Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für molekulare Physiologie
Wie bleiben unsere Zellen fit? Eine Strukturanalyse enthüllt die Geheimnisse der Zellteilung
How do our cells stay fit: A structural analysis of the corona reveals the secrets of cell division
Der menschliche Körper: 37 Milliarden Zellen, die durch unzählige Zellteilungen aus einer einzigen befruchteten Eizelle hervorgegangen sind. Bei der Zellteilung, auch Mitose genannt, werden die Chromosomen, Träger des genetischen Erbguts, von einer Mutterzelle auf zwei Tochterzellen verteilt. Somit enthält jede Zelle unseres Körpers identische genetische Informationen. Der fehlerfreie Ablauf dieses Prozesses ist unerlässlich, um kontinuierlich tote, kranke oder alte Zellen durch neue zu ersetzen. Aber wie schaffen es unsere Zellen, sich wieder und wieder fehlerlos zu teilen?
Ein Prozess mit strenger Choreografie
Zu Beginn jeder Mitose werden die zuvor duplizierten DNA-Stränge in Chromosomen verpackt, die jeweils aus Schwesterchromatiden bestehen. Zeitgleich organisierst sich ein Netzwerk aus langen Proteinen, Mikrotubuli genannt, in eine spindelähnliche Struktur. Dann werden die Chromosomen mit Hilfe der Mikrotubuli in der Mitte der Spindel aufgereiht. Erst wenn alle Chromosomen exakt angeordnet sind, werden die einzelnen Schwesterchromatiden zu den jeweiligen Spindelpolen gezogen. Auf diese Weise wird das Erbgut auf die Tochterzellen aufgeteilt. Jeglicher Fehler in diesem Prozess könnte schwerwiegende physiologische Folgen haben. Aus diesem Grund besitzen Zellen eine Reihe von Reparatur- und Kontrollmechanismen, die die exakte Aufteilung des Erbguts garantieren.
Motor der Zellteilung nachgebaut
Eine essentielle Rolle während der Mitose spielt das Kinetochor. Dieser mehrschichtige Proteinkomplex wird an einer speziellen Region des Chromosoms gebildet, verbindet die Chromosomen mit der dem Spindelapparat der Zelle und orchestriert ihre fehlerfreie Verteilung. Mit anderen Worten, das Kinetochor ist der Motor der Mitose.
Wie dieser Motor aufgebaut ist und funktioniert, untersuchen wir mit Hilfe der sogenannten biochemischen Rekonstitution. Dabei bauen wir die Einzelteile des Kinetochors im Reagenzglas nach und setzen sie Stück für Stück wieder zusammen. Im Reagenzglas, außerhalb der komplexen und dynamischen Inneren Zellumgebung, können wir die Wechselwirkungen isoliert in einer kontrollierten und vereinfachten Umgebung untersuchen.. Auf diese Weise gelang uns bereits die Nachbildung der inneren und äußeren Kinetochorschichten und somit detaillierte Einblicke in die Funktionsweise der einzelnen Bestandteile.
Einen Schritt näher an der Krone
In unserem neusten Projekt verfolgten wir die gleiche Strategie, um auch die äußerste Schicht des Kinetochors, die Korona, zu erforschen. Sie ist besonders interessant, denn sie hat nur eine sehr kurze Lebensdauer, die unmittelbar vor der Aufteilung der Chromosomen endet. Wir konnten zeigen, dass für ihren Aufbau zwei Komponenten völlig ausreichen: der „ROD-Zwilch-ZW10 (RZZ)“-Proteinkomplex und das Protein „Spindly“. Ein weiteres Rätsel stellte bislang die Bildung der Korona dar. Mit unseren biochemischen Studien konnten wir erstmals ein Enzym, die Kinase MPS1, als Katalysator der Koronabildung am Kinetochor identifizieren.
Erstes detailliertes 3D-Bild der Korona
Viele ungeklärte Fragen zum Aufbau und Funktion der Korona als Teil des Kinetochors könnten mit einem detaillierten 3D-Bild der komplexen Strukturen beantwortet werden. Dieses ist uns nun in Zusammenarbeit mit der Gruppe um Stefan Raunser erstmals gelungen – und zwar mithilfe der Kryo-Elektronenmikroskopie. Dabei werden biologische Proben bei –190°C schockgefroren. So bildet sich kein Eis, und die Proteine bleiben nahezu in ihrem natürlichen Zustand. Anschließend werden im Elektronenmikroskop Dutzende Bilder aus verschiedenen Winkeln aufgenommen und aus den Einzelbildern eine 3D-Struktur rekonstruiert.
Das erste 3D-Bild der Korona haben wir bereits 2017 erstellt. Mit einer Auflösung von 1 nM (ein Milliardstel Meter) war es damals jedoch noch unmöglich, molekulare Details zu erkennen. Nach weiterer Forschung schafften wir es nun mittels einer neuen Strukturanalyse, die Auflösung so weit zu verbessern, dass atomare Details sichtbar sind. So konnten wir endlich erklären, wie die RZZ-Komponenten mit sich selbst und Spindly wechselwirken, um den Zusammenbau der Korona zu einem großen Polymer ermöglichen.
Elektroporation enthüllt die Funktionsweise der Korona
Mit dem Nachbau des Kinetochors und der Korona im Reagenzglas können wir Vorhersagen über das Verhalten der Bestandteile in der Zelle machen. Um diese Vorhersagen in lebenden Zellen zu überprüfen, gehen wir einen neuen Weg: Wir setzen Zellen elektrischen Pulsen aus, um die von uns nachgebauten Proteine zielgerichtet in die Zellen einzuschleusen. Diese Methode, auch Elektroporation genannt, öffnet kurzfristig Poren in der Zellmembran und wurde ursprünglich zum Einschleusen von kleinen biologischen Molekülen wie DNA entwickelt. Wir haben die Methode stark weiterentwickelt, um nun auch große künstlich nachgebaute Proteinkomplexe in Zellen zu bringen. Der Knackpunkt dabei: Die eingeschleusten Proteine behalten ihre physiologischen Funktionen bei. Somit können wir ihre Funktion präzise in Zellen untersuchen.
Mit einer Vielzahl zellbiologischer Anwendungen konnten wir zeigen, dass die Korona eine Plattform für die zwei Motorproteine CENP-E und dynein-dynactin (DD) bildet. Sie sind die treibende Kraft bei der Chromosomenausrichtung und -verteilung und bewegen die Chromosomen entlang der Spindelfasern zu den entstehenden Tochterzellen. Wir konnten demonstrieren, dass CENP-E und DD miteinander wechselwirken und somit vermutlich eine entscheidende Rolle bei der zeitlichen Koordinierung der Chromosomenverteilung während der Mitose spielen.
Die gewonnenen Einblicke in die komplexe Zusammensetzung und Funktion des Kinetochors setzt einen Meilenstein in der Entschlüsselung der Zellteilung. Unsere interdisziplinäre Forschung eröffnet damit neue Ansätze zur Erforschung von Krebsentstehung und Entwicklung von Therapien.