Kaffee auf Entzug
Die einen macht er fit und munter, bei anderen bringt er das Herz zum Rasen: der Kaffee. Um auch Menschen, die empfindlich auf Koffein reagieren, den Genuss des schwarzen Gebräus zu ermöglichen, haben Wissenschaftler mehrere Entkoffeinierungsverfahren entwickelt. Auf eines davon stieß im Jahr 1967 per Zufall Kurt Zosel vom Max-Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr.
Text: Maren Emmerich
Durchschnittlich 150 Liter Kaffee trinkt der Deutsche jährlich, und um die Geschichte unseres Lieblingsgetränks ranken sich viele Legenden. Eine davon handelt von einer denkwürdigen Begegnung, die sich am 3. Oktober 1819 in Jena ereignet haben soll. An diesem Tag besuchte der Chemiker Friedlieb Ferdinand Runge den Dichter und Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe, der ihm aus persönlichem Interesse eine Aufgabe stellte.
Mit den Worten „Auch diese können Sie zu Ihren Untersuchungen brauchen“ übergab der Poet Runge ein Päckchen mit Kaffeebohnen, die er aus Griechenland erhalten hatte. Angeblich hoffte Goethe, der Chemiker werde darin die Substanz entdecken, die ihm das Einschlafen erschwerte – womit er recht behalten sollte, denn zwei Jahre später identifizierte Runge das Koffein.
Bis es einem Wissenschaftler gelang, genießbaren entkoffeinierten Kaffee herzustellen, sollte allerdings fast ein Jahrhundert vergehen. Ludwig Roselius, ein Kaffeehändler aus Bremen, nutzte Benzol als Lösungsmittel und entfernte damit den aufputschenden Inhaltsstoff aus den Kaffeebohnen. Im Jahr 1905 ließ er sein Verfahren patentieren, und im Jahr darauf gründete Roselius die Firma Kaffee HAG. Der erste kommerziell erhältliche koffeinfreie Kaffee enthielt jedoch Spuren von Benzol. Slogans wie „Immer unschädlich! Immer bekömmlich!“, mit denen die Firma damals für das Produkt warb, erscheinen daher aus heutiger Sicht bestenfalls ironisch.
Auch der Entdeckungsgeschichte eines zweiten Verfahrens, um das Koffein aus dem Kaffee zu beseitigen, haftet Ironie an: Die Methode entstand als Nebenprodukt im Labor von Kurt Zosel, der am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung nach neuen Möglichkeiten suchte, um Stoffgemische voneinander zu trennen.
Kurt Zosel kam am 12. Oktober 1913 als Sohn des Arztes Gustav Zosel und dessen Frau Antonie in Köln auf die Welt. Dort legte er 1934 die Reifeprüfung ab und nahm anschließend ein Physikstudium auf, das er ab 1937 in Berlin fortsetzte. Im Jahr 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und verwundet; das Kriegsende erlebte er im Lazarett. Nach dem Krieg zog es ihn nach Aachen, wo er abermals studierte. Diesmal hatte er sich für Chemie entschieden. 1950 legte Zosel sein Diplom ab und schloss sich als Doktorand der Arbeitsgruppe des späteren Nobelpreisträgers Karl Ziegler am Max- Planck-Institut für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr an. Hier blieb er auch nach seiner Promotion im Jahr 1952.
Kurt Zosel arbeitete mit Kohlendioxid in superkritischem Zustand. Diesen Zustand nehmen Gase ein, wenn man sie sehr starkem Druck aussetzt und gleichzeitig die Temperatur über einen bestimmten Schwellenwert erhöht. Kohlendioxid wird bereits bei 30,1 Grad Celsius und einem Druck jenseits von 73,8 bar superkritisch.
Superkritisches Kohlendioxid verfügt über eine Reihe von Eigenschaften, aufgrund derer sein Einsatz in der chemischen Industrie sehr beliebt ist. So vermag es aus einem Substanzgemisch manche Stoffe herauszulösen, während es andere unverändert lässt – zu diesem Zweck verwendete es auch Kurt Zosel. Im Jahr 1967 fiel ihm auf, dass das Koffein zu den Stoffen gehört, die superkritisches Kohlendioxid in Lösung bringt. Drei Jahre später meldete er sein „Verfahren zur Entcoffeinierung von Kaffee“ als Patent an.
In seiner Patentschrift beschreibt Kurt Zosel, dass die Rohbohnen zunächst in einem Druckbehälter mit Dampf und heißem Wasser zu befeuchten sind, wobei sie stark aufquellen. In einem Nachbargefäß bringt man Kohlendioxid durch eine Temperatur von 70 Grad Celsius und einen Druck von 162 bar in den superkritischen Zustand. Das pumpfähige Gas wird nun zuerst durch ein Wasserbad und anschließend durch die Kaffeebohnen geleitet. Dabei gibt es einen Teil des Wassers an die Bohnen ab und belädt sich gleichzeitig mit Koffein.
Im Anschluss wird das superkritische Kohlendioxid auf 25 Grad Celsius abgekühlt und dadurch verflüssigt. In diesem Zustand passiert es einen Aktivkohlefilter, der das Koffein abfängt. Im letzten Schritt muss noch das Wasser aus den Kaffeebohnen entfernt werden. Dies gelingt, indem man trockenes superkritisches Kohlendioxid durch das Gemisch leitet.
Im Jahr 1970 hatten längst weniger giftige Extraktionsmittel wie Dichlormethan oder Essigester das Benzol aus der ursprünglichen Entkoffeinierungsmethode ersetzt.
Aber auch diese Substanzen können dem Organismus schaden, wenn sie über den Mund aufgenommen werden. Zudem lösen diese Verbindungen nicht nur das Koffein aus der Kaffeebohne, sondern auch einen Teil der Aromastoffe, was den Geschmack des flüssigen Endprodukts beeinträchtigt. Außerdem ist es nahezu unmöglich, die Lösungsmittel nach der Extraktion restlos aus dem Bohnengemisch zu entfernen. Industrie und Verbraucher nahmen Zosels Idee daher dankbar an.
Die Stadt Mülheim an der Ruhr zeichnete Kurt Zosel 1979 – ein Jahr vor seiner Pensionierung – mit dem Ruhrpreis für Kunst und Wissenschaft aus. Zehn Jahre später starb der Chemiker, der die Entkoffeinierung revolutioniert hatte.
Am Max-Planck-Institut für Kohlenforschung, das die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft 1912 als erste nicht in Berlin ansässige Forschungsstätte gegründet hat, arbeiten auch heute noch Wissenschaftler mit superkritischem Kohlendioxid. Die Arbeitsgruppe von Nils Theyssen verwendet dieses Medium, um darin Metallpartikel in Nanometergröße herzustellen. Diese Partikel setzen die Forscher dann als besonders effiziente Katalysatoren ein, also als Beschleuniger chemischer Reaktionen. „Uns interessiert dabei besonders die Umwandlung von Zuckern in Basischemikalien, die sich vielseitig weiterverarbeiten lassen“, sagt Theyssen.
Für die Arbeit mit superkritischem Kohlendioxid hat ihn sein Doktorvater Walter Leitner begeistert, der mittlerweile an der Technischen Hochschule in Aachen forscht.
„Beispiele für die großvolumige Anwendung des von Zosel entwickelten Destraktionsverfahrens findet man heutzutage auf der ganzen Welt“, sagt Leitner. So benutzt eine spanische Firma superkritisches Kohlendioxid zur Reinigung von Weinkorken, um den unerwünschten Korkton zu vermeiden. Und in Korea greifen Chemiker bei der Herstellung von Sojaöl auf die überkritische Extraktion zurück.
Auch zur Entkoffeinierung von Kaffee findet superkritisches Kohlendioxid weiter Einsatz: Weltweit wird auf diese Weise jährlich das Koffein aus 100 000 Tonnen Rohmaterial extrahiert. Unter anderen verwendet die Firma Kraft Foods diese Methode – das Entkoffeinierungsgebäude des Konzerns befindet sich auf dem Areal der ehemaligen Kaffee HAG. Die Produktmanager des Unternehmens sehen zwei große Vorteile in diesem Entkoffeinierungsverfahren: Zum einen lässt sich superkritisches Kohlendioxid nach der Extraktion wieder rückstandslos entfernen, zum anderen handelt es sich dabei um ein natürliches Lösungsmittel. Allerdings ist die Methode vergleichsweise teuer, weshalb Forscher seit Jahren nach Kaffeebohnen suchen, die von Natur aus kein Koffein enthalten.
Dies gestaltet sich schwierig, denn die Pflanzen produzieren den Stoff nicht ohne Grund: Als natürliches Insektizid hält Koffein Fressfeinde fern. In Kaffeesorten, die kein Koffein herstellen, übernehmen Bitterstoffe diese Aufgabe, was sich jedoch erheblich auf den Geschmack auswirkt.
Ende 2003 schien die Lösung nah: Der Brasilianer Paulo Mazzafera hatte eine koffeinfreie Kaffeepflanze entdeckt, die verhältnismäßig wenige Bitterstoffe enthält. Doch seine Hoffnung, die Samen dieser Sorte zur Marktreife zu führen, hat sich bis heute nicht erfüllt: Die Pflanze liefert nur einen sehr geringen Ertrag und hat bisher allen Versuchen getrotzt, diesen durch diverse Züchtungsmethoden zu steigern.
In anderen Labors mühen sich Molekularbiologen damit ab, die Bauanleitung für das Koffein in der Kaffeepflanze gentechnisch auszuschalten. Auch das erweist sich als große Herausforderung, da sich das Gewächs mit den rotbraunen Bohnen derartigen Eingriffen in sein Genom standhaft widersetzt. Außerdem ist damit zu rechnen, dass ein Teil der Verbraucher koffeinfreien Kaffee aus gentechnisch veränderten Pflanzen boykottieren wird. Die Zukunft für das Entkoffeinierungsverfahren mit superkritischem Kohlendioxid, das Kurt Zosel 1967 per Zufall entdeckte, scheint also zumindest noch für eine Weile gesichert.