Forschungsbericht 2019 - Max-Planck-Institut für Astrophysik
Röntgenstrahlung aus dem warm-heißen intergalaktischen Medium
Die Hälfte der baryonischen Materie im heutigen Universum versteckt sich recht erfolgreich – Astronomen gehen davon aus, dass sie als warmes bis heißes intergalaktisches Medium mit Temperaturen zwischen 100.000 und 1 Million Kelvin vorliegt. Seine Dichte übersteigt die der bekannten, "normalen" baryonischen Materie im Durchschnitt um weniger als einen Faktor 100. Die hohe Temperatur dieses Gases impliziert, dass Wasserstoff und Helium nahezu vollständig ionisiert sein sollten. Damit lässt es sich nicht über Absorption des Lichts von weit entfernten Quasaren (Lyman-Alpha-Absorption) nachweisen. Gleichzeitig ist es schwierig, dieses Gas direkt zu beobachten, da seine thermische Emission wegen der geringen Dichte sehr schwach ist. Zudem strahlt es größtenteils bei extremen UV- und weichen Röntgenenergien, die der Beobachtung nur schwer zugänglich sind.
Metalle als Tracer
Glücklicherweise wird das warm-heiße intergalaktische Medium durch schwere Elemente wie Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Neon und Eisen angereichert. Sie werden aus Galaxien mit hoher Sternentstehungsrate ausgestoßen. Die Atome schwerer Elemente werden nicht vollständig ionisiert und machen sich deshalb über zahlreiche Emissionslinien und resonante Absorptionsmerkmale bemerkbar. Diese sind für das warm-heiße intergalaktische Medium von besonderer Bedeutung, da ihre Amplitude proportional zur Gesamtzahl der Ionen auf der Sichtlinie ist und sie daher linear mit der Gaszahldichte skalieren. Doch obwohl bereits mit Röntgenobservatorien Chandra und XMM-Newton viel Beobachtungszeit in die Suche nach dem warm-heißen intergalaktischen Medium investiert wurde, konnten bisher nur marginale Detektionen gemeldet werden.
Streuen des Hintergrundes
Darüber hinaus sollte sich das warm-heiße intergalaktische Medium dank der resonanten Streuung in diesen Linien im UV- und Röntgenbereich auch in der Absorption vor hellen Hintergrundobjekten, vor allem aktiven Galaxienkernen, zeigen. Hinzu kommt die Strahlung einer diffusen Hintergrundstrahlung im Röntgenbereich. Sowohl die Strahlung der Einzelquellen als auch des diffusen Hintergrunds führen zu einer komplexen Wechselwirkung mit den schweren Ionen im warm-heißen Medium und der Anregung von Resonanzemission. Die Folge: Deren Emission wird stark von den hellsten Resonanzlinien dominiert und ergänzt die intrinsische thermische Emission des warm-heißen intergalaktischen Mediums. Dadurch erhöht sich insgesamt die Emission im Röntgenbereich, und charakteristische spektrale Eigenschaften wie die Äquivalenzbreite der Linien und ihr Verhältnis zueinander verändern sich.
Resonanzanhebung
Kürzlich haben wir Berechnungen für die Röntgenemission einer Schicht des warm-heißen intergalaktischen Mediums durchgeführt, die sowohl die Photoionisation durch den kosmischen Röntgenhintergrund berücksichtigen als auch die resonant gestreute Linienemission selbstkonsistent mit einbeziehen (Abbildung 1). Dabei zeigte sich eine Steigerung der Emission in den markantesten Resonanzlinien von Sauerstoff und Neon (OVII, OVIII und NeIX) um einen Faktor von etwa 30. Diese Steigerung ist ziemlich gleichmäßig über fast die gesamte Breite des Dichte-Temperatur-Diagramms verteilt, das für das warm-heiße intergalaktische Medium relevant ist. Selbst nach Mittelung über breite Spektralbänder bleibt der Verstärkungsfaktor sehr signifikant bei etwa fünf, nimmt aber bei Temperaturen von mehr als einer Million Kelvin und bei Überdichten von mehr als100 stark ab, wie in Abbildung 2 für den Energiebereich von 0,5 bis 1 keV dargestellt. Die vorhergesagte Gesamtemission in diesem Band wird von den Resonanzlinien des Sauerstoffs dominiert, die im untersuchten Parameterraum vergleichbare Intensitäten haben
Leuchtende Röntgenzukunft
Ein signifikanter Nachweis einer Schicht aus warm-heißem intergalaktischem Medium (bei einer Entfernung von etwa 1,3 Milliarden Lichtjahren, entsprechend einer Rotverschiebung von z~0,1) in Emission könnte durch ein Röntgenteleskop mit einer effektiven Fläche von etwa 1000 cm2 (bei 0,5-1 keV) mit einer Aufnahmezeit in der Größenordnung von einer Million Sekunden über ein Quadratgrad des Himmels erreicht werden. Dabei ist eine Kontamination durch den diffusen kosmischen Röntgenhintergrund und den galaktischen, diffusen weichen Röntgenvordergrund berücksichtigt. Diese Anforderungen könnten bereits mit einer einzigen Beobachtung des unter Leitung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik gebauten Weltraumteleskops eROSITA erfüllt werden. Dieses befindet sich an Bord der im Sommer 2019 gestarteten russischen Sonde SRG.
Zukünftige Röntgenmissionen werden in der Tat großartige Möglichkeiten bieten, das warm-heiße intergalaktische Medium zu untersuchen, sowohl bei großflächigen Röntgendurchmusterungen als auch bei tiefen kleinräumigen Beobachtungen mit Röntgenkalorimetern. Für erstere kann das Signal in Absorption und Emission von bestimmten Spurenelementen in der großräumigen Struktur erfasst werden, während für letztere die Detektion und potenzielle Diagnostik von einzelnen Wolken im Vordergrund stünden