Quantensprung im Film
Ein extrem schnelles Mikroskop ermöglicht ungeahnte Einblicke in die Dynamik von Elektronen in Molekülen
Um schnelle chemische Reaktionen besser zu verstehen und möglicherweise auch zu kontrollieren, muss man das Verhalten der Elektronen möglichst genau studieren – und zwar in Raum und Zeit. Bislang liefern Mikroskopieverfahren aber nur entweder räumlich oder zeitlich scharfe Bilder. Mit einer geschickten Kombination etablierter Techniken der Tunnelmikroskopie und Laserspektroskopie hat ein Team um Klaus Kern, Direktor am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung in Stuttgart, diese Schwierigkeiten nun überwunden. Ihr atomares Quantenmikroskop kann die Bewegung von Elektronen in einzelnen Molekülen sichtbar machen.
Nicht nur für das Verständnis biologischer Prozesse wie der pflanzlichen Photosynthese ist es unerlässlich, die Elektronendynamik in Molekülen abzubilden. Es ist auch für viele technische Anwendungen entscheidend, wie für die Entwicklung von Solarzellen oder von neuartigen elektronischen Komponenten. Bisherige Abbildungsmethoden liefern jedoch zum Teil nur schwer reproduzierbare oder sogar widersprüchliche Aufnahmen. Das liegt daran, dass sie die schnellen Elektronen nicht direkt abbilden können, sondern stets auf Techniken zurückgreifen mussten, mit denen sich das Verhalten der Elektronen nur rekonstruieren lässt.
Denn moderne Mikroskopieverfahren bieten zwar schier unbegrenzte Möglichkeiten – doch sie sind immer auch mit gewissen Kompromissen verbunden. So erlaubt die Rastertunnelmikroskopie mit einem Auflösungsvermögen von einem Zehntel Pikometer (ein Pikometer ist ein billionstel Meter), extrem scharfe Bilder von einzelnen Atomen zu machen. Dafür ist sie langsam und kann die Elektronen-Dynamik in einem Material nicht einfangen. Optische Methoden mit ultraschnellen Laserpulsen hingegen können Elektronenbewegungen im Attosekundenbereich dingfest machen, liefern aber räumlich nur grob verwaschene Bilder – weit jenseits der atomaren Auflösung, die mit Rastertunnelmikroskopen möglich ist. Eine Attosekunde entspricht einer milliardstel milliardstel Sekunde. Die typischen Elektronendynamiken und Laserpulse liegen im Bereich einiger hundert Attosekunden.
Kamera aus Rastertunnelmikroskop und Attosekundenpulsen
„Wir haben schon seit einigen Jahren daran gearbeitet, diese beiden Techniken so zu verbinden, dass jede ihre Stärken ausspielen kann, ohne ihre Schwächen einzubringen“, sagt Manish Garg, Leiter einer Forschungsgruppe am Max-Planck-Institut für Festkörperforschung. Dazu mussten die Forscher die alterprobte Rastertunnelmikroskopie mit modernster Lasertechnik koppeln. Bei einem Rastertunnelmikroskop fährt eine hauchfeine, atomar dünne Spitze ganz knapp über einer leitenden Oberfläche entlang. Dank des quantenphysikalischen Tunneleffekts können Elektronen zwischen der Oberfläche und der Mikroskopspitze fließen, auch wenn kein direkter Kontakt besteht. So lässt sich etwa ein Molekül auf einer Oberfläche schrittweise Atom für Atom abrastern.
Die neue Mikroskopietechnik moduliert nun mit Hilfe von Laserpulsen den Tunnelstrom durch gezielte Anregung der Elektronen im Material. „Das muss extrem schnell geschehen, da sonst etwa thermische Effekte zum Tragen kommen und die Messungen unmöglich machen“, erklärt Alberto Martin-Jimenez, der an den Experimenten maßgeblich beteiligt war. Die nötigen ultraschnellen Laserpulse im Attosekundenbereich gibt es nicht von der Stange zu kaufen. Aber dank der rasanten Entwicklung der Lasertechnik in den letzten Jahren ist es den Forschern nun gelungen, genau die passenden Pulse zu erzeugen. Vor zwei Jahren haben Garg und Kern erstmals die Funktion eines solchen atomaren Quantenmikroskops demonstriert.
Neue Perspektive auf biophysikalische Prozesse, Solarzellen und Transistoren
Jetzt gelang ihnen mit diesem weltweit einzigartigen Instrument die direkte Beobachtung der Elektronenbewegung in Molekülen. Mit Hilfe der ultrakurzen Pulse ließen sich die Elektronen im Molekül zu Sprüngen zwischen den verschiedenen Orbitalen anregen. Das machte sich im Tunnelstrom bemerkbar. Der Clou der neuen Technik bestand nun darin, in schneller Abfolge jeweils zwei minimal zeitversetzte Pulse mit exaktem zeitlichem Abstand hintereinander auf das zu untersuchende Molekül zu schießen und es dabei abzurastern. Wenn man diese Prozedur mehrfach wiederholt und dabei den zeitlichen Abstand zwischen den Pulsen variiert, dann erhält man eine Bildserie, die das Verhalten der Elektronen in diesem Molekül mit atomarer Genauigkeit wiedergibt. Die schnellen Laserpulse liefern also die Informationen über die Elektronendynamik, während das Rastertunnelmikroskop präzise das Molekül abrastert.
„Damit konnten wir erstmals die Dynamik der Elektronen in Molekülen direkt abbilden, wie sie von einem Orbital zu einem anderen springen“, sagt Garg. „Diese Grundlagentechnik liefert ganz neue Möglichkeiten, um quantenmechanische Prozesse wie den Ladungstransfer in einzelnen Molekülen direkt zu beobachten und damit besser zu verstehen.“ Die möglichen Einsatzgebiete für ein solches Quantenmikroskop sind noch kaum abzusehen. Vor allem bei Ladungstransferprozessen, wie sie sowohl bei vielen biophysikalischen Reaktionen als auch bei Solarzellen und Transistoren eine entscheidende Rolle spielen, könnte es entscheidende neue Einblicke liefern.
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