Gene und Sprachen entwickelten sich nicht immer parallel

Mithilfe einer Datenbank können Forschende die komplexe Geschichte unserer Gene und Sprachen besser entschlüsseln

21. November 2022

Ist die Geschichte unserer Sprachen mit der unserer Gene verbunden, so wie es Charles Darwin ursprünglich vermutete? Ein interdisziplinäres Team unter der Leitung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie, der Universität Zürich und der Harvard University hat nun mit GeLaTo eine globale Datenbank geschaffen, die solche Daten erstmals miteinander verknüpft. Dabei fanden die Forschenden zahlreiche Übereinstimmungen aber weltweit auch etwa 20 Prozent Abweichungen.

Auf der Welt werden mehr als 7.000 Sprachen gesprochen. Diese Vielfalt wird – ähnliche wie biologische Merkmale – von einer Generation an die nächste weitergegeben. Aber unterliegen Sprachen dabei auch denselben evolutionären Mechanismen? Kinder lernen Sprache nicht ausschließlich von den Eltern, sondern auch von anderen Personengruppen und sogar Gleichaltrigen aus ihrem sozialen Umfeld. Ob und wie Sprachen und Gene in der Menschheitsgeschichte miteinander verbunden sind, hat eine neue Studie nun erstmals auf globaler Ebene untersucht.

Unter dem geschmackvollen Namen GeLaTo (GEnes and LAnguages TOgether) – dem italienischen Begriff für Eiscreme – initiierte das Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig gemeinsam mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universität Zürich und der Harvard University ein globales Datenbankprojekt. GeLaTo kombiniert und vergleicht genetische und linguistische Daten mit dem Ziel, die weltweite Evolution von Sprache zu erforschen. In ihrer aktuellen Studie untersuchten sie, inwieweit die sprachliche und die genetische Geschichte verschiedener Populationen übereinstimmen. „Wir haben uns auf diejenigen Fälle konzentriert, bei denen sich die beiden Muster unterscheiden und untersucht, wie oft und wo dies vorkommt“, sagt Chiara Barbieri, Genetikerin an der Universität Zürich und Leiterin der Studie. „Menschen, die verwandte Sprachen sprechen, sind oft auch genetisch verwandt, aber nicht immer: Etwa jede fünfte Gen-Sprach-Beziehung weltweit ist ein Sprachwechsel.“

Ein Großteil der Abweichungen resultiert daraus, dass Populationen zur Sprache von Nachbar-Populationen wechseln, die sich genetisch unterscheiden. Populationen, die sich mit Nachbar-Populationen vermischen und sich diesen genetisch angleichen, behalten nur in seltenen Fällen ihre ursprüngliche sprachliche Identität bei – so ähneln beispielsweise die Ungarinnen und Ungarn ihren Nachbarn genetisch, während ihre Sprache mit den Sprachen Sibiriens verwandt ist. „Sobald wir wissen, wo Sprachwechsel stattgefunden haben, können wir versuchen, die Gründe dafür zu erforschen“, erklärt Russell Gray, Direktor der Abteilung für Sprach- und Kulturevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und Initiator des Projekts. „Dieser kombinierte Ansatz ermöglicht es uns, in unserer Vergangenheit zu graben und zu verstehen, welche Rolle Sprache bei der Gestaltung menschlicher Vielfalt gespielt hat – einer Vielfalt, die bedeutend größer ist als bei anderen Primaten.“

Systematische Studien mit großen Datenmengen

GeLaTo enthält genetische Informationen von mehr als 4.000 Individuen, die fast 300 verschiedene Sprachen sprechen. Diese globale Datenbank enthält genügend Informationen, um deren demografische und sprachliche Geschichte zu entschlüsseln. Die Ressource ist mit anderen linguistischen und kulturellen Datenbanken verknüpft, die von Grays Abteilung entwickelt wurden. Robert Forkel, wissenschaftlicher Programmierer am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und einer der Autoren der Studie, fügt hinzu: „Es war ermutigend zu sehen, dass unser Forschungsdatengerüst auch als Rückgrat für die Verknüpfung mit genetischen Daten dienen kann.“

GeLaTo ist ein globales Projekt, das die Beziehungen zwischen Genen und Sprachen über Kontinente hinweg untersucht. „Die in Europa und Teilen Asiens am weitesten verbreitete indogermanische Sprachfamilie, zu der unter anderem Sprachen wie Französisch, Deutsch, Spanisch, Farsi und Griechisch gehören, ist nicht nur bestens wissenschaftlich untersucht, sondern hat auch in unserer Datenbank eine besonders hohe genetische und linguistische Kongruenz. Das könnte den Eindruck erwecken, dass Übereinstimmungen zwischen Genen und Sprachen die Norm sind“, sagt Damián Blasi, Forscher an der Harvard University. „Genetische Daten aus westlichen Ländern sind jedoch überrepräsentiert. Um die Evolution von Sprache zu verstehen ist es daher äußerst wichtig, dass genetische und linguistische Daten von Populationen auf der ganzen Welt Berücksichtigung finden.“

SJ/IH

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