Die Vielfalt menschlicher Wortschätze
Computergestützter Vergleich gibt Einblick in die Wortschätze für Körperteile in mehr als tausend Sprachen
Menschliche Körper sind gleich aufgebaut. Doch wie wir den Körper in unseren Sprachen in seine Teile aufteilen und benennen, unterscheidet sich. Ein Team von Linguistinnen und Linguisten des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und der Universität Passau hat das Vokabular zu Körperteilen in 1028 Sprachen verglichen. Die groß angelegte Studie gibt Einblicke in universelle und kulturelle Faktoren menschlicher Körperwortschätze.
Unterschiede im Vokabular für Körperteile in verschiedenen Sprachen beschäftigen Forschende im Bereich der Sprachwissenschaft, der Anthropologie und der Psychologie seit Jahren. Ähnlich wie bei den Grundsätzen, die für den semantischen Bereich der Farbe entwickelt wurden, haben sie allgemein gültige Regeln identifiziert und kulturspezifischen Variationen gegenübergestellt. Das Aufkommen neuer computergestützter Methoden in der Netzwerkanalyse ermöglicht nun groß angelegte Vergleiche des Wortschatzes in bestimmten semantischen Domänen, um allgemeingültige und kulturelle Strukturen zu untersuchen.
Forschende der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und des Lehrstuhls für Multilinguale Computerlinguistik an der Universität Passau haben Algorithmen entwickelt, um zu untersuchen, wie Menschen ihren Wortschatz in verschiedenen Sprachen bilden.
Für die aktuelle Studie nutzten die Sprachwissenschaftlerinnen und Sprachwissenschaftler eine bestehende Datenbank, Lexibank, die von Forschenden am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig und am Passauer Lehrstuhl für Multilinguale Computerlinguistik entwickelt wurde. Dabei handelt es sich um eine große Sammlung von Wortlisten für alle Sprachen der Welt. Mit einem computergestützten Ansatz extrahierten die Leipziger und Passauer Forscherinnen und Forscher die Wörter für 36 Körperteile in all diesen Sprachen und analysierten die Beziehungen zwischen den Wörtern in einer Netzwerkanalyse. „Wir haben mehrere Jahre gebraucht, um die Daten in der Lexibank-Sammlung zusammenzutragen“, sagt Johann-Mattis List von der Universität Passau, der zuvor als leitender Wissenschaftler am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig tätig war. „Jetzt können wir beginnen, die Daten auf verschiedene Weise zu analysieren.“
Sprachen unterscheiden sich in der Benennung von Körperteilen
„Obwohl unsere Körper ähnlich aufgebaut sind, unterscheiden sich die Sprachen darin, wie sie den Körper unterteilen und diese Teile benennen“, sagt Annika Tjuka, Postdoc am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, die die Studie initiiert und durchgeführt hat. „Im Englischen haben wir ein Wort für Arm und ein anderes für Hand, aber Wolof, eine Sprache, die im Senegal in Westafrika gesprochen wird, verwendet ein Wort, loxo, um beide Körperteile zu bezeichnen. Alle Sprecherinnen und Sprecher haben eines gemeinsam: einen menschlichen Körper. Warum also unterscheiden sie sich darin, welchen Teilen sie eindeutige Namen geben?“
Die Studie bestätigt eine der Regeln, wonach es ein eigenes Wort für Fuß gibt, wenn auch eines für Hand existiert. Aber die Ergebnisse zeigen auch, dass ein Körperteil, das mit einem anderen verbunden ist, mit größerer Wahrscheinlichkeit ein und denselben Namen hat. Ein Grund für dieses Muster ist, dass sich Sprachen wie Wolof auf die Funktionen konzentrieren, die zwei Teile miteinander verbinden. Die Sprecherinnen und Sprecher wissen, dass wir einen Ball mit unserer Hand und unserem Arm werfen oder dass wir mit unserem Bein und unserem Fuß gehen. Sprachen wie das Englische und das Deutsche hingegen konzentrieren sich auf visuelle Hinweise wie das Handgelenk oder den Knöchel, um Teile voneinander zu trennen.
Das Vokabular für Körperteile variiert von Sprache zu Sprache. Innerhalb dieser Vielfalt zeichnen sich jedoch allgemeine Tendenzen ab. „Um die Faktoren zu verstehen, die die sprachliche Vielfalt prägen, brauchen wir mehr Daten. Wir müssen die Sprachen dokumentieren, die in Gebieten mit einer hohen Sprachenvielfalt gesprochen werden. Und wir müssen Daten über den soziologischen Kontext sammeln, in dem diese Sprachen gesprochen werden", sagt Tjuka.