„Gerade in schwierigen Zeiten müssen wir in der Wissenschaft zusammenstehen“

Die Max-Planck-Gesellschaft (MPG) und die Chinesische Akademie der Wissenschaften (CAS) feiern 50 Jahre Kooperation – Forschungserfolge, aber auch neue Herausforderungen bei der Gestaltung der Zusammenarbeit standen im Zentrum der Festveranstaltung im Berliner Harnack-Haus

Von einer vorsichtigen Annäherung zu Beginn, über einen systematischen Austausch von Forschenden in den 1990ern Jahren bis hin zum strategischen Ausbau der Zusammenarbeit in ausgewählten Schwerpunktbereichen seit 2018: Die deutsch-chinesische Kooperation zwischen MPG und der CAS hat seit ihren Anfängen 1974 verschiedenste Phasen durchlebt und sich immer wieder den aktuellen geopolitischen Herausforderungen angepasst. Heute profitieren Max-Planck-Forschende von der historisch gewachsenen Zusammenarbeit, indem sie beispielsweise privilegierten Zugang zu den zum Teil weltweit einzigartigen Infrastrukturen der CAS haben. Es sind diese und andere Erfolgsgeschichten, die veranschaulichen, warum die MPG an einer Zusammenarbeit mit der chinesischen Top-Einrichtung festhält – trotz zunehmender China-Skepsis und unter Wahrung der Wissenschaftsfreiheit und Gewährleistung eins freien Datenaustausches.

Anlässlich des 50-jährigen Jubiläums der Zusammenarbeit mit der CAS hatte Max-Planck-Präsident Patrick Cramer am 28. Oktober 2024 ins Berliner Harnack-Haus geladen – zu wissenschaftlichen Workshops wie auch einer Abendveranstaltung. Zu den rund 270 eingeladenen Gästen zählten Vertreterinnen und Vertreter der CAS, Max-Planck-Forschende, Förderer und Vertreterinnen aus Politik und Wissenschaft. Tagsüber fanden sechs wissenschaftliche Workshops statt, die auch die Vielfalt der MPG-CAS-Zusammenarbeit widerspiegeln – von der Wissenschaftsgeschichte über die Forschung zu Biodiversität und Klimaschutz bis hin zur physikalischen Grundlagenforschung. Bei der Abendveranstaltung wurde unter anderem ein Memorandum of Understanding unterzeichnet, um ein Summer School-Programm mit der CAS zu etablieren. Damit will die MPG ihren jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern schon in einer frühen Phase der Karriere ermöglichen, China-Kompetenz und Netzwerke mit China vor Ort aufzubauen.

Gemeinsam globale Krisen bewältigen

In seiner Rede sprach Cramer über die wissenschaftlichen Erfolge und künftigen Chancen der Zusammenarbeit mit China. Gleichzeitig betonte er die Notwendigkeit eines kritisch-konstruktiven Umgangs angesichts der geopolitischen Herausforderungen, die Kooperationen mit China insgesamt mit sich bringen. „Gerade in schwierigen Zeiten wie diesen müssen wir in der Wissenschaft zusammenstehen, bestehende Brücken aufrechterhalten und neue bauen – ohne dabei Risiken einzugehen. Schließlich können wir viele der globalen Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, nur gemeinsam bewältigen.“ Als Beispiele nannte Cramer die weltweite Klimakrise, gefährdete Ökosysteme oder die Transformationsprozesse, unter anderem in der chemischen Industrie.

Dass die CAS für die MPG bei der Erforschung von Lösungsansätzen ein wichtiger Partner ist, spiegelt sich auch in der Zahl gemeinsamer Publikationen wider: In den letzten fünf Jahren haben Forschende der MPG und der CAS in ihren Kooperationsprojekten mehr als 3700 gemeinsame Publikationen veröffentlicht. Damit ist die CAS heute für Max-Planck die zweitwichtigste internationale Partnerinstitution, nach dem französischen Centre National de la Recherche Scientifique (CNRS) und noch vor der amerikanischen Elite-Universität Harvard. 

In welchen zentralen Bereichen, Max-Planck von der Zusammenarbeit mit chinesischen Einrichtungen profitiert, spiegeln folgenden vier ausgewählten Kooperationsprojekte wider:

Mit dem größten Radioteleskop der Welt gemeinsam extreme Sterne aufspüren

Ein Beispiel für eine von Max-Planck genutzte einzigartige Infrastruktur ist das größte Radioteleskop der Welt im Südwesten Chinas: das Five-hundred-meter Aperture Spherical Telescope (FAST). Michael Kramer vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie und sein Team arbeiten eng mit Forschenden der Chinese Academy of Sciences zusammen, die das FAST-Radioteleskop betreiben. Gemeinsam erforschen sie extreme Sterne – sogenannte Pulsare. „In meinem Forschungsgebiet zählt Empfindlichkeit über alles“, sagt Michael Kramer. „Daher haben wir schon vor vielen Jahren mit China kollaboriert. Sie betreiben das heute größte Radioteleskop mit 500 Metern Durchmesser, nachdem das Arecibo Radiotelskop im Jahr 2020 leider kollabiert ist.“ Das Max-Planck-Institut für Radioastronomie verfügt selbst über ein Radioteleskop der Superklasse. Es gehört mit 100 Metern zu den zwei größten beweglichen Radioteleskopen der Welt. Das FAST-Teleskop in China ist aber zehnmal empfindlicher und leidet noch dazu weniger unter menschenverursachter Störstrahlung als das Teleskop Effelsberg in der Eifel. Das FAST-Teleskop hat bereits hunderte neuer Pulsare am ganzen Himmel aufgespürt. Effelsberg steht sofort bereit, besondere Exemplare schnell anzusteuern und eingehender zu untersuchen. Der Vorteil hier ist Flexibilität gepaart mit einer immer noch beträchtlichen Sammelfläche.

Marilyn Cruces, Astronomin am Max-Planck-Institut für Radioastronomie, leitete ein deutsch-chinesisches Team, das mit FAST außergewöhnlich alte Pulsar-Sterne entdeckte, wie sich erst nach einer Nachfolgeuntersuchung mit Effelsberg herausstellte. „Unsere Kollegen in China und wir wissen um die angespannte politische Situation. Unsere Daten sind selten kritisch, aber wenn, müssen wir natürlich sehr genau aufpassen. Unsere Forschungskooperation funktioniert gerade deswegen so gut, weil wir auf beiden Seiten offen und transparent mit der Situation umgehen und nichts beschönigen. Es ist unser aller Ziel, beste Wissenschaft zu machen und das geht nur, wenn wir die Stärken beider Teleskope in Deutschland und China bündeln“, sagt Kramer.

Wie verändern Klimawandel und menschliche Aktivitäten die Lebensgrundlagen in Trockengebieten?

Trockengebiete machen etwa 40 Prozent der weltweiten Landflächen aus, 70 Prozent der Weltbevölkerung leben in diesen Gebieten. In ihnen regnet es seit jeher wenig, mit dem Klimawandel werden sie aber noch trockener. Zudem verschärfen menschliche Aktivitäten wie etwa Landwirtschaft die Wasserknappheit und Bodenerosion in Trockengebieten. Im Dryland-Projekt, einer Kooperation zwischen verschiedenen Instituten der MPG und der CAS untersuchen Forschende, wie sich Klimawandel und Veränderungen in der Landnutzung auf die Ökosysteme in Trockengebieten und damit letztlich auf die Versorgung der dort lebenden Menschen mit Nahrungsmitteln auswirken. So erforscht etwa ein Team des Max-Planck-Instituts für Biogeochemie und Research Center for Eco-Environmental Sciences der CAS, wie zunehmende Trockenheit und eine veränderte Landnutzung den Kohlenstoffhaushalt von Ökosystemen von Trockengebieten beeinflussen. In Feldstudien und Laborexperimenten in unterschiedlichen Regionen wie in Spanien oder auf dem Lössplateau im nördlichen Teil Zentralchinas klären die Forschenden den Zusammenhang zwischen Wasserverfügbarkeit und Kohlenstoffhaushalt im Detail auf. Dabei gehen sie unter anderem der Frage nach, ob Pflanzen und Bodenorganismen unter den veränderten Bedingungen weniger Kohlenstoff binden und der Atmosphäre damit weniger Kohlendioxid entziehen, sodass sich die Erderwärmung verstärkt.

Regenerative Biomedizin: Wie lässt sich Herzgewebe nach einem Infarkt wieder regenerieren?

Auch Thomas Braun vom Max-Planck-Institut für Herz- und Lungenforschung in Bad Nauheim kooperiert seit langem mit unterschiedlichen Forschungsinstitutionen in China. Besonders wichtig war das gemeinsame Center for Regenerative Biomedicine der MPG und dem zur CAS gehörenden Guangzhou Institute of Biomedicine and Health. Daneben unterhält er Kooperationen mit der Chinese University of Hong Kong, dem Tongji Medical College in Huazhong und der University of Science and Technology in Wuhan. Zusammen mit seinen chinesischen Partnern hat er wichtige Erkenntnisse darüber gewonnen, wie sich Herzgewebe nach einem Infarkt wieder regenerieren kann. Anders als bei Fischen und Amphibien verlieren beim Menschen die Herzmuskelzellen schon sehr früh in der Entwicklung die Fähigkeit sich zu teilen. Forschende aus Bad Nauheim und China haben die Herzmuskelzellen einer Maus mit einem Cocktail aus vier Wachstumsfaktoren teilweise umprogrammiert und diese dadurch verjüngt. Hoch spezialisierte Herzmuskelzellen werden so in eine Art Embryonalzustand zurückversetzt, in dem sie sich wieder teilen können. Dass reife Herzmuskelzellen von Säugetieren – und damit auch des Menschen – ihre Teilungsfähigkeit zurückerlangen können, eröffnet die Möglichkeit, Infarktpatienten mittels Gentherapie zu behandeln. Darüber hinaus hat Thomas Braun gemeinsam mit Forschenden aus Guangzhou entdeckt, dass ein Zwischenprodukt aus dem Energiestoffwechsel das Teilungspotenzial reifer Herzmuskelzellen erhöht. Die beteiligten Enzyme könnten ein Ziel für die Entwicklung von Medikamenten sein, die die Regenerationsfähigkeit des Herzens erhöhen.

Wandel von kosmologischen Vorstellungen im spätkaiserlichen China und deren Einfluss auf das Wissen über Umwelt und Leben

Dagmar Schäfer, Direktorin am Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte (MPIWG), beschäftigt sich in ihrer Arbeit insbesondere mit der Geschichte und Soziologie der Technologie Chinas sowie den Paradigmen, die den Diskurs über technologische Entwicklungen in Vergangenheit und Gegenwart prägen. Ihr Workshop “Cosmology in a Living World: Knowledge Regarding Environment and Life in Late Imperial China” war Teil der akademischen Veranstaltungsreihe, mit der das 50-jährige Jubiläum der Kollaboration zwischen der MPG und der CAS gefeiert wurde. Im Workshop wurde der Wandel von kosmologischen Vorstellungen im spätkaiserlichen China (1368–1911) und deren Einfluss auf das Wissen über Umwelt und Leben untersucht. Die Untersuchung, wie kosmologisches Wissen lokalisiert und in das tägliche Leben sowie in technologische Praktiken integriert wurde, verdeutlicht, dass das Überleben und die Anpassung des Menschen stets vom Wissen über die Umwelt und das Universum abhängig waren. Dabei kamen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus verschiedenen Institutionen — unter anderem dem MPIWG und der UCAS — zusammen und tauschten sich virtuell und vor Ort über den Fortschritt des Projekts aus. Die unterschiedlichen Expertisen und Methodologien der jeweiligen Institutionen ergänzen sich bei diesem Ansatz und bieten zusammen mit dem interdisziplinären Hintergrund der Teilnehmenden einen großen Mehrwert für die Forschung. Der Workshop war auch Startpunkt verschiedener Studien, die in den nächsten zwei bis drei Jahren von einer Max-Planck-Partnergruppe veröffentlicht werden sollen.

PM

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