Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Sonnensystemforschung
Cassini wirft neues Licht auf die Physik planetarer Strahlungsgürtel
Alle Planeten unseres Sonnensystems, die im Inneren ein entsprechend starkes Magnetfeld erzeugen, beherbergen in ihrer Magnetosphäre solche Strahlungsgürtel, die unter anderem die Elektronik von Satelliten schädigen können. Neben der Erde sind auch die Gas- und Eisriesen Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun von Strahlungsgürteln umgeben. Merkurs Magnetfeld hingegen ist nicht stark genug, um die energiereichen Teilchen einzufangen.
Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Strahlungsgürteln der Erde und denen des Saturn sind deren gewaltige Ausmaße und damit verbunden die enorme Anzahl der darin gefangenen geladenen Teilchen. Ein weiterer Unterschied sind die zahlreichen großen Monde, die Neutralgas- und Staubwolken und das beeindruckende Ringsystem, die in dieser Region der Magnetosphäre des Saturn vorhanden sind. Dies alles hat einen starken Einfluss auf die Strahlungsgürtel. Als die ersten Raumsonden Pioneer 11 und Voyager 1 und 2 zwischen 1979 und 1981 an Saturn vorbeiflogen, registrierten die Instrumente an Bord ausgedehnte Regionen mit deutlich reduzierter Teilchenanzahl hochenergetischer Elektronen und Protonen in der Nähe der Bahnebene der Monde und der Ringteilchen. Außerhalb dieser Umlaufbahnen war die Anzahl der Teilchen des Strahlungsgürtels jedoch immer noch hoch. Wie war das möglich?
Die Cassini-Mission
Erste Antworten auf diese Frage konnte die Cassini-Mission der NASA und ESA liefern, deren Raumsonde zwischen 2004 und 2017 als erste den Saturn umkreiste und so die Strahlungsgürtel des Ringplaneten intensiv untersuchen konnte. Mit an Bord war das Magnetosphere Imaging Instrument (MIMI) bestehend aus drei unterschiedlichen Teilchenspektrometern. Eines davon war das Low Energy Magnetospheric Measurement System (LEMMS), das wir am MPS entwickelt und gebaut haben. Dieser Sensor war in der Lage, die energiereichsten Teilchen in der Magnetosphäre des Saturn zu messen, einschließlich derjenigen, die die Strahlungsgürtel bilden. Sind die geladenen Teilchen erst einmal in den Strahlungsgürteln gefangen, bewegen sie sich entlang der Magnetfeldlinien sehr schnell zwischen Nord- und Südpol hin und her. Kommt ihnen beispielsweise ein Mond auf ihrer Bahn in die Quere, werden sie absorbiert und gehen so für den Strahlungsgürtel teilweise oder ganz verloren. Erst durch Messungen an Bord von Cassini hat man herausgefunden, dass die Neutralteilchen in einer Magnetosphäre eine doppelte Rolle spielen können: Sie reduzieren nicht nur die Strahlung, sondern sie können sie auch auf vielfältige Weise verstärken. Die Rolle von neutralen Teilchen bei der Aufrechterhaltung der Strahlungsgürtel des Saturn wurde kurz nach Cassinis Ankunft am Saturn im Juli 2004 deutlich. Während dieser Zeit entdeckte LEMMS innerhalb der Strahlungsgürtel regelmäßige starke Anstiege in der Teilchenanzahl, sogenannte Injektionen [1]. Es stellte sich heraus, dass diese Injektionen Teil einer Instabilität sind, die entsteht, wenn die Magnetosphäre mit Material aus schweren Teilchen beladen wird, die der Planet anschließend durch seine schnelle Rotation wieder abzustoßen versucht. Als Quelle dieses schweren Materials ließ sich mit Cassini der aktive Mond Enceladus identifizieren, der zahlreiche aktive Kryovulkane beherbergt, die kontinuierlich Wasserdampf und Staub in die Magnetosphäre des Saturn einspeisen. LEMMS hat in 13 Jahren mehr als 1000 dieser Injektionen aufgezeichnet.
Die energiereichsten Protonenstrahlungsgürtel des Saturn haben einen anderen Ursprung. Der so genannte CRAND-Prozess (Cosmic ray albedo neutron decay) spielt dabei die entscheidende Rolle: Kollisionen der galaktischen kosmischen Strahlung (GCRs) mit den Saturnringen und der Atmosphäre des Planeten erzeugen sekundäre Neutronen, die dann unter anderem in die hochenergetischen Protonen im Strahlungsgürtel zerfallen, die LEMMS gemessen hat [2]. CRAND ist eine besonders starke Quelle, die effizient genug ist, um die gesamten Protonenstrahlungsgürtel allein zu versorgen. Sogar die Region zwischen der Saturnatmosphäre und den Ringen des Planeten, eine Region, die mit großen Mengen von Neutralteilchen aus der Atmosphäre und mit Staub aus dem innersten D-Ring des Saturn gefüllt ist, wird durch diesen Prozess mit sehr energiereichen Protonen bevölkert [3, 4].
Grand Finale
Als erste Sonde flog Cassini sechs Monate lang immer wieder durch diese Region (das sogenannte Grand Finale der Mission), bevor die Mission am 15. September 2017 durch einen kontrollierten Absturz auf den Planeten beendet wurde. Noch überraschender waren die LEMMS-Elektronenbeobachtungen. Die elliptischen Bahnen der Raumsonde brachten Cassini in die Nähe des F-Rings, eines schmalen Rings direkt außerhalb des auffälligen Hauptrings. LEMMS-Messungen haben relativistische Elektronen entdeckt, die nicht wie erwartet in der Materiallücke zwischen dem F- und dem Hauptring, sondern über dem F-Ring liegen. Dieser vorher unbekannte Mikro-Strahlungsgürtel (microbelt) von Elektronen war nicht über den ganzen F-Ring verteilt, sondern lokal begrenzt. Es konnte gezeigt werden, dass diese Elektronen durch Kollisionen von GCRs mit dichten Materialklumpen innerhalb des F-Rings erzeugt werden [5].
Die 13-jährigen Beobachtungen von LEMMS am Saturn sind voller Höhepunkte. Die Tatsache, dass materialdominierte Magnetosphären wider Erwarten zur Erzeugung hochenergetischer Teilchenstrahlung und zur Aufrechterhaltung starker Strahlungsgürtel beitragen, gehört sicherlich dazu. Ähnliche Beobachtungen bei Jupiter durch Missionen wie Galileo und Juno zeigten ebenso zahlreiche material- und rotationsgetriebene Injektionen. Hinweise auf die Erzeugung energetischer Teilchen durch die Wechselwirkung mit Ringteilchen lassen vermuten, dass diese Befunde nicht spezifisch für Saturn sind, sondern von fundamentaler Natur für andere Strahlungsgürtel in unserem Sonnensystem und möglicherweise darüber hinaus.
Literaturhinweise
DOI:10.1029/2005GL022485
DOI:10.1029/2008GL035767
DOI:10.1126/science.aat1962
DOI:10.1029/2018GL078096
DOI:10.1029/2018GL078097