Gedächtnis für Details reift bei Kindern nur langsam
Hochauflösende Bildgebung ermöglicht neue Einsichten in die Entwicklung des menschlichen Gehirns
Der Hippokampus, eine für Gedächtnis und Lernen zentrale Hirnstruktur, reift entgegen bisheriger Annahmen erst im Jugendalter aus. Dies konnten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research sowie der Universität Stirling mithilfe hochauflösender Magnetresonanztomographie erstmals zeigen.
Fragt man jüngere Kinder, was sie gestern zu Abend gegessen haben, geben sie eher allgemeine als spezifische Antworten. Zum Beispiel sagen sie eher „Käse“ als „Emmentaler“. Kinder können Erlebtes also gut einordnen, erinnern sich aber nicht so leicht an Einzelheiten. Trotz dieser Beobachtungen gingen die meisten Wissenschaftler davon aus, dass Hirnregionen, die für das Einprägen und Abrufen von Details zuständig sind, bereits im Alter von etwa sechs Jahren ausgereift sind. Die nun veröffentlichte Studie zeigt jedoch, dass dieser Reifungsprozess bis zum Alter von etwa 14 Jahren andauert.
Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, nutzten Wissenschaftler des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, des Max Planck UCL Centre for Computational Psychiatry and Ageing Research sowie der Universität Stirling neue, hochauflösende Mess- und Auswertungstechniken der Magnetresonanztomographie (MRT). Beim Einprägen und Abrufen vom Einzelheiten sowie generell bei Gedächtnisleistungen spielt der Hippokampus eine zentrale Rolle, eine Region tief im Innern des Gehirns. Mittels hochauflösender Bildgebung gelang es den Forschern, ein genaues Bild der Größe einzelner Teilregionen des Hippokampus zu erhalten.
Insgesamt 70 Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 14 Jahren sowie 33 junge Erwachsene im Alter von 18 bis 26 Jahren nahmen an der Untersuchung teil. „Bei der Auswertung wurde uns bald klar, dass die Altersunterschiede in den Teilregionen keinem einheitlichen Schema folgen und auch nach dem Alter von sechs Jahren noch viel passiert“, sagt Attila Keresztes, Erstautor und Wissenschaftler am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung.
Mit einer speziellen Aufgabe erfassten die Forscher, ob sich die Teilnehmer eher an die Einzelheiten oder an die allgemeinen Eigenschaften einzelner Objekte erinnern. So wurden zum Beispiel Bilder von einem Telefon und einem Buch gezeigt. Im weiteren Verlauf der Aufgabe wurden diese Bilder mit kleinen Veränderungen gezeigt und mit neuen Bildern gemischt. Die Probanden sollten dann angeben, ob sie den jeweiligen Gegenstand schon zuvor gesehen hatten und, falls ja, ob er sich im Vergleich zur ersten Darbietung verändert hatte oder nicht.
Zudem ermittelten die Wissenschaftler, wie die Entwicklung der Teilregionen des Hippokampus mit dem Alter zusammenhängt. Insbesondere zwei Teilregionen zeigten altersbedingte Unterschiede, die mit Unterschieden in der Erinnerung an Details zusammenhängen: der Gyrus dentatus, dessen Funktion unter anderem darin besteht, Merkmale so zu trennen, dass sie einzeln abgerufen werden können, und der entorhinale Cortex, dessen Verbindungen mit der Großhirnrinde auf vielfältige Weise zum Einprägen, Aufbau und Abruf von Gedächtnisinhalten beitragen.
„Die Erkenntnis, dass diese beiden Teilregionen und der Hippokampus insgesamt erst im Jugendalter ausreifen, hat unseren Blick auf die Entwicklung von Lernen und Gedächtnis verändert. Nun stellen wir uns die Frage, wie die späte Ausreifung des Hippokampus dessen Zusammenwirken mit anderen Hirnregionen beeinflusst. Dies werden wir in weiteren Studien genauer untersuchen“, sagt Markus Werkle-Bergner, Forschungsgruppenleiter am Forschungsbereich Entwicklungspsychologie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, der die Studie zusammen mit Yee Lee Shing von der Universität Stirling leitete.
KS