicht Sunrise III den Norden Kanadas und damit die Region, in der gelandet werden soll. Die genaue Landestelle bestimmen die Flugbahn, die Topographie und die lokalen Wetterbedingungen. Mit Sicherheit liegt sie jedoch soweit im Norden, dass Sunrise III am Fallschirm gefahrlos über unbewohntem Gebiet niedergehen kann. Mitglieder des Sunrise III-Teams werden das Observatorium und seinen Datenschatz dort bergen.
Bereits in den Jahren 2009 und 2023 lieferten die Flüge von Sunrise I und Sunrise II wertvolle Daten. Der Flug von Sunrise III musste 2022 wenige Stunden nach dem Start wegen technischer Schwierigkeiten abgebrochen werden.
Über die Mission
Das ballongetragene Sonnenobservatorium Sunrise III ist eine Mission des Max-Planck-Instituts für Sonnensystemforschung (MPS, Deutschland). Sunrise III blickt mit Hilfe eines 1-Meter-Teleskops, dreier wissenschaftlicher Instrumente und eines Systems zur Bildstabilisierung aus der Stratosphäre auf die Sonne.
Die drei wissenschaftlichen Instrumente sind SUSI (Ultraviolett-Spektropolarimeter), TuMag (Spektropolarimeter im sichtbaren Bereich) und SCIP (Infrarot-Spektropolarimeter).
Maßgeblich Mitwirkende an der Mission sind das Applied Physics Laboratory der Johns Hopkins Universität (APL, USA), ein spanisches Konsortium, das National Astronomical Observatory of Japan (NAOJ, Japan), und das Institut für Sonnenphysik (KIS, Deutschland). Das spanische Konsortium wird geleitet vom Instituto de Astrofísica de Andalucía (IAA, Spanien) und besteht zudem aus dem Instituto Nacional de Técnica Aeroespacial (INTA), der Universitat de València (UV), der Universidad Politécnica de Madrid (UPM) und dem Instituto de Astrofísica de Canarias (IAC). Weitere Partner sind das Wallop’s Flight Facility Balloon Program Office (WFF-BPO) der NASA und die Swedish Space Corporation (SSC).