Neuer Stern im Sternbild Krone aufgetaucht
Eine gewaltige thermonukleare Explosion in 2700 Lichtjahren Entfernung lässt die Nova T Corona Boralis am Nachthimmel für alle sichtbar werden
Südwestlich des Sternbilds Krone (Corona Borealis) ist am xx.xx.2024 ein neuer Stern erschienen, der nur wenige Tage später wieder verschwinden wird. Sind es ferne Morsezeichen? Tatsächlich wird die Menschheit Zeuge einer gewaltigen thermonuklearen Explosion in 2700 Lichtjahren Entfernung, die sich alle 80 Jahre wiederholt. Forschende der Max-Planck-Gesellschaft haben auf diesen Moment gewartet, denn im Gegensatz zum letzten Ereignis 1946 verfügen sie heute über leistungsstarke Teleskope, um das Himmelsschauspiel bei allen Wellenlängen zu studieren. Ihr Ziel ist es, zu verstehen, wie Protonen beschleunigt werden, die mit nahezu Lichtgeschwindigkeit durchs Weltall jagen.
Es ist ein früher Herbstabend des Jahres 1217 als Burchard von Biberach, Abt des schwäbischen Klosters Ursberg, ein wunderbares Zeichen am Sternenhimmel erspäht hatte. Es könnte sich dabei um die Novaausbrüche des Systems T Corona Borealis gehandelt haben, denn dieses Ereignis wiederholt sich alle 80 Jahre – eine Nova pro Generation. Am xx.xx.2024 war es nun wieder soweit und südwestlich des Sternbilds der Krone scheint es, als sei aus dem Nichts ein neuer Stern aufgetaucht. Damals war das Teleskop noch nicht erfunden. Heute richten Astronominnen und Astronomen aus aller Welt ihre Teleskope bei verschiedenen Wellenlängen auf das Objekt und fangen so nicht nur das sichtbare Licht, sondern auch Licht vom Infraroten bis in den Röntgen- und Gammabereich ein. „Wir haben jetzt einen ganzen Monat Zeit, die Nova im Gammalicht zu erforschen“, sagt David Green vom Max-Planck-Institut für Physik.
Kanibalismus mit Folgen
Auch Dank der Beobachtungen anderer Novae zeichnen streng wissenschaftliche Daten heute ein eindeutigeres Bild. T Corona Borealis ist weder ein astrologisches Zeichen noch ein einzelner Stern, sondern ein Doppelsternsystem aus einem roten Riesenstern und einer Sternenleiche, einem weißen Zwerg. Der Tanz um den gemeinsamen Schwerpunkt ist so eng, dass ein Umlauf nur 228 Tage dauert. Am Anfang umkreisten sich vermutlich zwei sonnenähnliche Sterne in einem Doppelsternsystem. Als der Brennstoffvorrat in ihrem Inneren zur Neige ging, blähten sich beide zu roten Riesensternen auf. Einer der beiden ist schon einen Schritt weiter und hat seine Sternhülle abgestoßen. Zurück bleibt ein Stern voller Kohlenstoff und Sauerstoff, tausend bis zehntausend Mal kleiner als der rote Riese. Auch wenn sich das Aussehen der beiden Sterne stark unterscheidet, wiegen sie auch heute noch in etwa so viel wie die Sonne. Der weiße Zwerg vereint diese Masse in nur einem Prozent seines ursprünglichen Sterndurchmessers. Ein Teelöffel des weißen Zwergs wiegt in etwa eine Tonne und der Dichteunterschied zwischen dem roten Riesen und dem weißen Zwerg ist vergleichbar mit dem zwischen Bauschaum und Blei.
Eine Wasserstoffbombe von astronomischen Ausmaßen
Während beide Sterne sich umkreisen, drängt der rote Riese dem Sternenwinzling seine stark ausgedehnte Wasserstoffhülle derart auf, dass durch die starke Gezeitenkraft Wasserstoff entlang einer Art Brücke auf den weißen Zwerg strömt. Dort bildet das Gas eine neue Sternhülle. Ab einem bestimmten Punkt werden Druck und Temperatur unter dem Deckmantel hoch genug, und das Wasserstoff-Gas-Gemisch explodiert in einer schlagartigen thermonuklearen Fusionsreaktion - eine Wasserstoffbombe von astronomischen Ausmaßen. Der weiße Zwerg überlebt, und kurz nachdem er sich überfressen hat, formt sich der dünne Materiestrom erneut. Der Kreislauf beginnt von neuem – bis zum nächsten Ausbruch in 80 Jahren. Von der Erde sind der weiße Zwerg und sein Begleiter nicht voneinander zu unterscheiden, und so scheint es, als sei an der Stelle ein neuer Stern entstanden, wie zuletzt 1866 und 1946. Die Nova ließ das System jeweils mehr als tausendmal heller erstrahlen als sonst. Aus einer Entfernung von „nur“ 2700 Lichtjahren ist sie deutlich und mit bloßem Auge zu erkennen. Novae selbst sind keine Seltenheit, jedes Jahr leuchten mehrere Dutzend Novae irgendwo in der Milchstraße auf. In vielen Fällen erreicht das Licht die Erde aber nicht. Die Leuchterscheinung dauert nur wenige Tage, bis die ausgeworfene Schockwelle das Licht der Explosion verdunkelt und das Maximum der Helligkeitsexplosion vorüber ist.
Regelmäßiger Schluckauf
Übrigens: Je schneller Materie durch den Schlund auf den weißen Zwerg fließt, desto heißer wird es auf dem Zwerg und desto schneller zündet die Fusionsreaktion auf der Oberfläche. Im Fall der Nova RS Ophiuchi knallt es daher sogar alle 15 Jahre (zuletzt machte sie 2022 Schlagzeilen). T Corona Borealis dagegen lässt sich Zeit und sammelt in den 80 Jahren so viel Brennstoff an, dass die Explosionen etwa zehn Mal mehr Energie freisetzt als im Fall von RS Ophiuchi. „Es bleibt dabei strittig, ob der weiße Zwerg in T Corona Borealis unterm Strich Masse ansammelt oder ob er bei den Explosionen sogar mehr Masse verliert als er vom roten Riesen erhält“, sagt Brian Reville vom Max-Planck-Institut für Kernphysik. In anderen Systemen läuft der Massetransfer explosionsfrei ab und der weiße Zwerg legt kontinuierlich an Masse zu. Das geht so lange gut, bis eine Massengrenze von 1.44 Sonnenmassen überschritten wird und es den weißen Zwerg in einer gleißenden Supernova zerreißt.
Mini-Supernovae
Novae sind perfekte Miniaturmodelle für Supernovae. „Bei einer Supernova ist alles viel gewaltiger“, sagt David Green. „Die Schocks sind schneller, es wird ein Vielfaches an Energie freigesetzt und viel mehr Material ins interstellare Medium geschleudert. Aber die Physik ist die gleiche wie bei einer Nova.“ Mit einem entscheidenden Unterschied: Bei einer Supernova wird der Stern zerstört. Außerdem sind sie extrem selten und dauern mit Tausenden von Jahren sehr lange. „Bei einer Nova können wir die gleichen Prozesse im Zeitraffer verfolgen“, sagt David Green. Dabei entsteht Strahlung im hochenergetischen Gammabereich, die Forschende des Max-Planck-Instituts für Physik mit den Teleskopen Magic und LST-1 auf La Palma im Visier haben. Auch Forschende am Max-Planck-Institut für Kernphysik werden mit den H.E.S.S. Gammastrahlenteleskopen in Namibia einen Beobachtungsversuch starten und hoffen auf gute Bedingungen, denn die Nova wird fast schon zu tief am Afrikanischen Himmel stehen, was die Daten beeinträchtigen könnte. Das Gammalicht, das hundert Milliarden Mal energiereicher ist als das sichtbare Licht, öffnet ein Fenster in die gewaltigsten Momente der Nova, wenn eine Schockfront mit ihrem Magnetfeld durch die umgebende Materie pflügt.
Wie die kosmische Strahlung entsteht
Diese Schocks dienen mutmaßlich als natürliche Teilchenbeschleuniger, in denen Protonen enorme Energien erreichen. Treffen die Teilchen auf Material in der Umgebung, das vom roten Riesen abgestoßen wurde, entsteht die Gammastrahlung. Protonen, die in solchen Schocks angeschubst werden, könnten aber auch die Erde erreichen. Die Erdatmosphäre und ist einem ständigen Strom von Teilchen aller Art ausgesetzt, die irgendwo im Weltall auf teils relativistische Geschwindigkeiten beschleunigt werden mussten. Wie genau ist bis heute ungeklärt.
Indem die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ihre empfindlichen Instrumente auf T Corona Borealis richten, hoffen Sie der Rätsels Lösung einen Schritt näher zu kommen. „Das Besondere an dieser Nova ist ihre Nähe zur Erde“, so Brian Reville. Im Gegensatz zur Nova von RS Ophiuchi, die zwei bis drei Mal weiter entfernt ist, erwarten sie im Fall von T Corona Borealis einen viel stärkeren Strom hochenergetischer Gammastrahlen und damit Daten höchster Güte. „Wir hoffen mit den Daten eines der ältesten ungelösten Probleme der Astronomie beantworten zu können, nämlich, wie die Teilchen in astrophysikalischen Schocks beschleunigt werden“, sagt Reville.
Forschende in heller Aufregung
Auch wenn mit der Nova zu rechnen war, der genaue Zeitpunkt der Explosion war unbekannt. In den letzten Monaten blickten daher zahlreiche anderer Observatorien auf die bekannte Stelle im Sternbild der Krone, um den Ausbruch auf keinen Fall zu verpassen. „Schlägt ein Observatorium an, werden wir alarmiert: sei es digital oder telefonisch, tagsüber oder mitten in der Nacht“, führt David Green aus. „Wir schwenken die großen Gamma-Teleskope von Magic und LST-1 dann innerhalb von nur 30 Sekunden in die richtige Position.“
Dass am Sternenhimmel wirklich einmal etwas explodiert, und zwar so, dass Astronominnen und Astronomen dafür alles stehen und liegen lassen, kommt zugegeben selten vor. Am Haus der Astronomie in Heidelberg können Schülerinnen und Schüler miterleben, wie sich dieser spannende Moment anfühlt. „Naturwissenschaftlicher Unterricht in der Schule konzentriert sich auf die Grundlagen“, so Carolin Liefke. „Aber aktuelle Forschung zu verfolgen oder sogar selbst dazu beizutragen, ist natürlich viel reizvoller.“ Carolin Liefke ist stellvertretende Leiterin des Hauses der Astronomie und betreut ein Team von Jugendlichen, das mit seinen Erkenntnissen über die Nova bei Jugend Forscht teilnehmen möchte. Seit die Plattform „Astronomers Telegram“ Alarm geschlagen hat, warten sie gemeinsam auf gute Beobachtungsbedingungen, um einen Spektrografen auf die Nova zu richten, der an einem Teleskop montiert ist. Ein Detailfoto der Geschehnisse wird es nicht geben, dafür ist kein Teleskop der Erde groß genug. Dennoch verbergen sich in den Daten jede Menge Informationen – ein kosmisches Detektivspiel. Die Spektren werden aus einem Wald an Linien bestehen, die sich einzelnen chemischen Elementen zuordnen lassen. Und es wird sich ablesen lassen, dass es sich nicht um ein kosmisches Zeichen, sondern um zwei Sterne handelt, die sich umkreisen, und dass sich in Folge der Explosion etwas mit mehr als einer Million Kilometern pro Stunde in unsere Richtung bewegt. Auch wenn die Daten noch nicht vorliegen, eines ist sicher: Die Explosion ereignete sich in sicherer Entfernung.
BEU/BW
Hintergrundinformationen
Die Energie der kosmischen Gammastrahlung, die Forschende mit speziellen Gammastrahlenteleskopen messen, liegt zwischen einigen Gigaelektronenvolt und Terraelektronenvolt. Es handelt sich dabei um Licht mit den höchsten Energien, die bisher aus dem Weltraum gemessen werden konnten. Die Frequenz einer Lichtwelle mit einer Energie von einem Gigaelektronenvolt entspricht mehr als zweihundert Milliarden Terrahertz, während sichtbares Licht nur einige hundert Terrahertz und Radiostrahlung einige Gigahertz hat.
H.E.S.S. steht für High Energy Stereoscopic System. Es handelt sich um ein Verbund aus fünf abbildenden atmosphärischen Cherenkov-Teleskopen mit Durchmessern zwischen 12 und 32 Metern in Namibia auf einer Höhe von 1800 Metern. Die Teleskope messen kosmische Gammastrahlen im Energiebereich von einigen zehn Gigaelektronenvolt bis zu einigen zehn Terraelektronenvolt. Die Teleskope beobachten Gammastrahlen indirekt über die Tscherenkow-Strahlung, die von Kaskaden sekundärer Teilchen ausgesandt. Diese Luftschauer wiederum werden in der oberen Erdatmosphäre durch einfallende kosmische Gammastrahlen ausgelöst. Der Name H.E.S.S. geht auf Victor Hess zurück, der 1936 den Nobelpreis für Physik für seine Entdeckung der kosmischen Strahlung erhielt.
Magic steht für Major Atmospheric Gamma Imaging Cherenkov Telescopes und besteht aus aus zwei Gammastrahlenteleskopen als Teil des Observatoriums Roque de los Muchachos auf der Kanareninsel La Palma in einer Höhe von etwa 2200 Metern. Es besteht aus zwei Schüsseln mit einem Durchmesser von 17 Metern, die wie H.E.S.S. mit Spiegeln bedeckt sind, um das Cherenkov-Licht in eine hochempfindliche Kamera zu reflektieren. Der abgedeckte Energiebereich ist ähnlich zu dem von H.E.S.S..
LST-1 (Large-Sized Telescope) ist das erste Teleskop des CTAO (Cherenkov Telescope Array), ein internationales Großprojekt der erdbasierten Gammastrahlenastronomie. Angestrebt werden zwei Netzwerke mit hunderten Gammastrahlenteleskopen an zwei Standorten: Im Norden auf La Palma und im Süden in der Atacamawüste in Chile. Das Ziel ist eine Steigerung der Empfindlichkeit um eine Größenordnung gegenüber bisherigen Gammastrahlenteleskopen wie Magic oder H.E.S.S. LST-1 hat einen Durchmesser von 23 Metern und deckt einen ähnlichen Energiebereich ab wie Magic und H.E.S.S.