Forschungsbericht 2021 - Max-Planck-Institut für Biogeochemie
Gefährdung von Ökosystemen durch häufige Extremereignisse
Die Häufigkeit von extremen Wetter- und Klimaereignissen nimmt mit jedem zusätzlichen Grad der globalen Erwärmung zu. Solche Ereignisse wirken sich auf die Ökosysteme aus und hinterlassen über mehrere Jahre hinweg Spuren. Da sich die Intervalle zwischen den Stressbedingungen verkürzen, ist die Erholungsphase zwischen zwei Ereignissen kürzer. Das gefährdet die Stabilität der Ökosysteme. Mithilfe der Fernerkundung können wir den Zustand der Vegetation und die Folgen von Extremereignissen überwachen. Daraus lassen sich wichtige Erkenntnisse über Managementstrategien ableiten.
Von den zehn wärmsten Sommern in Europa seit 1880 sind alle bis auf zwei nach 2010 aufgetreten. Einige davon waren so heiß, dass ihre Wahrscheinlichkeit ohne anthropogenen Klimawandel fast gleich null gewesen wäre [1]. Mit ihren dramatischen Auswirkungen haben sich besonders die Hitzesommer der Jahre 2003, 2010 und 2018 in unser kollektives Gedächtnis eingeprägt: erhöhte Sterblichkeitsraten in der Bevölkerung, geringere Ernteerträge, massive Waldbrände und Baumsterben [1,2].
Solche Extremereignisse werden in der Regel durch zufallsbedingte Schwankungen der Luftzirkulation in der Atmosphäre ausgelöst, die sich auf die Niederschläge und die Temperatur auswirken [1,3]. Trockene und heiße Bedingungen an der Erdoberfläche verstärken sie weiter [1]. Diese in Europa und anderen gemäßigten Klimaregionen seltenen Ereignisse werden durch den anthropogenen Klimawandel intensiver und häufiger vorkommen. [1,3]
Aufgrund ihrer zufallsbedingten Auslöser treten Extremereignisse meist in unregelmäßigen Abständen auf und können sich zeitlich und/oder räumlich häufen. Dies spielt eine Rolle für die Auswirkungen mehrerer Ereignisse auf Ökosysteme, da deren Erholungsphase mehrere Jahre dauern kann. Wir erforschen, wie sich Extremereignisse auf den Kohlenstoff- und Wasserkreislauf in Ökosystemen auswirken und was deren Fähigkeit steuert, sich wieder zu erholen. Und wir wollen vorhersagen, wie sich Extreme durch den Klimawandel verändern und auf diesen zurückwirken.
Aufeinander folgende Extremereignisse verändern die Ökosysteme
Änderungen in den Umweltbedingungen wirken sich auch auf die verschiedenen Ökosystemfunktionen aus, wie die Aufnahme von Kohlendioxid (CO2) und das Wachstum der Pflanzen. Die Effekte eines Extremereignisses lassen sich als Abweichung solcher und ähnlicher ökologischer Variablen von einem Referenzzustand abschätzen (zum Beispiel dem Mittelwert über mehrere Jahre, idealerweise über mehrere Jahrzehnte). Die Ökosysteme regenerieren in den folgenden Monaten oder Jahren und gelten als erholt, wenn der Referenzzustand wieder erreicht ist [4].
Ist das Zeitintervall zwischen Extremereignissen länger als die benötigte Erholungsphase, entsteht ein dynamisches Gleichgewicht. Steigt jedoch die Häufigkeit solcher Extremereignisse und wiederholen sie sich schneller, als für die Erholung notwendig ist, können sich die Auswirkungen verstärken. Dadurch können Kaskadeneffekte entstehen, die zu weiteren Schäden führen [4].
Da Aufzeichnungen bislang nur recht kurz zurückreichen und nicht flächendeckend sind, gibt es erst wenige Beispiele für die Folgen gehäufter Extreme, die naturgemäß selten auftreten. Dies führt zu der wichtigen Herausforderung, die Auswirkungen zu modellieren [5] und künftige Risiken für Ökosysteme durch den Klimawandel zuverlässig einzuschätzen.
Zwei extreme Sommer in Europa
Die beiden trockenen und heißen Sommer 2018 und 2019 in Mittel- und Osteuropa bieten eine einzigartige Gelegenheit, derartige Ereignisse mit geringer Wahrscheinlichkeit und großer Auswirkung zu untersuchen.
Mithilfe von Satelliten können wir den Anteil der grünen Vegetation als lebende Pflanzenwelt auf der Erdoberfläche erfassen und den braunen Flächen mit abgestorbener Vegetation gegenüberstellen. Anhand von Satellitendaten haben wir die Auswirkungen der Sommer 2018 und 2019 auf die Vegetation in Mitteleuropa bewertet. Wir fanden dabei ungewöhnliche gegenläufige Reaktionen auf die beiden aufeinanderfolgenden extremen Sommer. Während im Sommer 2018 die meisten Gebiete unter Hitze und Trockenheit braun wurden (Abb. 2, oben rechts), ergrünten im Sommer 2019 einige Gebiete wieder, trotz anhaltender Trockenheit. In diesen Regionen dominierten landwirtschaftliche Anbauflächen, so dass sich die rasche Erholung durch eine angepasste Bewirtschaftung erklären lässt.
In etwa 20 Prozent der Regionen (Abb. 2) kam es im Sommer 2019 hingegen zu einer erneuten Verbräunung, obwohl die Trockenheit nur mäßig ausgeprägt war.
Dieser Effekt trat in Gebieten auf, die von Wäldern und Grasland beherrscht wurden. Er lässt sich durch eine erhöhte Anfälligkeit für ein zweites Extremereignis als Folge der früheren Schäden im Jahr 2018 erklären. Ebenso könnten Kaskadeneffekte der trockenen und heißen Bedingungen eine Rolle spielen, zum Beispiel durch eine vermehrte Anfälligkeit gestresster Bäume für Insektenbefall. Tatsächlich wurden mehrere Regionen, in denen die Verbräunung auftrat, als Wälder erkannt, in denen ein großflächiger Borkenkäferbefall, Kronenschäden und Baumsterben auftraten [4]. Bei hohem Schädlingsbefall werden Bäume oft abgeholzt, was den Trend zur Verbräunung weiter verstärken kann.
Um zu beurteilen, ob Ereignisse wie die Hitzesommer 2018 und 2019 einen Abwärtstrend beim Anteil der grünen Vegetation auslösen können, benötigen wir detaillierte Angaben über die lokalen Muster der Kronenschäden, Baumsterblichkeit, Insektenausbrüche und anderer Folgen. Zur Vorhersage der Auswirkungen, wie beispielsweise auf die Ernteerträge oder Baumsterblichkeit, bedarf es zusätzlicher Informationen über das Mikroklima, die Beschaffenheit der Landschaft, die Artenvielfalt und Altersverteilung der Bäume sowie Bodeneigenschaften und Bewirtschaftungsmethoden. Viele dieser Variablen sind auf der Erdoberfläche sehr uneinheitlich verteilt und erfordern daher Informationen mit hoher räumlicher Auflösung. Immer bessere und räumlich hochaufgelöste Satellitendaten, höhere Rechenleistungen sowie die Methoden des maschinellen Lernens ermöglichen große Fortschritte für die Untersuchung von Ökosystemeigenschaften. Wir erwarten deshalb in den kommenden Jahren viele neue Erkenntnisse und verbesserte Computermodelle über die Reaktionen der Ökosysteme auf Extremereignisse. Unser Ziel ist eine solide Bewertung der Gefahren des Klimawandels für die Stabilität unserer lebenswichtigen Ökosysteme.