Forschungsbericht 2022 - Max-Planck-Institut für Mathematik in den Naturwissenschaften

Polynome, Polyeder und Algorithmen

Autoren
Marta Panizzut
Abteilungen
Tropical Geometry and Computer Algebra
Zusammenfassung
Die algebraische Geometrie beschreibt Formen mithilfe von Polynomen. Die diskrete Geometrie nutzt stattdessen Matrizen und lineare Gleichungen zur Beschreibung von Polyedern. Dieser unterschiedliche Ansatz spiegelt sich in der Art der Algorithmen wider, die zur computergestützten Untersuchung der geometrischen Objekte verwendet werden. Die tropische Geometrie ist eine neuere mathematische Theorie, die zu innovativen Berechnungsmethoden und spannenden Verbindungen zwischen algebraischer und diskreter Geometrie führt. Unsere Forschungsgruppe arbeitet daran, dies weiter voranzutreiben.

Die Geometrie beschäftigt sich mit Figuren beispielsweise Kurven und Flächen und deren Eigenschaften. Solche Objekte lassen sich, je nach ihren Eigenschaften und dem spezifischen Zweig der Geometrie, der sie untersucht, unterschiedlich definieren.

In der algebraischen Geometrie werden sogenannte algebraische Varietäten studiert. Diese sind durch Polynome – also algebraische Ausdrücke bestehend aus endlichen Summen des Produkts von Variablen wie z. B. x12 + x22 + x32 - 1, definiert. Wir können uns Polynome als Bedingungen vorstellen, die Koordinaten von Punkten auferlegt werden: Die durch das Polynom definierte Funktion wird zu Null, wenn man die Variablen durch die Koordinaten eines solchen Punktes ersetzt. Im obigen Beispiel muss also für Punkte (p1, p2, p3) im dreidimensionalen Raum gelten, dass der Ausdruck p12 + p22 + p32 - 1 Null ergibt. Die Punkte, die dies erfüllen, bilden eine Kugel mit Radius eins, deren Mittelpunkt der Ursprung ist. Algebraische Varietäten sind Punktmengen, die die Bedingungen einer gegebenen endlichen Sammlung von Polynomen erfüllen. Geometrische Eigenschaften von Varietäten zu verstehen, kann außerordentlich komplex sein.
In der diskreten Geometrie hingegen werden Polyeder untersucht, die Ecken, Kanten und flache Seiten haben. Sie werden durch die Angabe der Koordinaten der Ecken definiert. Um zum Beispiel ein Viereck in der Ebene zu zeichnen, genügt es, die vier Ecken zu kennen. Zu diesen Objekten gehören auch die regulären Polyeder wie der Würfel und das Dodekaeder. Diese hochsymmetrischen Figuren wurden bereits von Pythagoras und Euklid untersucht.

Tropische Geometrie

Die tropische Geometrie ist eine moderne Theorie, welche die algebraische und diskrete Geometrie miteinander verbindet [4]. Die untersuchten Objekte in der tropischen Geometrie sind tropische Varietäten. Dies sind endliche Vereinigungen von Polyedern, die so zusammengesetzt sind, dass sich zwei Polyeder nur an einer gemeinsamen Seite berühren. Ähnlich wie ihre algebraischen Gegenstücke sind sie durch Bedingungen definiert, die durch tropische Polynome bestimmt werden. Um eine gegebene algebraische Varietät einer tropischen zuzuordnen, wird ein formaler mathematischer Degenerierungsprozess genutzt, die Tropikalisierung. Intuitiv kann man sich das so vorstellen, dass die algebraische Varietät auf ihr Skelett schrumpft. Dabei werden wesentliche Informationen der ursprünglichen Varietät erhalten und für Methoden der diskreten Geometrie und der Kombinatorik zugänglich.

Tropische Methoden haben zahlreiche Anwendungen, unter anderem in der Theorie der Modulräume und Enumeration von Kurven, welche alle möglichen Kurven eines bestimmten Typs beschreiben und zählen. Gleichzeitig eröffneten sie der diskreten Geometrie und der Kombinatorik neue Perspektiven; das etablierte die tropische Geometrie als eigenständige Disziplin, die nun den Kern unserer Forschung bildet. Ein Schwerpunkt unserer Projekte liegt auf der computerbasierten Erforschung dieser Objekte.

Algorithmen in der Geometrie

Heutzutage nimmt Software auch in mathematischen Bereichen, die gemeinhin als nicht angewandt gelten, wie etwa die Geometrie, eine wachsende Rolle ein. Polyeder sind lineare geometrische Objekte und können für die Software durch Angabe der Eckpunktkoordinaten kodiert werden. Diese lassen sich in einer Matrix speichern, einem der wichtigsten Objekte der linearen Algebra. Die lineare Algebra, die sich mit Polynomgleichungen ersten Grades befasst, gehört zum Rückgrat der theoretischen und der angewandten Mathematik. Daher bauen auch viele Algorithmen in der diskreten Mathematik auf ihr auf.

Wenn wir uns der algebraischen Geometrie zuwenden, werden die Probleme nicht-linear, da algebraische Varietäten  durch Polynome beliebigen Grades beschrieben werden. Die Computeralgebra verwendet symbolische Werkzeuge, um geometrische Informationen wie Dimension, Anzahl der Komponenten oder ähnliches über die Form algebraischer Varietäten abzuleiten. So wird beispielsweise die Krümmung einer ebenen Kurve durch den Grad des beschreibenden Polynoms bestimmt. Leider können symbolisch arbeitende Algorithmen eine exponentielle Komplexität aufweisen, und das unterscheidet sie deutlich von denen der linearen Algebra. Beide Methoden verbindet jedoch, dass das Ziel die Berechnung exakter Lösungen und nicht numerischer Näherungen ist.

Eine der Stärken der tropischen Geometrie ist, dass sie algebraische Varietäten für Algorithmen der diskreten Geometrie zugänglich macht, indem sie diese zu Polyedern degeneriert. In [2] verwenden wir Degenerierung, um eine Vermutung über den Grad der definierenden Polynome algebraischer Varietäten zu beweisen. Dies zeigt die Bedeutung, die der Entwicklung von Algorithmen und Berechnungen in diesem Forschungsgebiet zukommt. Ein Beispiel hierfür findet sich in [3] wo wir mittels computergestützter Analyse die kombinatorischen und geometrischen Eigenschaften von tropischen Flächen dritten Grades charakterisieren. Gleichzeitig werfen computerorientierte Ansätze neue Fragen bei der Analyse algebraischer und geometrischer Objekte auf. Dazu gehört beispielsweise das Verständnis, wie komplex die Darstellung geometrischer Figuren und ihrer Koordinaten im Raum sein kann [1].

Geometrie in den Naturwissenschaften

Algebraische Aspekte der tropischen Geometrie tauchten zuerst in angewandten Bereichen der Mathematik auf [1]. Die Etablierung dieses faszinierenden Forschungsgebietes förderte die Wechselwirkungen der Geometrie mit verschiedenen Bereichen der Mathematik. Die tropische Geometrie wurde in jüngster Zeit in der Optimierung, dem maschinellen Lernen, der Spieltheorie, der Statistik, der Physik und der Biologie eingesetzt und brachte neue geometrische Erkenntnisse in diese Bereiche.

 

[1] Der Name tropische Geometrie hat hier seinen Ursprung. Er wurde zu Ehren des brasilianischen Mathematikers Imre Simon und seiner bahnbrechenden Arbeit mit tropischer Algebra in der kombinatorischen Optimierung geprägt.

Literaturhinweise

M. Belotti, M. Joswig, M. Panizzut
Algebraic degrees of 3-dimensional polytopes
Vietnam J. Math. 50, 581–597 (2022)
M. Belotti, M. Panizzut
Discrete geometry of Cox rings of blow-ups of P3
Preprint arxiv.org/ abs/2208.05258
M. Joswig, M. Panizzut, B. Sturmfels
The Schläfli fan
Discrete Comput Geom 64, 355–381 (2020)
D. Maclagan, B. Sturmfels
Introduction to tropical geometry
Graduate Studies in Mathematics, Bd. 161, American Mathematical Society, Providence, RI, 2015.

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