Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Chemie

Luftverschmutzung verkürzt das Leben der Europäer um rund zwei Jahre

Autoren
Lelieveld, Jos
Abteilungen
Max-Planck-Institut für Chemie, Mainz
Zusammenfassung
Luftverschmutzung wird als Gesundheitsgefahr deutlich unterschätzt.  Berechnungen der weltweiten Gesundheitsstudie Global Burden of Disease gingen von einer globalen Sterblichkeitsrate von rund 4,5 Millionen Menschen pro Jahr aus. Laut einer neuen Studie ist diese Zahl deutlich höher und liegt bei 8,8 Millionen pro Jahr. Allein in Europa sterben demnach jährlich knapp 800.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung. Laut unserer Neuberechnung reiht sich schlechte Luft in die Liste der bedeutendsten Gesundheitsrisiken wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen ein.

Schlechte, insbesondere mit Feinstaub belastete Luft führt zu Atemwegs- und Herzkreislauf-Erkrankungen und stellt offenbar ein größeres Gesundheitsrisiko dar als bislang angenommen. Mit einer Studie [1] aktualisierten wir jüngste Berechnungen des Global Burden of Disease (GBD), einer weltweiten Gesundheitsstudie, und auch Ergebnisse eigener früherer Untersuchungen [2]. Die Aktualisierung der Berechnungen wurde notwendig, da eine kürzlich veröffentlichte Studie die krankheitsspezifischen Gefährdungsraten gegenüber den Werten des GBD deutlich höher ansetzt [3]. Die neue Untersuchung berücksichtigt 41 umfangreiche Fallgruppenstudien aus 16 Ländern inklusive China und bietet die beste derzeit verfügbare Datengrundlage. Das Ergebnis: Bis vor Kurzem ging man von einer globalen Sterblichkeitsrate durch Luftverschmutzung von rund 4,5 Millionen Menschen pro Jahr aus. Der neu berechnete Wert liegt bei 8,8 Millionen pro Jahr. Allein in Europa sterben demnach jährlich knapp 800.000 Menschen vorzeitig an den Folgen von Luftverschmutzung.

Verschmutzte Außenluft fordert mehr Opfer als Rauchen

Laut unserer Neuberechnung reiht sich schlechte Luft damit in die Liste der fünf bedeutendsten Gesundheitsrisiken wie Bluthochdruck, Diabetes, Übergewicht und Rauchen ein. Zum Vergleich: Die Weltgesundheitsorganisation WHO schätzt die Mortalitätsrate durch Tabakrauch auf 7,2 Millionen Menschen pro Jahr – inklusive Passivrauchen. Somit ist verschmutzte Außenluft ein ähnlich großer Risikofaktor. Rauchen ist jedoch individuell vermeidbar, Luftverschmutzung hingegen nicht.

Für unsere Berechnungen ermittelten wir zunächst die regionale Belastung mit Schadstoffen wie Feinstaub und Ozon mit Hilfe eines etablierten, datengestützten Atmosphärenchemie-Modells. Diese Expositionswerte verknüpften wir mit krankheitsspezifischen Gefährdungsraten aus epidemiologischen Daten sowie der Bevölkerungsdichte und den Todesursachen in einzelnen Ländern.

Wir stellten fest, dass Feinstaubteilchen mit einem Durchmesser kleiner als 2,5 Mikrometer (PM2,5) die Hauptursache für Atemwegs- und Herzkreislauferkrankungen sind, was die hohen Sterberaten erklärt, die schlechter Luft zugeordnet werden. Die Ergebnisse zeigen zudem, dass der Europäische Grenzwert für Feinstaub, der für den Jahresdurchschnitt bei 25 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegt, viel zu hoch ist. Dieser Wert liegt weit über der Richtlinie der WHO von 10 Mikrogramm pro Kubikmeter.

Feinstaubbelastung sollte gesenkt werden

Die Ergebnisse zeigen eine viel höhere Krankheitsbelastung durch Luftverschmutzung als bisher angenommen. Wir sind der Meinung, dass Luftverschmutzung als wichtiger kardiovaskulärer Risikofaktor anerkannt werden muss, da sie im Körper zusätzliche Schäden durch Diabetes, Bluthochdruck und hohe Cholesterinwerte verursacht [4]. Die Belastung durch Feinstaub sollte weiter gesenkt und die Grenzwerte angepasst werden. Zudem muss Feinstaub als Verursacher von Herzkreislauferkrankungen stärker in den Leitlinien der Europäischen Gesellschaft für Kardiologie in den Vordergrund gerückt werden.

Da ein Großteil des Feinstaubs und anderer Luftschadstoffe aus der Verbrennung fossiler Brennstoffe stammt, plädieren wir für den Ersatz fossiler Energieträger zur Energiegewinnung. Der Einsatz sauberer, erneuerbarer Energien würde nicht nur die in Paris getroffenen Vereinbarungen zur Eindämmung der Folgen des Klimawandels erfüllen, sondern auch die von Luftverschmutzung verursachte Sterberate in Europa über mehr als die Hälfte verringern.

Literaturhinweise

Lelieveld, J., Haines, A., Pozzer, A.
Age-dependent health risk from ambient air pollution: a modelling study of childhood mortality in middle and low-income countries
The Lancet Planetary Health, 2, PE292 (2018)

Burnett, R. et al.

Global estimates of mortality associated with long-term exposure to outdoor fine particulate matter
Proceedings of the National Academy U S A. 115(38), 9592 (2018)

Munzel T, Gori T, Al-Kindi S, Deanfield J, Lelieveld J, Daiber A, Rajagopalan S.
Effects of gaseous and solid constituents of air pollution on endothelial function
European Heart Journal 39(38), 3543 (2018)
Lelieveld, J., K. Klingmüller, A. Pozzer, R.T. Burnett, A. Haines and V. Ramanathan
Effects of fossil fuel and total anthropogenic emission removal on public health and climate
Proceedings of the National Academy of Sciences U.S.A. 116, 7192 (2019)

Lelieveld, J, K. Klingmüller, A. Pozzer, U. Pöschl, M. Fnais, A. Daiber, Münzel, T.

Cardiovascular disease burden from ambient air pollution in Europe reassessed using novel hazard ratio functions
European Heart Journal 40, 1590 (2019)

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