Die Fleischfrage im aktuellen Klima
Ernährung zwischen Politisierung und Tabuisierung - ein Essay von Saskia Stucki
Für die Bekämpfung des Klimawandels müssen wir nicht nur die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas stoppen. Auch in anderen Bereichen braucht es einen Wandel, etwa in der Ernährung. So schadet unser Konsum von Eiern, Milchprodukten und Fleisch dem Klima deutlich. Trotzdem scheuen sich die meisten Politikerinnen und Politiker, hier einzugreifen. Unsere Autorin erklärt, warum Essensfragen ein Tabuthema sind und wie die Politik wirkungsvoll handeln könnte.
Text: Saskia Stucki
Die Fleischfrage – die Frage, ob, wie viel und welches Fleisch wir essen (wollen, sollen, dürfen) – gilt uns traditionell als Privatsache. Unsere Ernährung mag Ausdruck jeweiliger kulinarischer, kultureller, religiöser oder auch moralischer Prädispositionen sein, ist aber jedenfalls eine persönliche Entscheidung der Konsumentin. Die Idee einer politischen Intervention in diesen Bereich der Privatsphäre löst entsprechendes Unbehagen aus und handelt sich schnell den Vorwurf der staatlichen Überregulierung oder Übergriffigkeit ein. Ein anschauliches Beispiel liefert die Veggie-Day-Kontroverse aus dem Jahr 2013, als der Vorschlag der Grünen, in öffentlichen Kantinen einen vegetarischen Tag einzuführen, Ängste vor einem „Fleischverbot“ schürte und einen regelrechten Shitstorm auslöste.
Die Intuition der Konsumfreiheit und darauf gründende Beißreflexe greifen allerdings zu kurz. Dies verdeutlicht bereits ein flüchtiger Blick auf die externalisierten Kosten unseres unbändigen Fleischkonsums, dessen schädlichen Folgen für öffentliche Gesundheit, Tiere und Umwelt reichlich dokumentiert sind. So begünstigt die Nutztierhaltung globale Gesundheitsrisiken wie die Entstehung von zoonotischen Krankheiten und Antibiotikaresistenzen. Unser Fleischkonsum geht auch auf Kosten der 750 Millionen Tiere, die in Deutschland jährlich geschlachtet werden und von denen ein Großteil ihr Leben in den trostlosen Bedingungen der industriellen Massentierhaltung fristet. Die Nutztierhaltung ist ferner einer der Haupttreiber der sich aktuell zuspitzenden ökologischen Krisen: Klimawandel, Biodiversitätsverlust, Regenwaldabholzung. Vor dem Hintergrund dieser gesundheitlichen, ökologischen und tierethischen Nebenwirkungen kann von einer rein persönlichen Entscheidung nicht (mehr) die Rede sein – die einst privat gedachte Fleischfrage ist politisch geworden.
Ernährungswende als conditio sine qua non für die Klimawende
Die Klimakrise hat in besonderem Maße zur Politisierung von Fleisch beigetragen. Das oberste Ziel der Klimapolitik ist die Erreichung von Klimaneutralität bis 2045 in Deutschland und 2050 in der EU. Hierzu sind rapide und drastische Reduktionen der Treibhausgasemissionen in allen Sektoren erforderlich, so auch in der Landwirtschaft. Global betrachtet verursacht das Ernährungssystem je nach Schätzung 21 bis 37 Prozent der anthropogenen Treibhausgasemissionen, wobei bis zu 80 Prozent davon auf die Tierproduktion entfallen. Zur Senkung der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen scheint es folglich naheliegend, an deren Hauptquelle anzusetzen: der Fleischproduktion.
Die wissenschaftliche Fachliteratur ist sich weitgehend einig, dass die dringend gebotene sustainable food transformation eine massive Reduktion des Tierkonsums erfordert, zumal die Emissionsintensität von Tierprodukten jene von pflanzlichen Nahrungsmitteln durchgehend (und insbesondere bei Rindfleisch und Milch aufgrund des Methanausstoßes von Wiederkäuern um ein Vielfaches) übersteigt und die Tierlandwirtschaft auch hinsichtlich ihres hohen Flächen- und Ressourcenverbrauchs zunehmend als ineffizient bewertet wird. Eine gesellschaftliche Ernährungsumstellung würde dabei ein zweifaches Potenzial für den Klimaschutz in sich bergen. Zum einen liegt in einer primär pflanzenbasierten Ernährung mit Abstand das größte Potenzial, die direkten landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen zu reduzieren. Zum anderen kann sie auch indirekt wirken, indem die nicht mehr für Futtermittelanbau und Weideland genutzte Landfläche renaturiert und als natürliche Kohlenstoffsenke dienen kann.
Das politische Fleisch-Paradoxon
Die Klimawende wird ohne Ernährungswende nicht gelingen – insofern kommt die Klimapolitik um die Fleischfrage nicht herum. Derzeit befindet sich die Fleischfrage allerdings noch in einem ambivalenten Schwebezustand zwischen Politisierung und politischer Marginalisierung. Das sogenannte „Fleisch-Paradoxon“ beschreibt in der Sozialpsychologie eine kognitive Dissonanz zwischen dem Wissen um die Schäden des Fleischkonsums und entgegengesetztem Handeln. Dieser Widerspruch offenbart sich auch in unserem paradoxen kollektiven Umgang mit der Fleischfrage. Obschon uns die massiven Probleme für Menschen, Tiere und Umwelt sowie die Notwendigkeit einer konsequenten Fleischreduktion durchaus bewusst sind, finden sich bisher kaum entsprechende staatliche Maßnahmen, die auf einen Abbau der Tierproduktion ausgelegt sind – im Gegenteil: wir erhalten und fördern sie.
So zielt einerseits etwa die EU Farm to Fork Strategy – ein Herzstück des European Green Deal – auf eine umfassende Transformation des Ernährungssystems ab und unterstreicht hierbei die Bedeutung einer mehrheitlich pflanzlichen Ernährung für Gesundheit und Nachhaltigkeit. Auch die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft entwickelten Klimaschutzmaßnahmen in der Landwirtschaft nennen als einen von zehn Schwerpunkten die Förderung nachhaltiger Ernährungsweisen. Andererseits koexistieren und konkurrieren solcherlei Zielsetzungen mit weitaus wirkmächtigeren Strukturen, die in eine gegenläufige Richtung zeigen. So bleibt die Tierindustrie im Vergleich zu anderen Sektoren hinsichtlich ihrer ökologischen Kosten unterreguliert. Zugleich ist sie neben der Ölindustrie die größte Leistungsempfängerin von umweltschädlichen Subventionen. In Deutschland reichen die Schätzungen von fünf Milliarden Euro (allein durch Mehrwertsteuerbegünstigung für Tierprodukte) bis dreizehn Milliarden Euro pro Jahr. Solche klimaschädlichen Subventionen konterkarieren die Klimaziele, wie auch der Bundesrechnungshof 2022 in seinem Bericht zur Steuerung des Klimaschutzes in Deutschland feststellte.
Handlungsspielräume für eine transformative Fleischpolitik
Grundsätzlich besteht Einigkeit darüber, dass die zur Erreichung der Klimaziele erforderliche Ernährungswende politisch und rechtlich eingerahmt und gefördert werden muss. Das bisherige Versäumnis des Staates gilt es nun durch die Entwicklung und Umsetzung einer kohärenten Fleisch(reduktions)politik nachzuholen. Gemeint ist damit mitnichten ein plumpes – das gefürchtete – Fleischverbot. Vielmehr steht dem Staat ein weitaus raffinierteres Instrumentarium zur Verfügung, um eine transformative (auf die Ernährungswende ausgerichtete) Fleischpolitik auf minder krude Weise zu implementieren. Dieses umspannt einen Mix aus sanften und harten – von freiwilligen, marktpolitischen bis zu regulatorischen und prohibitiven – Maßnahmen.
So kann der Staat individuelle Konsumentscheide in vielfältiger Hinsicht hin zu mehr Nachhaltigkeit lenken, etwa durch Informationskampagnen, Ernährungsempfehlungen, Nachhaltigkeitslabels oder durch green nudges. Stärker dürften allerdings fiskalische Maßnahmen wirken, so namentlich eine Neuausrichtung der Agrarsubventionen weg von der Tier- hin zur Pflanzenproduktion. Zur Herstellung von Kostenwahrheit durch Internalisierung der ökologischen Kosten in die Marktpreise bietet sich ferner die Einführung einer Umweltabgabe auf Tierprodukte (Fleischsteuer) an. Auch das öffentliche Beschaffungswesen – etwa in Behördenkantinen, Mensen, Klinikküchen – kann verstärkt auf nachhaltige Ernährung ausgelegt werden. So hat die Stadt Freiburg kürzlich beschlossen, in Kitas und Grundschulen nur noch ein vegetarisches Einheitsmenü anzubieten. Denkbar ist ferner ein Werbeverbot für Fleisch, wie kürzlich in der niederländischen Stadt Haarlem verkündet. Als großer Hoffnungsträger gelten schließlich alternative Proteine – pflanzliche Alternativen zu herkömmlichen Tierprodukten oder in-vitro-Fleisch –, deren (Weiter)Entwicklung durch staatliche Investitionen und den Abbau regulatorischer Hindernisse gezielt gefördert werden kann. Mit den richtigen politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen könnte Europa gemäß Marktprognosen schon ab 2025 „Peak Meat“ erreichen: der Punkt, ab dem der Konsum von Tierprodukten rückläufig wird – natürlich unter Wahrung der individuellen Konsumhoheit.