Direktor im Dachgeschoß
Vor 100 Jahren vollendete Albert Einstein die allgemeine Relativitätstheorie – eine revolutionäre Beschreibung der Schwerkraft als Eigenschaft von Raum und Zeit. Schon in dieser entscheidenden Phase seines Lebens sollte Albert Einstein Direktor des neu gegründeten Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik werden, doch der Erste Weltkrieg verzögerte dieses Vorhaben.
Text: Thomas Bührke
Am 25. November 1915 hielt Albert Einstein vor der Preußischen Akademie der Wissenschaften zu Berlin seinen denkwürdigen Vortrag, der mit den Worten endete: „Damit ist endlich die allgemeine Relativitätstheorie als logisches Gebäude abgeschlossen.“ Es folgten Tage und Wochen voll überschäumender Begeisterung. Gegenüber Freunden schwärmte Einstein, die Theorie sei „von unvergleichlicher Schönheit“ und seine kühnsten Träume seien in Erfüllung gegangen. Dem Physiker Arnold Sommerfeld versicherte er, es sei „der wertvollste Fund, den ich in meinem Leben gemacht habe“
Dieser Einschätzung mochten die Zuhörer indes nicht folgen. Selbst Max Planck und Max von Laue, die Einstein stets unterstützt hatten, blieben skeptisch. „Der freie, unbefangene Blick ist dem (erwachsenen) Deutschen überhaupt nicht eigen“, hatte Einstein schon knapp zwei Jahre zuvor seinem Freund Michele Besso geschrieben. Brauchte es überhaupt eine neue Theorie der Schwerkraft, wo doch die Newton’sche Sichtweise über ein Vierteljahrtausend hinweg bestens funktioniert hatte und alles zu erklären schien?
Isaac Newton beschrieb die Schwerkraft in Form einer Fernwirkung: Zwei Körper wie Erde und Mond sind wie mit unsichtbaren Fäden aneinandergebunden. Auf welche Weise die Kraft übertragen wird, war aber unklar. Darüber hinaus vermitteln die Newton’schen Formeln den Eindruck, als würde die Schwerkraft instantan – ohne Zeitverzögerung – jeden beliebig weit entfernten Ort erreichen. Das widersprach Einsteins spezieller Relativitätstheorie von 1905, wonach sich keine physikalische Wirkung mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreiten kann.
Einsteins Beschreibung der Schwerkraft, physikalisch Gravitation genannt, ist gänzlich anders. Demnach ist sie eine Eigenschaft von Raum und Zeit: Die Materie krümmt den Raum um sich herum, und der Raum zwingt die Materie zu bestimmten Bewegungen. Der Mond umkreist die Erde, nicht weil unsichtbare Kraftlinien die beiden Körper aneinanderbinden, sondern weil Erde und Mond den sie umgebenden Raum eindellen wie Eisenkugeln ein gespanntes Gummituch und sie sich in diesen Mulden umeinander bewegen.
Die Gravitation ist eine Eigenschaft von Raum und Zeit, genauer: der Geometrie von Raum und Zeit. Darin ist sie einzigartig: Alle anderen Naturkräfte wirken in der Zeit und im Raum. Die Gravitation ist Raum und Zeit. Der anfangs skeptische Max von Laue schrieb dazu später, die gekrümmte Raumzeit „ist keineswegs eine mathematische Erfindung, sondern eine allen physikalischen Vorgängen zugrunde liegende Realität. Diese Erkenntnis ist Albert Einsteins größte Leistung.“
Fast so erstaunlich wie das Ergebnis war der Weg dorthin. Einstein entwickelte seine Gravitationstheorie nahezu im Alleingang. Nur einmal benötigte er die Hilfe seines Freundes Marcel Grossmann, als er im Dickicht der Mathematik nicht mehr weiterwusste. Zum Glück ahnte Grossmann, was Einstein benötigte: die Mathematik gekrümmter Räume, die Bernhard Riemann Mitte des 19. Jahrhunderts in Göttingen entwickelt hatte.
Welchen Irrungen und Wirrungen Einstein dabei unterlag, das rekonstruierten Mitte der 1990er-Jahre Jürgen Renn und Tilman Sauer vom Berliner Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte zusammen mit Kollegen in den USA. Grundlage waren Einsteins Aufzeichnungen in einem Notizbuch, das er von Sommer 1912 bis Frühjahr 1913 in Zürich führte. Es enthüllte, dass Einstein bereits gegen Ende 1912 die richtigen Feldgleichungen gefunden – sie aber irrtümlich wieder verworfen hatte. Der Grund dafür war Einsteins Bedingung, dass die Newton’sche Formel als Grenzwert für sehr schwache Gravitation in der neuen Theorie enthalten sein müsse. Bei dieser Grenzwertbildung unterlief Einstein schlicht ein Rechenfehler, den er erst 1915 bemerkte.
Bereits im Juli 1913 hatten Max Planck und Walther Nernst bei Einstein, zu der Zeit Professor für Theoretische Physik an der ETH Zürich, vorgefühlt, ob er Interesse an einem Wechsel an die Preußische Akademie der Wissenschaften habe. Außerdem sollte er Direktor eines neu zu gründenden Instituts der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft werden. Einstein stimmte dem Angebot zu, weil ihn die Aussicht auf eine reine Forscherstelle ohne Lehrverpflichtung reizte. Nicht unbedeutend war aber wohl auch die Aussicht, in der Nähe seiner Cousine Elsa leben zu können, in die er sich zuvor bei einem Besuch in Berlin verliebt hatte.
Die Kollegen erhofften sich von Einstein neue Impulse in der Quantentheorie, die große Chancen für wissenschaftliche und technische Fortschritte versprach. Einstein hingegen gab zu bedenken, es sei ungewiss, ob er auf diesem Gebiet überhaupt noch „ein goldenes Ei legen“ könne. Vor allem aber wollte er sich gar nicht mit der Quantenphysik beschäftigen, was seine Kollegen bald zu spüren bekamen: „Einstein steckt offenbar so tief in der Gravitation, dass er für alles andere taub ist“, bemerkte einmal resignierend der Mathematiker David Hilbert.
Die Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft (KWG) war erst kurz zuvor, im Juni 1911, gegründet worden. Ihre Institute sollten ausschließlich der Forschung dienen und finanziell großzügig ausgestattet werden, wobei sich daran auch Spender – wie Unternehmer und Bankiers – beteiligen sollten. Zu den ersten Einrichtungen zählten das Institut für Physikalische Chemie und Elektrochemie sowie für Chemie, beide in Dahlem. Nun standen die Zeichen gut für ein physikalisches Institut.
Koryphäen wie Fritz Haber, Walther Nernst und Max Planck setzten sich für eine solche Einrichtung ein, und am 21. März 1914 beschloss der Senat der Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft deren Gründung. Von entscheidender Bedeutung war die Zusage der Stiftung des Bankiers und Industriellen Leopold Koppel, das Gebäude zu stellen und ein Drittel der Kosten zu übernehmen. Ein weiteres Drittel wollte der preußische Staat beisteuern.
Doch schon wenig später waren die Pläne Makulatur: Am 31. Juli 1914 verweigerte das Finanzministerium jede weitere Finanzierung. Am darauffolgenden Tag begann der Erste Weltkrieg. Damit war das Projekt vorerst beendet. Albert Einstein kam trotzdem nach Berlin: „Ostern gehe ich nämlich nach Berlin als Akademie-Mensch ohne irgendwelche Verpflichtung, quasi als lebendige Mumie. Ich freue mich auf diesen schwierigen Beruf!“, schrieb er seinem Freund und Kollegen Jakob Laub.
Ein Glücksfall führte dann doch noch am 1. Oktober 1917 zur Gründung des Kaiser-Wilhelm-Instituts für Physik, nachdem der Berliner Industrielle Franz Stock eine Spende von 540 000 Mark angeboten hatte. Allerdings bezog Einstein kein großzügiges Gebäude, sondern residierte in seiner Wohnung in der Haberlandstraße 5 in Schöneberg. Dort wohnte er Tür an Tür mit seiner Cousine Elsa.
Die Organisation dieses Instituts unterschied sich erheblich von jener anderer Kaiser-Wilhelm-Institute. Es wurde von zwei Gremien geleitet: einem sechsköpfigen Kuratorium sowie einem Direktorium, dem Einstein angehörte. Allerdings versuchte Einstein, Treffen auf ein Minimum zu reduzieren. In seiner Amtszeit von 1917 bis 1922 fand sich das Direktorium nur elfmal zusammen.
Anders als bei anderen Instituten sollte der jährliche Etat vornehmlich dazu genutzt werden, aktuelle Forschungsprojekte aus möglichst allen Bereichen der Physik an Fremdinstituten gezielt finanziell zu unterstützen. Von Einstein erhoffte man sich neue Impulse bei der Lösung theoretischer Fragen. Doch glücklich wurde er mit dieser Konstruktion nicht. Einstein besaß kaum finanzielle Freiheiten, und das Direktorium war nicht gewillt, Projekte zur Überprüfung der allgemeinen Relativitätstheorie zu unterstützen.
Insgesamt förderte das Kaiser-Wilhelm-Institut für Physik von 1918 bis 1922 zu etwa drei Vierteln Projekte, die in irgendeiner Form mit der Weiterentwicklung der Quantentheorie zu tun hatten. „Es ist klar, dass das KWI für Physik erheblich zum Fortschritt der Physik beigetragen hat“, schlussfolgert Giuseppe Castagnetti vom Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, der die Historie des KWI für Physik vor einigen Jahren aufgearbeitet hat.
Letztendlich aber war Albert Einstein nicht die richtige Persönlichkeit, um ein solches Institut zu leiten. Er hatte kein Interesse daran, neue Projekte anzuwerfen und Wissenschaftler hierfür zusammenzuführen. Deshalb gab er die Institutsleitung 1922 ab, die Max von Laue übernahm. Nur wenige Monate darauf erhielt der einstige „Institutsdirektor ohne Institutsgebäude“ den Nobelpreis für Physik.