Wald wandelt das Klima
Wälder können große Mengen Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen – so weit herrscht Konsens in der Wissenschaft. Streit gibt es jedoch darüber, wie der Wald dem Klimaschutz mehr dient: wenn er nachhaltig bewirtschaftet wird oder wenn er sich selbst überlassen bleibt. Mittendrin in dieser Auseinandersetzung: Ernst-Detlef Schulze, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena.
Text: Klaus Jacob
Der Kampf gegen den Klimawandel ist nur mit Verbündeten zu gewinnen – der Wald kann einer davon sein. Er ist ein natürlicher Gegenspieler von Öl und Kohle, denn Bäume nehmen Kohlendioxid auf, wandeln es mithilfe des Sonnenlichts in Zucker um und bauen damit unter anderem Holz auf. Ein Kubikmeter Holz enthält im Schnitt etwa 0,3 Tonnen Kohlenstoff, was rund einer Tonne CO2 entspricht. So entziehen Wälder der Atmosphäre riesige Mengen des Treibhausgases und sind neben den Ozeanen weltweit eine der großen Kohlenstoffsenken, wie es im Fachjargon heißt – in Deutschland sogar die größte.
Forscher der ETH Zürich um Jean-François Bastin haben sogar berechnet, dass eine großflächige Aufforstung das Klimaproblem zumindest für die nächsten Jahrzehnte lösen könnte. Dass das realistisch ist, bezweifeln jedoch viele Fachleute, unter anderem, weil man dazu ein Gebiet von der Größe der USA bewalden müsste und geeignete Flächen infolge des Klimawandels immer knapper werden. Dies dürfte vielerorts die Konkurrenz mit der Nahrungsmittelproduktion verschärfen. Die Entwicklung weist derzeit ohnehin in die falsche Richtung. Laut UN-Waldzustandsbericht 2020 verschwinden jedes Jahr rund zehn Millionen Hektar, eine Fläche so groß wie Bayern und Baden-Württemberg zusammengenommen. In Brasilien brennen Plantagenbesitzer den Amazonasregenwald nieder, ermuntert von einem Präsidenten, dem der Export von Agrarprodukten – nicht zuletzt nach Europa – wichtiger ist als Klima und Umwelt. In den Vereinigten Staaten lodern, verstärkt durch den Klimawandel, immer verheerendere Feuer. Und in Europa schaden Hitze, Trockenheit und Stürme dem Forst, sodass Borkenkäfer und Schadpilze leichtes Spiel haben.
Die Frage, wie der Wald umgebaut werden muss, um dem Klimawandel zu widerstehen, treibt derzeit viele Expertinnen und Experten um. In diesem Zusammenhang streiten sie auch darüber, welche Art von Wald für den Klimaschutz am meisten bringt. Überlässt man den Wald besser sich selbst, wie es in einigen Naturparks der Fall ist? Oder nützt der Wald dem Klima mehr, wenn er nachhaltig bewirtschaftet wird? Ernst-Detlef Schulze, emeritierter Direktor am Max-Planck-Institut für Biogeochemie in Jena, hat zusammen mit anderen Wissenschaftlern die Wälder in Mitteleuropa untersucht – und ist zu einem Ergebnis gekommen, das auf den ersten Blick vielleicht überrascht: Ein nachhaltig bewirtschafteter Wald, so rechnet er vor, leiste einen wesentlich höheren Beitrag für den Klimaschutz als ein sich selbst überlassener.
Nutzwald vermeidet CO2-Emissionen fossiler Brennstoffe
Die Idee dahinter: Ein Naturwald hilft dem Klima nur dann, wenn er wächst, wenn also die Masse an Holz – und damit an gebundenem Kohlenstoff – zunimmt. In älteren Wäldern, in denen der Holzvorrat nicht mehr steigt, ist die Kohlenstoffbilanz dagegen weitgehend ausgeglichen. Sobald Bäume sterben und ihr Holz verrottet, wird der gespeicherte Kohlenstoff wieder als CO2 freigesetzt. Mehr noch: Der Wald kann sogar zu einer Kohlenstoffquelle werden, etwa wenn Trockenheit, Windwurf oder Schädlinge wie der Borkenkäfer der Vegetation zusetzen, wie es derzeit im Harz zu sehen ist. Dies hat auch eine Studie der University of Leeds ergeben. Danach geht die Fähigkeit, Kohlendioxid aufzunehmen, in ungestörten Tropenwäldern bereits seit den 1990er-Jahren zurück. Das Amazonasgebiet, so die Warnung der Wissenschaftler, könne Mitte der 2030er-Jahre sogar zur Kohlendioxidquelle werden.
Im bewirtschafteten Wald gelten andere Gesetze: Hier gibt es keinen natürlichen Gleichgewichtszustand, denn es werden ständig Stämme entnommen. Daten des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft aus dem Jahr 2014 zufolge wachsen in deutschen Wäldern, die zum größten Teil wirtschaftlich genutzt werden, pro Hektar jährlich gut elf Kubikmeter Holz heran. Nur ein kleiner Teil davon verrottet auf dem Waldboden, gut zwei Drittel des jährlichen Zuwachses dienen dem Menschen in vielfacher Weise. Das Holz wird zu langlebigen Produkten wie Holzhäusern oder Möbeln verarbeitet, steckt in Gebrauchsartikeln wie Papier, Pappe oder Taschentüchern und sorgt in Form von Scheiten oder Pellets für wohlige Wärme. Was verfeuert wird, ersetzt fossile Brennstoffe. Denn ohne Holz würden viele Hausbesitzer zu Öl oder Kohle greifen. Aber auch ein großer Teil der langlebigen Produkte wird nach der Nutzung verbrannt und dient letztlich der Energiegewinnung. In einem Anfang 2020 im Fachmagazin Global Change Biology – Bioenergy (GCBB) veröffentlichten Artikel bilanzierte ein Team um Ernst-Detlef Schulze die CO2-Ströme für deutsche Nutzwälder, soweit es die Daten zuließen, und kam zu dem Ergebnis, dass allein durch die Substitution fossiler Brennstoffe durch Holz jeder Hektar Wirtschaftswald zwischen 1,9 und 2,2 Tonnen Kohlendioxid pro Jahr einspart. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass das Holz tatsächlich Öl oder Kohle ersetzt. Sollte Deutschland seine Energie zu hundert Prozent regenerativ gewinnen, dann würde diese Rechnung nicht aufgehen.
Die Klimabilanzen verschiedener Wälder
Nicht alles Holz, das nachwächst, wird geerntet. Schulze geht davon aus, dass nur etwa zwei Drittel des Zuwachses dem Wald entnommen werden. Ein knappes Drittel bleibt also im Forst. Unter anderem wächst der Holzvorrat im Wald; jeder Hektar entzieht der Atmosphäre so jährlich ein bis zwei Tonnen Kohlendioxid, wie Schulze und sein Team ermittelt haben. Durch den Ersatz fossiler Brennstoffe und den Holzzuwachs ergibt sich im Mittel also eine Reduktion der CO2-Emissionen beziehungsweise der CO2-Konzentration von rund 3,5 Tonnen pro Hektar Wald. Inzwischen hat eine Gruppe um Schulze auch quantifiziert, wie viel Treibhausgas der Atmosphäre erspart bleibt, wenn Produkte mit relativ geringem Energieaufwand aus Holz hergestellt werden und nicht aus Materialien, die einen höheren Energieaufwand erfordern, oder aus fossilen Rohstoffen – ein Haus aus Holz statt Beton oder Ziegeln ist dafür ein Beispiel. „Diesen Beitrag des Waldes zur Reduktion der CO2-Emissionen beziffern wir auf etwa 2,8 bis 4,9 Tonnen pro Hektar und Jahr“, sagt Schulze. Dieser Beitrag kommt zum Ersatz fossiler Brennstoffe und zum Holzzuwachs noch hinzu. Eine Veröffentlichung der Ergebnisse bereiten Schulze und seine Kollegen derzeit vor. Aber trägt der bewirtschaftete Wald damit tatsächlich mehr zum Klimaschutz bei als ein naturbelassener? Auch das hat Schulze berechnet. Dabei muss man bedenken, dass es echte Urwälder in Deutschland seit Menschengedenken nicht mehr gibt. Die Wälder werden schon seit Langem auf die eine oder andere Art genutzt und kultiviert.
Die heutigen Naturschutzgebiete, in denen der Forst sich selbst überlassen ist, sind alle relativ jung. Sie haben noch längst nicht das Stadium erreicht, in dem die Kohlendioxid-Bilanz ausgeglichen ist. Sie sind also in der Lage, noch viele Jahre oder Jahrzehnte weiteres Kohlendioxid zu speichern. Und diese Jahre sind für den Klimaschutz besonders wichtig, da in dieser Zeit der Umbau der Energiewirtschaft vorangetrieben wird. In Deutschland ist etwa ein Drittel der Fläche bewaldet, davon werden etwa drei Prozent nicht genutzt. Doch welches Naturschutzgebiet liefert aussagekräftige Zahlen für einen Vergleich? Es gibt sehr unterschiedliche Wälder: Laub-, Nadel- und Mischwälder, junge und alte Wälder. Sie stehen auf sandigem Boden, auf Kalk oder Lehm, in bergigem oder flachem Terrain, sind von großen und kleinen Lichtungen durchsetzt. Eigentlich müsste man den Zuwachs in jedem Forst eruieren und einen Mittelwert bilden. Doch dafür reicht die Datenlage nicht aus. In seinem Artikel in GCBB hat Schulze zur Vergleichsrechnung daher Waldinventuren im Nationalpark Hainich in Thüringen aus den Jahren 2000 und 2010 zitiert. Zur Jahrtausendwende ergab die Erhebung einen Holzbestand von 363,5 Kubikmetern pro Hektar, zehn Jahre später waren es 367,5 Kubikmeter. Mit diesen Zahlen als Grundlage kam Schulze für den unbewirtschafteten Naturwald auf einen Zuwachs von 0,4 Kubikmeter pro Hektar und Jahr. Das entspricht einem CO2-Äquivalent von 0,37 Tonnen – gegenüber 3,2 bis 3,5 Tonnen im Wirtschaftswald. Schulzes Fazit: Ein nachhaltig bewirtschafteter Wald ist etwa um den Faktor zehn vorteilhafter für den Klimaschutz als ein naturbelassener. Die Nutzung von Holz in langlebigen Produkten ist hier noch gar nicht berücksichtigt.
Streit um den Holzbestand
An dieser Rechnung entzündete sich heftige Kritik, die zu einem wochenlangen Schlagabtausch in Fachmagazinen, aber auch in den Medien führte. Der Stein des Anstoßes war, dass sich die Waldfläche im Hainich zwischen der ersten und der zweiten Inventur vergrößert hatte. So erhöhte sich die Zahl der Stichprobenpunkte von 1200 auf 1421. Wo vorher nur Büsche standen, wuchsen zehn Jahre später armdicke Bäumchen. Dieser junge Wald reduzierte den durchschnittlichen Holzbestand, denn die Zahlen bezogen sich stets nur auf die bewaldete Fläche. Ernst-Detlef Schulze begründet sein Vorgehen damit, dass es sich beim Hainich um eine Betriebseinheit handelt, die immer als Ganzes betrachtet werden müsse – auch wenn Teilflächen zu- und abnähmen und die Anzahl der Stichprobenpunkte sich ändere: „Weil in der Bundeswaldinventur ebenfalls so verfahren wird, können wir die Ergebnisse auch vergleichen“, sagt der Wissenschaftler.
Doch Torsten Welle von der Naturwald Akademie in Lübeck hält diese Art der Berechnung für falsch: „Das ist Rosinenpickerei!“ Auch der Leiter des Nationalparks Hainich, Manfred Großmann, kritisiert die Vorgehensweise. Er macht eine andere Rechnung auf: Wenn man aus der zweiten Inventur nur die 5015 Hektar mit 1200 Messpunkten betrachtet, die bereits in der ersten erfasst wurden, kommt man auf einen jährlichen Zuwachs von knapp neun Kubikmetern pro Hektar, wofür die Bäume etwa neun Tonnen CO2 aus der Atmosphäre saugen. Und bei einer Bezugsfläche von 5287 Hektar mit 1421 Messpunkten – wenn also im Jahr 2000 ein Teil der Fläche als unbewaldet in die Berechnung eingeht – sind es sechs Kubikmeter pro Hektar. Beide Werte lassen den Naturwald in puncto Klimaschutz besser wegkommen als den Wirtschaftswald – aber nur, solange Ersterer noch wächst und die CO2-Ersparnis durch Holzprodukte nicht berücksichtigt wird. Auch der Forstwissenschaftler und Ökologe Henrik Hartmann, ein Kollege von Schulze am Jenaer Max-Planck-Institut, findet, Schulze habe sich durch den Vergleich mit der korrigierten Bezugsfläche angreifbar gemacht. Außerdem hätte er zusätzlich weitere Naturschutzgebiete betrachten sollen, auch außerhalb Deutschlands. Entsprechende Zahlen von Naturparks in der Slowakei werden in der Arbeit sogar aufgeführt. Mit ihnen ergibt sich ein durchschnittlicher Zuwachs im Holzvorrat unbewirtschafteter Wälder von rund drei Kubikmetern pro Hektar und Jahr. Wenn man so rechnet, tragen nachhaltig bewirtschaftete Wälder zwar nicht zehnmal mehr zur CO2-Speicherung bei als unbewirtschaftete, sie sind aber für den Klimaschutz zumindest genauso günstig. „Auch das wäre ja ein gutes Argument“, sagt Henrik Hartmann. Schulze und seine Mitautoren ziehen zum direkten Vergleich mit den Wirtschaftswäldern allerdings nur den Thüringer Nationalpark Hainich heran. Ernst-Detlef Schulze begründet dies damit, dass sie eine Bilanz für Deutschland ziehen wollten und hierfür keine weiteren Daten zur Verfügung stünden.
Wald dient nicht nur dem Klimaschutz
Außerdem stammten die Daten aus den slowakischen Schutzgebieten von relativ kleinen Versuchsflächen. Sie berücksichtigten daher nicht sämtliche Veränderungen, also auch Verluste durch Sturm- oder Käferschäden, in einem zusammenhängenden Waldgebiet. „Das geht nur über Inventuren auf Landschaftsebene“, erklärt Schulze. Das Thünen-Institut für Waldökosysteme, das dem Landwirtschaftsministerium untersteht und die jährliche Waldzustandserhebung herausgibt, stellt sich hinter Schulze und sein Team – wenn auch mit Einschränkungen. Der Hainich, heißt es dort, sei nicht repräsentativ für den deutschen Wald, da es sich um einen Kalkstandort handle. Allein aufgrund dieser Zahlen könne man nicht beurteilen, ob Waldschutz für den Klimaschutz besser sei als die energetische Nutzung von Holz.
Die Diskussion zeigt: Waldinventuren haben ihre Grenzen. So geht in den Holzbestand nur das Stammholz ein, und zwar bloß von Bäumen, die in Brusthöhe dicker als sieben Zentimeter im Durchmesser sind. Doch Kohlenstoff steckt auch im Boden: in den Wurzeln, in der Bodenstreu, im Mineralboden und in der unterirdischen Biomasse. Kritiker der Klimabilanz, die Schulze und seine Kollegen ziehen, führen zudem an, die Nebenwirkungen des Holzeinschlags blieben unberücksichtigt: Um an die Stämme zu gelangen, arbeiten sich schwere Maschinen durchs Unterholz, was die Bodenstruktur verändern kann. Pierre Ibisch, Professor an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung Eberswalde, weist zudem darauf hin, dass größere Kahlschläge zu einer erheblichen Temperaturerhöhung führen, weil die Sonnenstrahlen nun bis zum Boden dringen können. Sogar das Auflichten, das nutzbaren Bäumen durch gezielte Eingriffe mehr Platz schafft, führe zu einer Erwärmung. Förster sprechen deshalb vom Heißschlagen. Die Folgen: Der Boden heizt sich auf, Kohlenstoff entweicht, und die Bäume am Rand der neuen Lichtung geraten in Stress.
Einen Naturwald mit einem bewirtschafteten Wald zu vergleichen, ist immer eine wissenschaftliche Gratwanderung. Denn man muss viele Annahmen treffen, weil längst nicht alle Details erforscht sind. Dazu kommt, dass der Wald nicht nur dem Klimaschutz dient, sondern vielfältige Aufgaben erfüllt. So suchen die Menschen dort Erholung, wandern, fahren Rad oder joggen. Zudem speichert der Wald Wasser und verhindert dadurch Überschwemmungen. Im Hochsommer senkt er die Temperaturen durch Verdunstung. Und nicht zuletzt bieten Wälder vielen Pflanzen- und Tierarten einen Lebensraum, darunter auch Rehen und Hirschen, die gerade jungen Bäumen gern die Triebe abfressen.
Zu viel Rotwild und zu viele Rehe
Schulze kennt das alles aus eigener Erfahrung, denn er besitzt mehrere Waldstücke. „Ich habe den Wald erworben, weil ich ihn in meinem Ruhestand gerne gestalten wollte“, sagt der emeritierte Max-Planck-Direktor, der am Anfang seiner Laufbahn mal auf bestem Weg in den höheren Forstdienst war. Als Waldeigentümer hat er nicht nur die ökologischen, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Aspekte der Waldbewirtschaftung kennengelernt. Einer seiner Wälder schmiegt sich um einen längst erloschenen Vulkankegel – steiles Gelände also. Den Höhenunterschied von 400 Metern meistert der 79-Jährige mit dem Elan eines jungen Mannes. Wenn man mit ihm im Geländewagen die halsbrecherischen Wege entlangfährt, hat man den Eindruck, er spreche über einen Garten, den er mit Liebe pflegt. Hier bedauert er einige hundertjährige Buchen, denen ein später Frost geschadet hat, sodass sie im nächsten Jahr wahrscheinlich absterben werden. Dort hat er ein paar Vogelbeerbäume gepflanzt, die jedoch nicht gedeihen wollen. Abgesehen von einzelnen Fichtenmonokulturen, wirkt der Wald mit seinen vielen Büschen und dem Unterholz wild und artenreich. Kein Wunder, dass er bei Wanderern beliebt ist, zumal der alte Vulkan die höchste Erhebung in der Umgebung ist und die Felsen an seinem Gipfel ein attraktives Ziel sind. Doch gerade die Erholungsuchenden bereiten Schulze Sorge. Er habe mit erheblichem Aufwand Wege angelegt, sagt er, um Holz ernten zu können. Nun hinterließen Wanderer ihren Müll, und Mountainbiker rasten im Sturzflug zu Tal und verschreckten die Tiere. Er trage die Kosten, während andere von seinem Engagement profitierten.
Auf seinem Handy zeigt er das Foto eines kapitalen Hirschs auf einer Lichtung. Was jeden Städter entzücken würde, ist für Schulze ein weiteres Problem: Es gibt zu viel Rotwild und zu viele Rehe. Große Räuber wie Bär oder Wolf, die helfen könnten, den Bestand zu dezimieren, wurden schon vor Jahrhunderten ausgerottet. Auch wenn der Wolf allmählich zurückkehrt und Luchse wieder in einigen Wäldern zu finden sind – auch in Schulzes –, gibt es zu wenige natürliche Feinde des Wildes. Wenn es Waldbesitzern vor allem um die Jagd geht, füttern sie zudem im Winter die Tiere, die im restlichen Jahr die jungen Bäumen anknabbern. Das verhindert Schulze mit vielen Zäunen. Selbst intensive Bejagung begrenzt den Wildbestand nicht, weil in seinen relativ kleinen Wald immer wieder Tiere von außen einwandern. Aber es geht um mehr als Verbissschäden und rücksichtslose Mountainbiker. Letztlich geht es darum, wie man in Deutschland und Europa mit den Wäldern künftig umgehen soll. Im Forst zeichnet sich derzeit so etwas wie eine Zäsur ab. Auf der einen Seite sollen die Bäume dem Klimaschutz dienen, auf der anderen Seite setzt ihnen der Klimawandel immer mehr zu. Nach der deutschen Waldzustandserhebung 2019 war der Kronenzustand „noch nie so schlecht wie 2019“. Nicht einmal ein Viertel der Bäume wies eine gesunde Krone auf. Die trockenen Sommer hinterlassen zunehmend ihre Spuren – und haben obendrein Langzeitfolgen. Der Biologe Ibisch spricht vom „physiologischen Gedächtnis“ der Bäume. Und beim Klimawandel zeichnet sich keine Entwarnung ab, im Gegenteil, die Temperaturen steigen weiter. Ibisch warnt davor, dass langfristig sogar vielerorts eine Waldsteppe mit hohem Grasanteil entstehen könnte. Schon heute vernichten Stürme, Borkenkäfer und Pilze ganze Wälder. Das viele Schadholz wiederum lässt die Holzpreise purzeln. Den Waldbesitzern bereitet das große Sorgen – Pierre Ibisch spricht sogar von Panik. Viele von ihnen verramschen das Fichten-Schadholz nach China, um wenigstens etwas Geld zu verdienen, und fällen die Buchen, solange diese noch halbwegs gesund sind. Nach Angaben des Thünen-Instituts hat der Einschlag 2018 durch die Entnahme von Schadholz um zehn Prozent gegenüber dem Vorjahr zugenommen. Im vergangenen Jahr hat er sich allerdings wieder halbwegs stabilisiert, wenn auch auf hohem Niveau.
Berechnungen mit forstpolitischer Bedeutung
Beim Wald spielt obendrein die menschliche Psyche eine Rolle und erschwert eine sachliche Diskussion. Unter den Kronen von Eichen und Buchen fühlt sich fast jeder Mensch instinktiv wohl und kommt zur Ruhe. Vor allem die Deutschen haben ein geradezu romantisches Verhältnis zum Wald. Er wird verklärt als Gegenentwurf zur hektischen Stadt und zur stinkenden Fabrik. Das führt dazu, dass Waldfans zur Stärkung ihrer Seele Bäume umarmen und sich nach ihrem Tod unter Eichen oder Buchen begraben lassen. Manchmal geht die Waldliebe allerdings zu weit: Henrik Hartmann hat erfahren, dass Umweltaktivisten in Weimar Forstmaschinen von Waldarbeitern zerstört haben, um Einschläge zu verhindern.
Vor diesem Hintergrund hat eine Berechnung, wie sie Schulze vorlegt, auch eine erhebliche politische Bedeutung. Er selbst leitet aus seiner Kalkulation Forderungen ab. Seiner Ansicht nach sollten Waldeigentümer für eine nachhaltige Bewirtschaftung belohnt werden. Sie könnten etwa von einer CO2-Steuer profitieren, die auf die Verbrennung fossiler Brennstoffe erhoben würde. Unterstellt man dagegen, dass ein Naturwald dem Klimaschutz besser dient als ein Nutzwald, müsste die Politik anders vorgehen. Dann wäre sie gehalten, große Teile der deutschen Wälder sich selbst zu überlassen und von den Besitzern der Wirtschaftswälder für jeden Einschlag eine CO2-Abgabe zu verlangen. Doch das wäre kurzsichtig gedacht, denn Holz ist als Werkstoff nicht zu ersetzen, zumal Holz in Zukunft vermehrt Baustoffe ersetzen soll, die mit viel Energie hergestellt werden. „Wie sollen wir auf Bewirtschaftung verzichten, wenn wir Holzprodukte brauchen?“, gibt Max-Planck-Forscher Hartmann zu bedenken. Denn wenn die Stämme nicht aus Deutschland kommen, dann müsste man sie aus Sibirien oder aus den Tropen importieren, was dem Klima mit Sicherheit mehr schaden würde, weil die Forstwirtschaft dort meistens nicht nachhaltig arbeitet. Im schlimmsten Fall werden dort Wälder abgeholzt, die große Mengen Kohlenstoff speichern und nicht entsprechend schnell nachwachsen können.
Natürlich spielen auch finanzielle Interessen eine nicht unwichtige Rolle, denn etwa die Hälfte des deutschen Waldes ist in Privatbesitz. Die Liste der Grundbesitzer, die mit dem Wald Geld verdienen wollen, liest sich wie ein Verzeichnis der alten Adelsgeschlechter: von Thurn und Taxis über Hohenzollern bis zu Knigge und Guttenberg. Bislang verzeichnen sie nur Einnahmen, wenn sie Holz verkaufen. Das ist derzeit schwer genug. Doch wenn sie zudem noch eine CO2-Abgabe für jeden Einschlag bezahlen müssten, wäre das nicht vertretbar, meint auch Henrik Hartmann. Schließlich dienten die Wälder in vielfacher Weise der Allgemeinheit, ob als Hochwasserschutz oder als Erholungsraum. Mit Förderprogrammen allerdings, darauf weist Pierre Ibisch hin, dürfe man keinesfalls falsche Anreize schaffen, die zu einem vermehrten Einschlag führen: Holz dürfe kein Ersatz für Kohle werden. Wie auch immer der Wald die zunehmende Klimaerwärmung bremst – ein Allheilmittel ist er nicht. Denn die Kapazität, Kohlenstoff aufzunehmen, ist selbst beim größten Wald irgendwann erschöpft. Auf Dauer hilft gegen die Erderwärmung nur eines: die Treibhausgasemissionen drastisch herunterzufahren.
Auf den Punkt gebracht
Ein Team um Ernst-Detlef Schulze hat eine Studie veröffentlicht, der zufolge die Klimabilanz für nachhaltig bewirtschaftete Wälder deutlich besser ausfällt als für nicht bewirtschaftete Wälder.
Andere Forschende kritisieren, wie in dieser Studie die Klimabilanz eines Naturwaldes berechnet wird, und kommen zum Schluss, dass dessen Nutzen für den Klimaschutz größer ist.
Es ist schwierig, alle Faktoren, die bei einem solchen Vergleich berücksichtigt werden müssten, zu quantifizieren. Ein endgültiges Urteil, welche Form des Waldes für den Klimaschutz vorteilhafter ist, steht daher noch aus. In die Diskussion spielen zudem unteschiedliche Interessen hinein.
Neben dem Klimaeffekt erfüllen Wälder viele Funktionen, etwa als Rohstoffquellen, Erholungsräume oder Wasserspeicher. Bewirtschaftete und unbewirtschaftete Wälder sind dafür unterschiedlich gut geeignet. Diese Funktionen haben im Augenblick aber keinen wirtschaftlichen Wert.