KI hilft bei der Krebsdiagnose
Wodurch und wann entsteht Krebs? Warum gibt es gutartige oder bösartige Tumore und was macht sie bösartig? Gemeinsam mit meinen Forschungsgruppen ist es mir gelungen, eine neue Art der Diagnose zu entwickeln, mit der sich Antworten auf diese Fragen finden lassen.
Von Matthias Mann / Direktor am Max-Planck-Institut für Biochemie
Ein erwachsener Mensch besteht aus rund 100 Billionen Zellen. Sie bilden Gewebe, Organe, Muskeln und vieles mehr, was wir für unser Überleben brauchen. Eines haben alle Zellen gemeinsam: Sie unterliegen einer strengen Kontrolle. Während einige dafür bestimmte Zellen sich teilen dürfen, beim Mann beispielsweise die Keimzellen, teilen sich andere Zellen, zum Beispiel die der Leber, nicht. Tun sie dies doch, zum Beispiel wenn ein Gen mutiert ist, entsteht ein Tumor.
Das Erbgut, also die DNA, enthält die Bauanleitung für Enzyme und andere Proteine. Fehler in der Anleitung, sogenannte Mutationen, führen zur Produktion fehlerhafter Proteine und in der Folge zu Erkrankungen. Der Mensch besitzt in seinen Zellen rund 20.000 Protein-kodierende Gene. Ihre korrekte Funktion entscheidet über die Funktionsfähigkeit einer Zelle. Jedes Gen kann jedoch mutieren und so ein fehlerhaftes Protein hervorbringen. Dies kann in der Folge zu einer Krebserkrankung führen. Deshalb kann eine Analyse der Proteine innerhalb eines Tumors dabei helfen, die Gründe für die Entstehung eines Tumors in einem Patienten zu verstehen und seine Schwachpunkte zu finden. Mit diesem Wissen lassen sich individuell auf einen Patienten zugeschnittene Behandlungsmethoden entwickeln.
Künstliche Intelligenz enthüllt krank machende Tumorproteine
Wir haben eine neue Methode entwickelt, welche die Proteine durch künstliche Intelligenz analysiert – die sogenannte „Deep Visual Proteomics“. Mithilfe hochauflösender Mikroskopbilder werden zunächst exakte Karten der Gewebe erstellt, ähnlich wie Landkarten. Mit künstlicher Intelligenz ordnen wir die in der Karte erfassten Zellen je nach Größe, Form oder Proteinverteilung in verschiedene Klassen ein. Im Anschluss daran trennen wir die Zellen mit einem Laser aus dem Gewebe heraus und unterteilen sie in Gruppen gesunder oder erkrankter Zellen. Die vielen tausend Proteine in den Zellen analysieren wir dann mittels ultra-sensitiver Massenspektrometrie, und abschließend erstellen wir eine Proteinkarte für jede Gruppe. Diese Karten enthalten die Verteilung der Proteine in gesunde und Tumorzellen. Mit Deep Visual Proteomics lässt sich also eine Gewebeprobe aus einem Tumor entnehmen und mit geringem Aufwand schnell die Gesamtheit der Proteine bestimmen. So werden die Faktoren erkennbar, die am Voranschreiten des Tumors beteiligt sind. Eine einzige Gewebeanalyse kann somit eine schnelle und gezielte Behandlung ermöglichen.
„Dank der Methode könnten neue Therapien gegen Krebserkrankungen entwickelt werden, die bislang noch nicht behandelt werden können“
In einer Studie mit Bauchspeicheldrüsen- und Hautkrebspatienten haben wir unsere Technologie erstmals angewendet. Wir haben die visuellen Merkmale eines Tumors bestimmt und sogar einzelne Proteine in Krebszellen untersucht, die direkt an gesundes Gewebe angrenzen. Mit der Technik ist es uns sogar gelungen, einen klinisch hochkomplexen Fall zu diagnostizieren. Die bisher mit unserer Methode erzielten Erkenntnisse lassen uns hoffen, dass künftig personalisierte Therapieformen auch gegen Tumore entwickelt werden können, für die es bisher noch keine Therapien gibt. Deep Visual Proteomics ist auch bei anderen Erkrankungen anwendbar. Zum Beispiel könnten damit auch neurodegenerative Erkrankungen wie Alzheimer oder Parkinson untersucht werden.
Anmerkung der Redaktion: Dieser Beitrag erschien zum ersten Mal in den Jahrbuch-Highlights 2022.