„Den Wald in Ruhe zu lassen, ist blauäugig“
Dem Wald in Deutschland geht es schlecht. Abgestorbene Bäume und lichte Kronen bereits im Sommer zeigen deutlich, wie es um ihn steht. Henrik Hartmann, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, geht der Frage nach, wie sich der Wald verändern muss, wenn er auch bei fortschreitendem Klimawandel bestehen soll. Wir sprachen mit ihm über den Zustand und die Zukunft des Waldes, und darüber, wie Wissenschaft und Politik den Waldumbau unterstützen können.
Herr Hartmann, wird es in 30 Jahren in Deutschland noch Wald geben, oder leben wir dann in einer Savanne?
Hartmann: Prognosen für ein paar Jahrzehnte sind schwierig, auch weil der Wald einen anderen Zeithorizont hat als der Mensch. Aber bei gleichbleibenden Niederschlagsmengen wird es bei uns sogar in 150 Jahren noch Wald geben. Die Frage ist nur, wie er aussehen wird. Sicherlich anders als heute, auch wenn das viele nicht wahrhaben wollen und es sie beunruhigt.
In vielen Teilen Deutschlands gab es in den vergangenen paar Jahren aber doch viel weniger Regen als im Schnitt der letzten Jahrzehnte.
Das ist nicht das einzige Problem: Weil die Temperaturen im Durchschnitt gestiegen sind, verdunstet mehr Wasser über die Blätter der Bäume. Selbst wenn die Niederschlagsmenge gleichbleibt, trocknet der Boden so immer weiter aus. Irgendwann leiden dann auch die Bäume unter diesen für sie zu trockenen Bedingungen. Das trifft vor allem große, alte Bäume. Die Hitzewellen und Dürren der vergangenen Jahre zeigen da, was noch alles auf uns zukommt.
Allerdings werden manche Arten auch auf lange Sicht mit den Bedingungen klarkommen, zumindest wenn sich das Klima nicht weiter so rasant verändert wie bisher. Der Wald ist sehr widerstandsfähig. In den fast 400 Millionen Jahren seiner Existenz hat er schon Schlimmeres überstanden als den von uns gemachten Klimawandel. Er wird schon ohne uns klarkommen. Für uns wird es aber schwer, wenn der Wald in unserem Lebensraum schwächelt oder sogar daraus verschwindet.
Wie wird der Wald also in Zukunft aussehen?
Das ist eine Frage, die wir erst noch erforschen müssen, und zwar indem wir Fachleute aus ganz unterschiedlichen Disziplinen zusammenbringen: Ökologen, Ökophysiologen, zu denen ich gehöre, Forstwirte und Modellierer, die Szenarien für die Zukunft prognostizieren können. Das ist ein Grund, warum ich mit ein paar Kolleginnen und Kollegen das Tree Mortality Network gegründet habe. Darin untersuchen wir etwa, welche Baumarten unter welchen Bedingungen absterben, um so Rückschlüsse auf zukünftige Waldzusammensetzungen ziehen zu können.
Weiß man zumindest, welchen Bäumen es aktuell schlecht geht und welchen gut?
In Deutschland sterben jedenfalls nicht mehr nur die Fichten, sondern auch Kiefern, die tiefe Wurzeln bilden und daher lange als trockenresistenter und als Baumart der Zukunft galten. Aber vor allem die tiefen Bodenschichten sind in den vergangenen Jahren viel zu trocken geworden. Deshalb geht die Strategie der Kiefer, Wasser aus tieferen Bodenschichten zu ziehen nicht mehr auf. Von der Buche dachte man, dass sie mit Hitze und Dürre klarkommt, weil sie bei extremer Trockenheit ihre Blätter abwerfen kann. Jetzt sind die meisten überrascht, dass auch die Buche so zu kämpfen hat.. Damit fallen schon mal zwei Hoffnungsträger für den Waldumbau weg.
Im Moment sieht es so aus, dass die Linde und der Ahorn die veränderten Bedingungen ganz gut aushalten, wobei der Ahorn jetzt verstärkt von der Rußrindenkrankheit befallen wird. Auch die Eiche könnte sich halten, wenn der Eichenprozessionsspinner nicht weiter vordringt und sich das Klima nicht weiter so schnell und stark verändert. Und wenn es den Borkenkäfer nicht gäbe, stünde vielleicht sogar die Fichte ganz gut da, denn an der Oberfläche ist der Boden an vielen Standorten zumindest zeitweise feucht genug.
Hat der Borkenkäfer nicht vor allem deshalb so leichtes Spiel, weil die Fichten so trocken sind?
So ganz genau wissen wir das nicht und wahrscheinlich ist es auch nur Teil des Problems. Solche Aussagen liest man immer wieder, auch in anerkannten Fachbüchern. Wenn man dann aber genau nachschaut stellt sich heraus, dass dort vieles intuitiv abgeleitet ist und die Datenlage nicht immer robust ist oder gar fehlt.
Klar, Trockenstress ist für Bäume genauso schlecht wie für uns, aber der Einfluss der Trockenheit und Hitze auf Bäume ist schlecht vom positiven Effekt auf die Populationsdynamik der Käfer zu trennen: Die vermehren sich bei wärmeren Temperaturen viel schneller. Um da zu differenzieren, müssten Modelle, mit denen die Entwicklung des Waldes im Klimawandel simuliert wird, sowohl die Stressreaktionen der Bäume und die Interaktionen mit den Käfern berücksichtigen. Im Moment kommen Schädlinge in den meisten Modellen aber gar nicht vor.
Viele solcher komplexer Zusammenhänge wurden bislang auch deshalb noch nicht untersucht, weil wir sie nicht untersuchen mussten, es ging dem Wald ja eigentlich ziemlich gut in den letzten Jahrzehnten. Weil sich das geändert hat, widmen wir uns jetzt solchen Themen. In einem aktuellen DFG-Projekt untersuchen wir zum Beispiel den Zusammenhang zwischen Trockenstress und dem Metabolismus der Fichte. Dabei interessiert uns vor allem, wie die Trockenheit neben dem primären auch den sekundären Stoffwechsel des Baumes beeinflusst, das heißt die Verteidigung beziehungsweise die Abwehrmechanismen gegen Schädlinge.
Reagiert die Forstwirtschaft richtig auf die Veränderungen?
Die Förster haben es da schwer: Sie sollen heute so entscheiden, dass ihr Wald auch in 70, 100 oder gar 200 Jahren noch gesund ist. Wie aber kann man so etwas einschätzen, wenn sich die Rahmenbedingungen so rasant ändern?
Meines Erachtens stimmt es nicht, dass die Förster an der aktuellen Situation Schuld sind, weil sie auf Fichten und Monokulturen gesetzt haben, wie es oft heißt. Die Förster haben nach dem Krieg die Brachflächen und Kahlschläge bewaldet, so wie es Politik und Gesellschaft von ihnen verlangten. Dass die Fichten nun vom Borkenkäfer hingerafft werden, wird zwar durch Monokulturen gefördert, das eigentliche Problem aber ist der Klimawandel, und dafür sind wir alle verantwortlich, nicht nur die Förster.
Was können Förster heute schon für die Wälder tun?
Im Moment geht es auch darum, geschädigte Bestände zu verjüngen, und das geschieht schon an vielen Orten. Da werden junge Buchen, die auch mit wenig Licht auskommen, zwischen verbliebene Fichten eingeführt. Oder Laubmischbestände werden neu gegründet. Aber die Frage ist natürlich, wie lange sich die Arten halten, wenn es mit dem Klimawandel so weiter geht. Der schreitet einfach zu schnell voran, und wir verlieren zu schnell große und alte Bäume, die nur über eine lange Zeit ersetzt werden können.
Welche politischen Entscheidungen sind nötig, um den Förstern und dem Wald zu helfen?
Ein Grundproblem ist, dass die Forstwirte in den 1990-er Jahren zu betriebswirtschaftlichem Handeln gedrängt wurden: Der Forst soll sich seither mit dem Verkauf von Holz aus dem Wald zumindest teilweise finanzieren. Im Moment sind aber nicht nur die Preise für Holz im Keller, die Förster kommen auch gar nicht mehr hinterher, die abgestorbenen Bäume aus dem Wald zu holen. Außerdem muss viel Geld investiert werden, um die geschädigten Bestände wieder aufzuforsten.
Das ist aber noch nicht alles: Förster sind auch dafür verantwortlich, die Waldwege zu sichern, was wiederum mehr Kosten bedeutet. Der Handlungsspielraum der Forstwirtschaft wird dadurch immer enger. Meiner Meinung nach müsste man Waldbesitzer nicht nur für die Holzproduktion vergüten, sondern auch für die Dienstleistungen des Waldes: die Naherholung, die Luftreinhaltung oder die Regulierung des regionalen Klimas und des Wasserhaushalts. Das würde mehr finanziellen Spielraum schaffen und den Waldumbau erleichtern.
Wer entscheidet, wie der Wald für die Zukunft umgestaltet wird?
Es muss eine gesellschaftliche und politische Diskussion darüber geben, was wir vom Wald erwarten und wie er künftig aussehen soll, damit wir den Förstern einen klaren Auftrag erteilen können. Die Grundlagen für die Diskussion, an der natürlich auch Naturschützer beteiligt sein sollen, muss die Wissenschaft erarbeiten. Auch hier sind viele Disziplinen gefragt, nicht nur Forstwissenschaftler und Biologen, sondern auch Soziologen und Ökonomen.
Ich denke, es wäre sinnvoll ein virtuelles Institut zum Waldumbau zu gründen, um Arbeitsgruppen von verschiedenen Universitäten und anderen Institutionen, aber auch weitere Experten mit relevantem Hintergrund zusammenzubringen. In einer solchen Einrichtung könnte man die komplexe Situation erfassen und Lösungsansätze suchen, die alle Interessen berücksichtigen. Auf jeden Fall kann es beim Waldumbau nicht mehr darum gehen, welche Baumarten das meiste Holz bringen. Die wichtigste Frage muss sein, welche Bäume überhaupt das künftige Klima aushalten.
Was halten Sie von dem Vorschlag, den Wald einfach sich selbst zu überlassen?
Den Wald in Ruhe zu lassen, ist zwar eine mögliche Strategie, aber vollkommen blauäugig, finde ich. Wirklichen Urwald gibt es bei uns doch schon lange nicht mehr. Der Wald in Europa wird seit Jahrhunderten, gar seit Jahrtausenden genutzt, und wir brauchen ihn als Ressource. Sonst müssten wir Holz aus anderen Ländern importieren, wo es dem Wald möglicherweise viel schlechter geht.
Wir haben in Deutschland beste Voraussetzungen, um den Wald nachhaltig zu bewirtschaften, das ist nicht in allen Ländern so. Wir können hier durch vernünftige Forstwirtschaft Verantwortung übernehmen, auch für den Klimaschutz. Meiner Meinung nach ist es zum Beispiel viel besser, statt Beton Holz als Baustoff zu verwenden. Und selbst wenn man nachhaltig erzeugtes Holz als Brennstoff nutzt, ist das sinnvoll. Denn dadurch verhindert man, dass Kohle oder Öl verbrannt werden und so zusätzliches Kohlendioxid freigesetzt wird, das nicht vor Kurzem durch die Fotosynthese der Bäume aus der Luft gebunden wurde, sondern seit Millionen von Jahren außerhalb der Atmosphäre gespeichert ist. Verantwortungsbewusste Forstwirtschaft ist aktiver Klima- und Umweltschutz.
Vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Peter Hergersberg