„Das Teleskop bietet ein riesiges Potenzial“
Peter Predehl vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik über die Mission eRosita
Herr Predehl, haben Sie die Ergebnisse der ersten Durchmusterung so erwartet oder waren Sie selbst überrascht?
Eigentlich macht eRosita genau das, was wir erwartet haben. Trotzdem ruft es bei uns Begeisterung hervor, sowohl was die Quantität – wir sehen eine Million Quellen und 20.000 Galaxienhaufen – als auch die Qualität betrifft.
Was ist das Besondere an eRosita?
Unser Teleskop hat zunächst den gesamten Himmel im Röntgenlicht gescannt und dabei keine einzelnen Quellen ins Visier genommen. Ein solcher „All-Sky-Survey“ bietet ein riesiges Entdeckungspotenzial, weil man ja nicht gezielt nach einem bestimmten Objekt sucht, sondern Neues und Unerwartetes im Blick hat. Zweitens besitzt eRosita ein unbegrenztes Gesichtsfeld und kann damit auch Röntgenquellen abbilden, die sehr groß sind und sich weit über das Firmament ausdehnen. Dazu zählen etwa Supernova-Überreste, also die ausgestoßenen Gashüllen explodierter Sterne.
Welche Ziele hat die Mission?
Simulationen haben gezeigt, dass wir mit eRosita rund 100.000 Galaxienhaufen beobachten könnten. Nach dem ersten Durchgang sind wir sicher, dass wir dieses Ziel deutlich übertreffen werden! Die Untersuchung dieser größten Strukturen im Weltall ist unser primäres Ziel. In einem solchen Haufen finden sich bis zu einige Tausend Galaxien – Milchstraßensysteme wie das unsere –, die durch die Schwerkraft aneinander gebunden sind. Im Röntgenlicht erscheinen diese Galaxienhaufen als kompakte Objekte. Dabei messen wir aber nicht das Licht der einzelnen Galaxien, sondern jene Strahlung, die das Gas zwischen den Galaxien aussendet, diese umgibt wie ein Kokon. Insgesamt bilden Galaxienhaufen eine großräumige Struktur, die einem kosmischen Netz ähnelt. Indem wir die Galaxienhaufen beobachten, betreiben wir Kosmologie.
Wie ist das zu verstehen?
Die Galaxienhaufen spiegeln die Materieverteilung im Universum wider, denn sie bilden die Fäden und Knoten des kosmischen Netzes, während es dazwischen riesige Leerräume praktisch ohne Materie gibt. Nun hat sich das All seit dem Urknall entwickelt. Mit eRosita blicken wir in große Entfernungen und – weil das Licht von fernen Objekten sehr lange zu uns unterwegs ist – in die Zeit zurück. Stellen Sie sich vor, wir beobachten im Röntgenlicht einen Galaxienhaufen. Dann haben wir schon mal die Richtung, in der er sich befindet, und seine Helligkeit. Wenn wir jetzt aus Anschlussbeobachtungen mit optischen Teleskopen seine Entfernung messen, können wir schließlich seine Masse bestimmen. Damit wissen wir, welche spezifische Dichte das Universum zu einer bestimmten Epoche hatte. Aus vielen solchen Messungen lässt sich auf diese Weise die Änderung der Dichte über die Äonen bestimmen. Damit können wir letztlich verschiedene kosmologische Parameter ableiten.
Finden Sie auch etwas zur Expansion des Weltalls heraus?
Ja, denn das All dehnt sich beschleunigt aus. Ursache dafür ist offenbar die Dunkle Energie – und damit stecken wir mitten in einem heißen Thema der aktuellen Forschung. Ich will nicht sagen, dass wir das Rätsel um diese Dunkle Energie lösen werden, aber wir sind ihr zumindest auf der Spur.
Und ist die Dunkle Materie auch ein Thema für eRosita?
Wie schon erwähnt, befinden sich zwischen den Galaxien eines Haufens große Mengen heißen Gases. Dieses intergalaktische Plasma sammelte sich in einer Gravitationssenke, die wohl durch die Dunkle Materie erzeugt wurde. Hier ist es interessant zu verfolgen, wie sich Galaxienhaufen unter dem Einfluss der Dunklen Materie und im Laufe der Zeit entwickelt haben.
Warum läuft eRosita nicht in einer Bahn um die Erde, sondern wurde weit weg im Weltraum stationiert?
Dafür gibt es im Wesentlichen drei Gründe: An einem Ort um den sogenannten Librationspunkt 2, etwa 1,5 Millionen Kilometer von der Erde entfernt, ist unser Planet nicht im Weg. Außerdem herrscht dort draußen im Weltraum eine konstante Temperatur, weil die Instrumente ja nicht dem dauernden Wechsel von Tag und Nacht ausgesetzt sind. Drittens erlaubt der Standort eine permanente Beobachtung des Himmels.
Wie geht es mit den Beobachtungen weiter?
Bis Ende 2023 werden wir den ganzen Himmel kontinuierlich immer wieder beobachten – insgesamt noch sieben Mal. Damit steigern wir die Empfindlichkeit der Beobachtung, sodass wir am Ende auf die von uns erwarteten Zahlen kommen werden. Viele Röntgenquellen sind in ihrer Helligkeit sehr variabel. Sie über lange Zeiten zu beobachten hilft uns dabei, etwas über die Mechanismen der Variabilität herauszufinden.
Das Interview führte Helmut Hornung.
Aktualisiert am 22. Juni 2020.