Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Geoanthropologie
Die Wurzeln des Anthropozäns: eine Suche in den Tropenwäldern
Das Wirken des Menschen hat eine neue Epoche hervorgebracht: das Anthropozän. Der genaue Beginn des „Menschenzeitalters“ ist nicht abschließend geklärt. Die Belastungen des natürlichen Erdsystems durch menschliche Einwirkungen nehmen jedenfalls so stark zu, dass bestimmte Kipppunkte – wie der Verlust des Amazonas-Regenwaldes – einsetzen und irreversible Veränderungen hervorzurufen drohen.[1]
Man kann das Anthropozän auch durch die Entstehung eines neuen funktionellen Teils im großen Stoffwechselsystem der Erde beschreiben: der Technosphäre. Sie umfasst sämtliche menschengemachten Artefakte, Bauten, Landnutzungs- und Energiesysteme, die gemeinsam eine geschätzte Masse von bereits 30 Billionen Tonnen ausmachen.[2] Die historische Evolution der Technosphäre ist komplex und hat sich über lange Zeiträume vollzogen. Auch wenn mit der Industrialisierung und dem sich beschleunigenden technischen Fortschritt seit der Mitte des 20. Jahrhunderts die Rate menschengemachter Einflüsse auf den Planeten drastisch zugenommen hat, liegen die sozialen, ökonomischen, technologischen und umweltverändernden Wurzeln des Anthropozäns viel weiter in der Vergangenheit. Vom Beginn des Ackerbaus über die Ankunft der Europäer auf dem amerikanischen Doppelkontinent bis hin zum damit einsetzenden globalen Warenaustausch – bereits frühe Gesellschaften schufen die Voraussetzungen für den fundamentalen Umbruch, den das Erdsystem heute erfährt [3].
Der Blick auf die Tropen
Als Beispiel können die Tropenwälder dienen. Angesichts der ökologischen Bedeutung der Tropen und der prognostizierten Zunahme der Bevölkerung sowie des Städtewachstums wird es immer wichtiger zu verstehen, wie Technologien, sozioökonomische Systeme, Landnutzung und das Erdsystem in diesen Regionen im Laufe der Zeit interagiert haben. Neuere archäologische, historische und paläoökologische Forschungsergebnisse verdeutlichen, auf welche Weisen frühere menschliche Landnutzung – von Brandrodung bis zur Urbanisierung – sich auf Pflanzen, Tiere, Böden und sogar das Klima ausgewirkt hat.
In einer in Nature Ecology & Evolution erschienenen Studie haben die Abteilungen des Max-Planck-Instituts für Geoanthropologie interdisziplinär die Auswirkungen bereits frühen menschlichen Handelns auf die natürliche Funktion der Tropenwälder erforscht und den Tropengürtel im Kontext der globalen Herausforderungen des Anthropozäns beleuchtet.
Schwellenwerte der tropischen Landnutzung
Es wurden drei wesentliche Schwellen bei der menschlichen Landnutzung tropischer Regenwälder in den vergangenen 10.000 Jahren identifiziert. Zwei gehen auf die Entstehung der Landwirtschaft sowie neue Besiedlungsformen zurück. Viele für uns heute global selbstverständliche Nahrungsmittel (z. B. Mais, Hühner oder Schokolade) stammen ursprünglich aus den Tropen. Gleichzeitig ging die Verbreitung von Reis und Wasserbüffeln in den Tropenwäldern mit einem Anstieg von Rodungen, Bodenerosion und Emissionen einher.[4] Es ist anzunehmen, dass die beginnende Urbanisierung in den Tropen vor rund 1000 bis 2000 Jahren und die damit verbundenen Austauschnetzwerke und Ressourcenanforderungen neuen Druck auf die Tropen als Lebensraum ausgeübt sowie invasive Spezies, Informationen und Technologien eingeführt hat.
Der dritte Schwellenwert beschreibt den Beginn des europäischen und später des US-Kolonialismus. Waren Europa und Amerika zuvor voneinander isoliert, wurden sie mit dem Eintreffen der iberischen Kolonialmächte verbunden und in ein weltumspannendes ökonomisches Ausbeutungssystem eingegliedert. In der Folge wurde großflächig mit wilden und domestizierten Tier- und Pflanzenarten gehandelt und Landschaften auf der ganzen Welt somit dauerhaft verändert. Die Ausbreitung von Krankheiten und der Sklavenhandel der Kolonialmächte hatten drastische Auswirkungen auf die indigene Bevölkerung und deren Landnutzung. Möglicherweise wurden auch Rückkopplungsmechanismen des Erdsystems mit bleibenden Folgen verändert. Die Marginalisierung indigener Landnutzungspraktiken und die Verbreitung des Kolonialsystems, das auf kommerzieller Landrodung, Zwangs- und Sklavenarbeit basierte, setzte sich bis ins 20. Jahrhundert fort [5] und wirkt sich bis heute auf globale Ungleichheiten und Nachhaltigkeit in den Tropen aus.
Von der Vergangenheit in die Zukunft
Das Max-Planck-Institut für Geoanthropologie nutzt Einblicke in die Vergangenheit, um Herausforderungen der Gegenwart und der Zukunft besser zu verstehen. Mithilfe eines transdisziplinären Ansatzes und innovativer Methoden können wir die Entstehung sozioökonomischer Ungleichheiten bis in die ferne Vergangenheit verfolgen und ihren Zusammenhang mit der sich formierenden Technosphäre untersuchen. Durch die Erforschung der Auswirkungen des Menschen auf die Tropen können wir insbesondere die langfristigen Folgen des westeuropäischen und nordamerikanischen Konsums besser verstehen sowie indigene und andere besonders betroffene Bevölkerungsgruppen im Kampf gegen den Klimawandel unterstützen. Neue Einsichten in die regionalen und globalen Zusammenhänge von Technologien und sozioökonomischen Trends mit Bodenqualität, Klima und biologischer Vielfalt bieten nicht nur die Möglichkeit, das aktuelle und künftige Erdsystem besser zu verstehen, sondern auch die Grundlage für gerechtere Handlungsoptionen von Gesellschaft und Politik.
Literaturhinweise
DOI: 10.1177/2053019616677743
DOI: 10.1038/nature14258
DOI: 10.2307/41427556