Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für molekulare Pflanzenphysiologie

Wie Pflanzen Wände bauen

Autoren
Sampathkumar, Arun
 
Abteilungen
Pflanzliche Zellbiologie und Morphodynamik
Zusammenfassung
Pflanzenzellen stehen unter Druck. Starre Zellwände ermöglichen es ihnen, diesem inneren Druck, dem sogenannten Turgor, standzuhalten. Mein Team und ich untersuchen, wie Pflanzen diese mechanischen Kräfte wahrnehmen und wie sie die physikalischen Eigenschaften ihrer Zellwände anpassen, um ihr Wachstum als Reaktion auf diese Kräfte zu regulieren. Da der Großteil der Biomasse auf der Welt aus Zellwänden besteht und deren Eigenschaften das Pflanzenwachstum bestimmen, ist dieses Forschungsgebiet auch von großer wirtschaftlicher Bedeutung.

Biomasse besteht größtenteils aus Zellwänden

Pflanzliche Zellwände sind die größte Quelle für Biomasse. Sie bestehen hauptsächlich aus Zellulose. Die Anwendungen von Pflanzenbiomasse reichen vom Tierfutter und Lebensmitteln bis hin zu Treibstoffen und Biomaterialien. Es ist daher von größter Bedeutung zu verstehen, wie Zellwände aufgebaut sind und wie sie funktionieren. Die biochemische und molekularbiologische Forschung hat unser Verständnis der Zellwand-Biosynthese erheblich verbessert. Allerdings ist wiederum nur wenig über die biophysikalischen Prinzipien bekannt, die die Architektur der Pflanze und der Biopolymere, aus denen die Pflanzenzellwand besteht, bestimmen.

Wachstum aus innerer Kraft

Pflanzenzellen nehmen Wasser auf und erzeugen dadurch eine hohe mechanische Spannung im Zellinneren, die als Turgordruck bezeichnet wird. Ein wichtiges Strukturelement der Zelle ist die Zellwand, die alle Pflanzenzellen umhüllt. Aufgrund des Innendrucks steht die Zellwand unter Spannung, wobei Zellulosemikrofasern als spannungsführendes Element fungieren. Eine gezielte Lockerung der Zellwand entspannt diese Kräfte und gibt gleichzeitig einen Impuls zur weiteren Wasseraufnahme, zum Druckaufbau und zur Vergrößerung des Zellvolumens - die Zelle wächst [1]. Darüber hinaus sind die Pflanzenzellen mit ihren benachbarten Zellen verklebt. Ein unterschiedliches Wachstum von Zellen in Geweben beeinflusst dadurch die Richtung der mechanischen Belastungen, denen die Zellen ausgesetzt sind. Wenn ein Teil einer Pflanze wächst oder wenn ein Stängel vom Wind gebogen wird, "ziehen" die Zellen an den Zellwänden ihrer Nachbarn. Pflanzenzellen müssen also auf veränderte mechanische Umgebungsbedingungen reagieren und ihr Wachstum modulieren.

Auch äußere Kräfte beeinflussen das Pflanzenwachstum

Pflanzen sind auch äußeren mechanischen Kräften ausgesetzt, die beispielsweise durch Wind entstehen. Landwirte auf der ganzen Welt legen beispielsweise Windschutzsstreifen an, um mechanische Schäden an ihren Feldpflanzen zu verhindern. Die geneigte Geometrie von Bäumen, die ständigem Wind ausgesetzt sind, zeigt deutlich, dass Pflanzen auf solche Kräfte reagieren. Wenn wir herausfinden, wie Pflanzen auf zellulärer Ebene mit Wind umgehen, können wir diese Eigenschaften bei Züchtungsprogrammen berücksichtigen. Auch Pflanzenwurzeln stoßen beim Eindringen in den Boden auf Hindernisse, die eine Reaktion erfordern. Sie müssen die erforderliche Kraft aufbringen, um das Hindernis zu durchstoßen oder sie müssen die Richtung ihres Wachstums ändern. Diese Modulationen des Wachstums erfordern ebenfalls Veränderungen der mechanischen Eigenschaften der Zellwand. Gelingt dies nicht, kommt es zu Ernteverlusten und Ertragsminderungen. Daher ist es von wissenschaftlichem und wirtschaftlichem Interesse zu verstehen, wie Zellen ihre Zellwandeigenschaften verändern, wenn sie mechanische Kräfte wahrnehmen.

Richtungsweisende mechanische Kräfte

Finite-Elemente-Methoden (FEM) sind mathematische Ansätze, die typischerweise in den Ingenieurwissenschaften genutzt werden. Angewendet auf Pflanzen zeigen sie, dass der Turgor in Kombination mit der Gewebe- oder Zellform mechanische Kräfte hervorruft, die Richtungsinformationen enthalten. Wendet man FEM auf das kuppelförmige Gewebe an der Spitze des Sprosses an, so zeigt sich, dass diese Zellen sich wie eine unter Druck stehende Kapsel verhalten [2]. Die höhere Spannung in der äußeren Zellwand führt zu mechanischen Spannungsmustern, die zwar an der Spitze ungerichtet sind, aber entlang der Randregion der Sprossspitze ein radiales Muster bilden.

FEM basierte Auswertungen in Oberflächenzellen von Blättern zeigen ebenfalls eine gerichtete Verteilung der mechanischen Kräfte. Die Zellen weisen entlang der Blattebene abwechselnd Vorwölbungen und Einwüchse auf, wodurch sie wie Puzzleteile ineinandergreifen. Diese geometrischen Merkmale führen zu stark organisierten mechanischen Kräften in den zellulären Einwüchsen, während die Kräfte in den Auswüchsen ungerichtet bleiben (Abb. 1;  [3]). Da Pflanzenzellen direkt beieinander liegen, können sich Änderungen der mechanischen Kräfte sofort über relativ große Entfernungen ausbreiten. Dies deutet darauf hin, dass mechanische Kräfte, ähnlich wie chemische Gradienten, Richtungsinformation enthalten können.

Mikroskopische Röhren lenken die Reaktion der Pflanzen auf mechanische Kräfte

Aktuell erforschen wir die mikroskopisch kleinen röhrenförmigen Strukturen, die sich im Zytoplasma befindenden Mikrotubuli, welche die Richtung der Zelluloseablagerung an der Zellwand bestimmen. Sie steuern die Bewegungen der Proteine, die an der Synthese der Zellulosemikrofasern beteiligt sind (Abb. 2). Mikrotubuli organisieren sich, der jeweiligen Verteilung der Kräfte folgend, an den Zellwänden. Diese gerichtete Ablagerung von Zellulosemikrofasern verstärkt dann diejenigen Bereiche der Zelle, die erhöhten mechanischen Belastungen ausgesetzt sind [3, 4]. Wird die Mikrotubuli-Reaktion im Experiment ausgeschaltet, platzen die Zellen, weil sie dem Stress nicht mehr standhalten können [5]. Die physische Interaktion zwischen den Zellulosemikrofasern in der Zellwand und den Mikrotubuli mittels der Zellulose-synthetisierenden Proteine eröffnet den Weg, durch den mechanische Kräfte von der Zellaußenseite auf die inneren Zellkomponenten übertragen werden können.

Sobald sich die Kräfte verändern, ändert sich die Organisation der Mikrotubuli entsprechend [2, 3]. Bei solchen Veränderungen wird jedoch die Interaktion zwischen Mikrotubuli und Proteinen reduziert [4]. Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Assoziation zwischen Mikrotubuli und Proteinen die Reaktion der Mikrotubuli auf mechanische Reize dämpft. In der Natur, in der Pflanzen ständig einer Vielzahl mechanischer Reize ausgesetzt sind, ermöglicht dies den Pflanzen möglicherweise eine noch effizientere Anpassung ihrer Zellwandeigenschaften an ihren Lebensraum, dem sie naturgemäß aufgrund ihrer Verwurzelung im Boden nicht entkommen können.

Literaturhinweise

Cosgrove, D. J.
Expansive growth of plant cell walls
Plant Physiology and Biochemistry 38, 109-124 (2000)
Hamant, O.; Heisler, M.G.; Jonsson, H.; Krupinski, P.; Uyttewaal, M.; Bokov, P.; Corson, F.; Sahlin, P.; Boudaoud, A.; Meyerowitz, E.M.; Couder, Y.; Traas J.
Developmental patterning by mechanical signals in Arabidopsis
Science 322, 1650-1655 (2008)
Sampathkumar, A.;  Krupinski, P.;  Wightman, R.;  Milani, P.;  Berquand, A.;  Boudaoud, A.;  Hamant, O.;  Jönsson, H. ;  Meyerowitz, E.M.
Subcellular and supracellular mechanical stress prescribes cytoskeleton behavior in Arabidopsis cotyledon pavement cells
elife 3: e01967 (2014)
Schneider, R.; Ehrhardt, D.W.; Meyerowitz, E.M.; Sampathkumar, A.
Tethering of cellulose synthase to microtubules dampens mechano-induced cytoskeletal organization in Arabidopsis pavement cells
Nature Plants 8, 1064-1073 (2022)
Eng, R.C.; Schneider, R.; Matz, T.W.; Carter, R.; Ehrhardt, D.W.; Jönsson, H.; Nikoloski, Z.; Sampathkumar, A.
KATANIN and CLASP function at different spatial scales to mediate microtubule response to mechanical stress in Arabidopsis cotyledons
Current Biology 31, 3262-3274 (2021)

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