Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für chemische Ökologie
Ein besonderer Geruchsrezeptor verhilft Mottenweibchen zu einer erfolgreichen Aufzucht ihrer Nachkommen
Nahrungskonkurrenz auf der Futterpflanze
Die Raupen des Tabakschwärmers (Manduca sexta) sind äußerst gefräßig. Im Laufe ihrer Entwicklung verspeist eine einzelne Raupe oft alle Blätter einer Wirtspflanze, zum Beispiel wilder Tabak (Nicotiana attenuata), sucht dann eine weitere Pflanze auf, um auch diese komplett zu verspeisen und wiederholt diesen Prozess mehrere Male, bis sie ausgewachsen ist und sich im Boden verpuppt.
Legt ein Falterweibchen ein Ei auf eine Pflanze, auf der bereits eine Raupe heranwächst, kann es passieren, dass die Pflanze vollständig aufgefressen ist, bevor die aus dem Ei schlüpfende Raupe groß genug ist, um den weiten Weg zu einer anderen Pflanze zu überleben. Daher sollten Falterweibchen ihre Eiablageplätze sehr umsichtig wählen, um Konkurrenz für ihren Nachwuchs zu vermeiden.
Vermeidung von Konkurrenz bei der Eiablage
Bislang wurde untersucht, ob weibliche Falter anhand von Veränderungen im Duftmuster der Pflanzen erkennen, dass diese von Raupen befallen sind und daher ihre Eier bevorzugt auf Pflanzen ablegen, an denen noch keine Raupen fressen [1-3]. Unklar war jedoch, ob die Falter auch Duftinformation berücksichtigen, die von den Larven, also den möglichen Konkurrenten ihrer Nachkommen, direkt abgegeben werden.
Mithilfe von Experimenten, in denen eierlegenden Tabakschwärmerweibchen verschiedene Pflanzen in einem Windkanal zu Verfügung gestellt wurden, konnten wir jetzt zeigen, dass die Falter bei der Eiablage tatsächlich nicht nur auf Pflanzendüfte achten. Bei der Entscheidung für oder gegen eine Eiablage werden sie zusätzlich durch den Geruch von Raupenkot beeinflusst (Abb. 1). Wenn bereits eine Raupe auf einer Pflanze heranwächst, sammeln sich große Mengen an Kot an, dessen Geruch, der insbesondere aus aliphatischen Karbonsäuren besteht, die Falterweibchen von der Eiablage abhält [4].
Ein bestimmter Duftrezeptor, IR8a, steuert das Verhalten der Mottenweibchen bei der Eiablage
Die Verwendung der „Genschere“ CRISPR/Cas9, mit der man einzelne Gene in einem Organismus gezielt ausschalten kann, ermöglichte uns, die molekulare Basis dieses Verhaltens genauer zu untersuchen. Als wir verschiedene Rezeptorproteine in den Antennen, also den Riechorganen der Falter, ausschalteten, zeigte sich, dass der ionotrope Rezeptor 8a (IR8a) die Vermeidungsreaktion auf Raupenkot steuert (Abb. 2). Falter, denen die Rezeptorproteine für das Aufspüren dieser Signale fehlten, waren nicht in der Lage, den Kot konkurrierender Artgenossen zu detektieren, und legten daher ihre Eier auf Pflanzen ab, auf denen in der Natur ihre Nachkommen eine verringerte Überlebenschance gehabt hätten [5].
Evolutionsbiologischer Kontext und Ausblick
Pflanzen-Insekten-Wechselwirkungen sind vielfältig und hochkomplex. Sie haben sich im Laufe der Evolution entwickelt und können immer wieder anpasst werden, wenn sich ein Parameter verändert. Es ist keine neue Erkenntnis, dass Tabakschwärmer deutlich weniger Eier auf Pflanzen legen, die bereits von Raupen attackiert wurden, und dass der Geruch von Raupenkot sogar Räuber, also die Feinde der Raupen, anlocken kann. Raupenkot sorgt aber auf der anderen Seite auch dafür, dass Artgenossen ferngehalten werden, mit denen die Larven sonst um ihr Futter konkurrieren müssten. Somit helfen die chemischen Signale aus dem Kot einerseits den schon geschlüpften und fressenden Raupen selbst, aber auch den umherfliegenden Falterweibchen, die die mit Kot besetzten, befallenen Pflanzen vermeiden, um eine bessere Futterpflanze für ihren Nachwuchs zu finden.
Die neu entwickelten genetischen Werkzeuge wie beispielsweise CRISPR/Cas9 bieten vielversprechende Möglichkeiten, das geruchsgesteuerte Verhalten von Tabakschwärmern und anderen Schädlingen noch detaillierter zu untersuchen. Wir wollen damit insbesondere Antworten auf folgende Fragen finden: Welche Faktoren, wie zum Beispiel Blütendüfte, Feuchtigkeit und CO2, führen die Insekten zu ihren Wirtspflanzen? Welche Rezeptorproteine steuern die Reaktionen auf Düfte? Welche Gene sind an diesem Verhalten beteiligt? Grundlegende Erkenntnisse, die aus diesen Studien gewonnen werden, können dazu beitragen, besser auf die neuen Herausforderungen in der Landwirtschaft, die sich auch aus den drohenden Klimaveränderungen ergeben könnten, zu reagieren.
Literaturhinweise
Chemical Senses 38, 147-159 (2013)
PLoS One, 8(10): e77135 (2013)
eLife, 2013 (2): e00421