Forschungsbericht 2023 - Max-Planck-Institut für Evolutionsbiologie

Rätselhafte Rekombination 

Mysterious Meiosis

Autoren
Odenthal-Hesse, Linda
Abteilungen
Forschungsgruppe Meiotische Rekombination und Genominstabilität
Zusammenfassung
Neues Leben entsteht nur, wenn zwei gesunde Keimzellen miteinander verschmelzen. Der für die Keimzellenbildung wichtige Prozess der meiotischen Zellteilung ist jedoch häufig fehlerhaft oder sogar nicht funktionsfähig, was zu Fehlgeburten und Unfruchtbarkeit führt. Trotz der zentralen Bedeutung der Keimzellen sind die zellulären Mechanismen, durch die sie gebildet werden, noch nicht erforscht und bleiben rätselhaft. Unser Ziel ist es zu verstehen, wie die zentralen Prozesse der meiotischen Rekombination gesteuert werden und die genetischen und epigenetischen Akteure aufzudecken.
Summary
New life arises only if two healthy germ cells fuse. However, the process of meiotic cell division, essential for germ cell formation, is often faulty, or even nonfunctional - leading to miscarriages and infertility. Despite the central importance of germ cells, the cellular mechanisms by which they are formed remains mysterious. Our goal is to uncover and understand the genetic and epigenetic players that control the central processes of meiotic recombination.

Forschung an der Schnittstelle von Genetik und Epigenetik

Eizellen und Spermien entstehen durch meiotische Zellteilung. Allerdings ist dieser Prozess oft fehlerhaft, sodass falsche Chromosomenzahlen vorkommen, beispielsweise Trisomien. Das Verständnis der Meiose-Regulation ist auch entscheidend für die Ursache menschlicher Unfruchtbarkeit. Denn versagt die Meiose aufgrund fehlerhafter Kontrollproteine in den Zellen, so führt dies zu einem Absterben der Vorläufer der Keimzellen und die betroffene Person bleibt unfruchtbar (Abb. 1). Bei 30 % aller Unfruchtbarkeitsfälle sind die Ursachen bisher unbekannt, und trotz des weltweiten Rückgangs der Anzahl der Spermien im männlichen Ejakulat wird erstaunlich wenig an der Entstehung der männlichen Keimzellen geforscht.

Während sich viele Organismen sexuell fortpflanzen und somit genetische Rekombination in großem Maße passiert, bleibt deren Regulierung noch immer rätselhaft. Die Genome unterschiedlicher Tierarten haben sich im Laufe der Evolution dramatisch in Größe und Zusammensetzung verändert. Jedoch obwohl Schimpansen und Menschen 98,8 Prozent ihres genetischen Codes teilen, überlappen diejenigen Positionen, an denen meiotische Rekombinationen eingeleitet werden, nicht. Diese sogenannten Rekombinationslandschaften sind in der Tat schon zwischen verschiedenen Individuen einer Spezies nicht mehr identisch. Bekannte regulatorische Proteine und Signalwege, die durch Mutationsanalysen in Hefezellen identifiziert wurden, sind wiederum bei den meisten Tierarten gleich und können daher nicht die große Variabilität der jeweiligen Rekombinationslandschaften zwischen Individuen erklären.

Die Epigenetik, ein neues Gebiet neben der Genomforschung, hat wesentlich zum Verständnis der Rekombinationsregulation beigetragen. Die neuen, als Epigenetik bezeichneten Erkenntnisse helfen uns, übergeordnete Regulationsmechanismen der Genexpression zu verstehen, die über die genetische Kontrolle auf der Ebene der Nukleinsäuren hinausgehen. Ein Fokus liegt auf dem Transkriptionsfaktor PRDM9, der eine immense Diversität seiner molekularen Struktur aufweist, die nicht nur beim Menschen, sondern auch bei Walen und Wildmäusen zu finden ist [1, 2]. PRDM9 bestimmt die Positionen der meiotischen Rekombination im Genom präzise, indem das Protein epigenetische Modifikationen auf anderen Proteinkomplexen erzeugt, die wie Signalleuchten für weitere Proteine fungieren. Das PRDM9-Protein interagiert auch direkt mit verschiedenen Enzymen, was dazu führt, dass Doppelstrangbrüche initiiert werden [3]. Diese Doppelstrangbrüche sind für die genetische Durchmischung und die korrekte Ausrichtung der Chromosomenpaare in der Zelle entscheidend.

Die große Variabilität von PRDM9 aber hat auch Schattenseiten, die PRDM9 zum bisher einzig bekannten Hybridsterilitätsgen der Wirbeltiere macht. Treffen in männlichen Mäusen, die aus zwei unterschiedlichen Mausunterarten hervorgegangen sind, bestimmte Varianten von PRDM9 zusammen, so scheitert die Meiose und die Tiere sind unfruchtbar [2, 4].

Entschlüsselung der molekularen Mechanismen der Rekombinationsregulation

Wegen seiner Rolle für die Fruchtbarkeit der Säugetiere galt das PRDM9-Protein als essenziell. Da es Konflikte zwischen meiotischer Transkription und Rekombination vermeiden hilft, indem diese beiden Prozesse nicht um dieselben Positionen im Genom konkurrieren, schien es einen Schlüsselfaktor für die Fortpflanzung darzustellen. Jedoch zeigt die Evolution, dass PRDM9 in vielen Tierarten nicht zwingend notwendig ist, denn obwohl ein vollständiges PRDM9 Gen im gemeinsamen Vorfahren aller Wirbeltiere vorhanden war, wurde es mindestens dreizehnmal unabhängig voneinander in verschiedenen Arten verloren, darunter Fischarten, Amphibien, Krokodile und Vögel. Der jüngste Verlust von PRDM9 trat vor 14,2 Millionen Jahren sogar in Säugetieren auf, und zwar in Vorfahren von Haushunden, Wölfen und Füchsen – die dennoch fruchtbar und deren Keimzellen in der Lage sind, erfolgreich zu rekombinieren. In Hefe-, Vogel- und Hundegenomen konnte gezeigt werden, dass die Rekombination trotz der Konkurrenz mit Transkriptionsvorgängen in regulatorischen Elementen erfolgreich durchgeführt werden kann. Dies konnten wir auch für wildlebende Singvögel bestätigen und dabei sogar neue Interaktionen mit bestimmten genomischen Elementen herausfinden [5]. Durch die Untersuchung von Spermienzellen von Hunden und Vögeln möchten wir versuchen, diese von PRDM9 unabhängig funktionierenden Rekombinationswege zu verstehen und somit zum Verständnis von Unfruchtbarkeit beim Menschen beitragen.

Identifizierung neuer (epi-)genetischer Modifikatoren der Rekombinationsrate

Unsere Forschung trägt außerdem dazu bei, die Mechanismen der meiotischen Rekombination und deren Bedeutung für die Weitergabe genetischer Information an die nächste Generation zu verstehen. Wir sind dabei, weitere Akteure zu entdecken, denn obwohl Rekombinationsraten stark variieren, scheint dieser Prozess nur durch eine sehr begrenzte Anzahl von Genen reguliert zu sein. Durch umfangreiche Sequenzdaten und hochauflösender Genomkarten konnten wir nicht nur strukturelle Veränderungen im gesamten Genom aufdecken, sondern auch einen bisher unbekannten Teil des X-Chromosoms aufschlüsseln, von dem bekannt war, dass er einen weiteren, mit PRDM9 interagierenden Regulationslokus beinhaltet. Wir fanden, dass Variationen in diesem Lokus die erfolgreiche Chromosomenpaarung verhindern oder begünstigen können. Als neue Akteure kommen eine Reihe winziger regulatorischer RNAs - sogenannter microRNAs in Frage - welche wir nun im Detail untersuchen.

Unser Verständnis des Zusammenspiels von genetischen und epigenetischen Mechanismen erlaubt es uns, die Komplexität der meiotischen Rekombination und ihrer Bedeutung für die Entstehung der genetischen Vielfalt zu entschlüsseln. Darüber hinaus können unsere Forschungsergebnisse auch als Grundlage für die Entwicklung von Kontrazeptiva für den Mann dienen.

Literaturhinweise

Damm, E.; Ullrich, K.K.; Amos, W.B.; Odenthal-Hesse, L.
Evolution of the recombination regulator PRDM9 in minke whales
BMC Genomics 23: 212 (2022)
AbuAlia, K.F.N.; Damm, E.; Ullrich, K.K.; Mukaj, A.; Parvanov E.D.; Forejt, J.; Odenthal-Hesse, L.
Natural variation in the zinc-finger-encoding exon of Prdm9 affects hybrid sterility phenotypes in mice
Genetics 226: iyae004 (2024)
Damm, E.; Odenthal-Hesse, L.
Orchestrating recombination initiation in mice and men
Current Topics in Developmental Biology 151, 27-42 (2022)
Bascón-Cardozo, K.; Bours, A.; Manthey, G.; Pruisscher, P.; Durieux, G.; Dutheil, J.; Odenthal-Hesse, L.; Liedvogel, M.
Fine-scale map reveals highly variable recombination rates associated with genomic features in the European blackcap
Genome Biology and Evolution 16: evad233 (2024)
Lustyk, D.; Kinsky, S.; Ullrich, K.K.; Yancoskie, M.; Kasikova, L.; Gergelits, V.; Sedlacek, R.; Chan, Y.F.; Odenthal-Hesse, L.; Forejt, J.; Jansa, P.
Genomic Structure of Hstx2 Modifier of Prdm9-Dependent Hybrid Male Sterility in Mice
Genetics 213, 1047-1063 (2019)

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