Ein Netzwerk zur Erforschung des Anthropozäns
Jürgen Renn, Direktor am Max-Planck-Institut für Geoanthropologie, spricht über das Institutskonzept, die „große Beschleunigung“ und den Standort Jena
Die Wechselbeziehungen zwischen der Geosphäre und menschgemachten Systemen zu verstehen, das steht im wissenschaftlichen Fokus des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie. Das Institut in Jena führt Forschungsgebiete zusammen, die in allen drei wissenschaftlichen Sektionen der Max-Planck-Gesellschaft vertreten sind. Entsprechende inter- und transdisziplinäre Forschungsprojekte betreffen beispielsweise die planetare Urbanisierung, das weltweite Ernährungssystem und die globalen Material-, Energie- und Informationsflüsse. Das Konzept für die wissenschaftliche Neuausrichtung des ehemaligen MPI für Menschheitsgeschichte hat maßgeblich Jürgen Renn entwickelt, der nun gemeinsam mit Ricarda Winkelmann das Institut als Direktor leitet.
Interview: Constanze Steinhauser
Herr Renn, was beinhaltet Ihr Konzept für das Max-Planck-Institut für Geoanthropologie?
Das Institut wird in hohem Maß interdisziplinär arbeiten und an der Etablierung der Geoanthropologie als neues transdisziplinäres Fach mitwirken. Die Geoanthropologie versucht, die Auswirkungen menschlicher Eingriffe und der von Menschen geschaffenen Technosphäre auf das natürliche Erdsystem zu verstehen. Das Erdsystem ist inzwischen zu einem gekoppelten Mensch-Erde-System geworden, dessen Dynamik noch weitgehend unverstanden ist. Die Geoanthropologie greift dazu auf Erkenntnisse der Erdsystem-, Lebens-, Sozial- und Verhaltenswissenschaften zurück und bringt sie mit einer historischen Perspektive zusammen, die Erd- und Menschheitsgeschichte umfasst.
Die Technosphäre? Was ist damit gemeint?
Die Spezies Homo sapiens, die lange Zeit nur ein klitzekleiner Teil der Biosphäre war, ist plötzlich zu einem bestimmenden Faktor der Stoff- und Energiekreisläufe des Erdsystems geworden. Der 2021 verstorbene Nobelpreisträger und Max-Planck-Direktor Paul Crutzen hat um die Jahrtausendwende dafür den Begriff des Anthropozäns, also des Menschenzeitalters, geprägt. Seit Beginn der Menschheitsgeschichte hat der Mensch weitreichende Umweltveränderungen durch den Einsatz technischer Mittel ausgelöst wie kontrollierte Feuer, Jagdwerkzeuge, später Ackerbau und Viehzucht. Diese Techniken haben der Erdgeschichte eine ganze neue Dynamik aufgezwungen. Sie haben über Jahrtausende zur allmählichen Ausbildung einer neuen Sphäre des Erdsystems geführt, die wir als Technosphäre bezeichnen. Die charakteristischen Zeiten von Veränderungen in der Technosphäre sind dabei besonders kurz und beeinflussen auch die der anderen Erdsphären.
Das klingt spannend und besorgniserregend zugleich.
So ist es auch. Spätestens seit Mitte des 20. Jahrhunderts beobachten wir eine dramatische Veränderung in vielen wesentlichen Parametern des Erdsystems, und wie diese immer schneller vonstattengehen. Dazu gehören beispielsweise der Anteil von Treibhausgasen in der Atmosphäre, die Versauerung der Meere, der Verlust der Artenvielfalt, aber auch die Parameter der globalen Gesellschaft. Alle diese unterschiedlichen Parameter zeigen ein annähernd exponentielles Wachstum – ein Hinweis, dass wir es mit einem gekoppelten globalen System zu tun haben. Hierfür hat sich der Begriff der „Großen Beschleunigung“ etabliert. Diese Kopplung zu verstehen, ist das eigentliche Ziel des neuen Instituts. Denn unbegrenztes Wachstum kann langfristig nur zu einem Kollaps führen. Deshalb müssen wir Eingriffspunkte finden, die geeignet sind, die Wachstumskurven der „Großen Beschleunigung“ nach unten zu biegen.
Ist das eines Ihrer Forschungsziele?
Ja. Allerdings ist die gesellschaftliche Steuerung solcher hochkomplexen Vorgänge eine ganz andere – wichtige – Frage. Die Beiträge des Instituts dazu werden vor allem Erkenntnisse über Zusammenhänge sein, die uns dabei helfen können, bestimmte Rückkopplungen zu verändern. Die besondere Perspektive des Instituts ist auf die systemischen Dynamiken gerichtet, denn nur wenn man diese berücksichtigt, lassen sich die Gefahren einseitiger Maßnahmen verhindern.
Wie meinen Sie das?
Ein Beispiel: Nehmen wir die Diskussion um Biodiesel. Die Förderung vorgeblich nachhaltiger, da erneuerbarer, Kraftstoffe aus Biomasse führte zu einer völlig anderen Form der Landnutzung – von der Uckermark bis nach Brasilien – und hatte unmittelbare Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion, die Ausbreitung von Monokulturen und dem damit einhergehenden Verlust an Biodiversität. Das sind alles Wechselwirkungen, die in einem gekoppelten System stattfinden. Es muss daher Aufgabe des Instituts sein, solche komplexen Zusammenhänge nie aus dem Auge zu verlieren.
Worin unterscheidet sich das MPI für Geoanthropologie im Vergleich zu anderen Instituten?
Es ist das erste Institut, das allen drei Sektionen der MPG angehört. Das MPI wird nicht nur transdisziplinär aufgestellt sein, sondern auch intern über Abteilungsgrenzen hinweg an Projekten, zum Beispiel am Verständnis der bereits erwähnten „Großen Beschleunigung“, arbeiten. Innerhalb der MPG und darüber hinaus soll es als eine Art Knoten in einem Netzwerk fungieren, in dem Ideen, Daten und Forschende weltweit zusammengebracht werden, um dieses globale Problem zu verstehen. In dieser Form ist es bislang einzigartig.
Was hat für den Standort Jena gesprochen?
Unser Konzept dockt hervorragend an die beiden bestehenden Max-Planck-Institute in Jena mit einem ökologischen Schwerpunkt sowie an die Friedrich-Schiller-Universität an, ebenso aber bieten sich Kooperationen mit dem gerade gegründeten Senckenberg-Instituts für Pflanzenvielfalt an. Kooperationsmöglichkeiten gibt es darüber hinaus auch mit anderen Institutionen wie der Carl-Zeiss-Stiftung, die die Neuausrichtung ebenso wie das Land Thüringen engagiert unterstützt.