Sprache
Die Wissenschaft gewinnt immer neue Erkenntnisse über unsere besondere Art der Kommunikation
Erzählen, erklären, diskutieren, überreden, unterrichten - was Menschen mit Sprache bewerkstelligen, geht weit über den Austausch von Information hinaus. Ohne Sprache gäbe es weder Handel noch Politik, weder Religion noch Wissenschaft, weder Rechte noch Gedichte. Doch das Phänomen Sprache birgt viele Rätsel: Worauf ist diese einzigartige menschliche Fähigkeit zurückzuführen? Wie prägt uns unsere Muttersprache und welche Ausprägungen hat die Sprache in verschiedenen Teilen der Welt entwickelt? All diesen Fragen geht die Forschung nach und findet teils überraschende Antworten.
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Wie und wo wird Sprache im Gehirn verarbeitet?
Ein wesentlicher Schlüssel zum Verständnis der menschlichen Sprache liegt im Gehirn. Schon vor mehr als 150 Jahren wurden Gehirnareale entdeckt, die wesentlich für das Sprechen und das Verstehen von Sprache sind. Doch viele scheinbar einfache Fragen sind weiterhin ungelöst. So untersucht David Poeppel, Direktor des Ernst Strüngmann Instituts, wie Gesprochenes, das als Schall am Ohr ankommt, im Gehirn richtig verarbeitet werden kann. Und umgekehrt, wie die Antwort im Gehirn generiert und als gesprochenes Wort geäußert wird.
Peter Hagoort, Direktor am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik befasst sich wiederum mit der Frage: Wie führt das Gehirn verschiedene Informationen aus verschiedenen Quellen mithilfe von Sprache zu einer Botschaft zusammen? Hagoort war der erste Forscher der spezielle Messmethoden anwendete, um dem Gehirn beim Sprechen zuzuschauen. So entdeckte er unter anderem, dass das Gehirn zunächst grammatische Informationen über ein Wort sammelt, ehe es seinen Klang analysiert.
Wie funktioniert Sprache?
Sprache ist zum Sprechen da, aber genau das ist für die Forschung eine Herausforderung. Alltägliche Unterhaltungen sind im Vergleich zu Tests unter Laborbedingungen sehr heterogen und damit schwieriger zu analysieren. Trotzdem hat gerade die Untersuchung von Gesprächen in letzter Zeit zu interessanten Ergebnissen geführt. So haben Forscher um Stephen C. Levinson am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik herausgefunden, dass sich Menschen in Gesprächen erstaunlich schnell abwechseln. Nur rund 200 Millisekunden beträgt die Zeit zwischen der Aussage eines Sprechers und der Antwort seines Gegenübers. Das ist deswegen so überraschend, weil unser Gehirn mindestens 600 Millisekunden braucht, um ein Wort zu generieren. Damit überschneiden sich Sprachverstehen und Sprachproduktion, das heißt, wir antworten zwangsläufig, bevor wir überhaupt über eine Antwort nachdenken konnten.
Welche Taktiken Menschen dabei anwenden, untersucht Levinsons Kollegin Antje Meyer, am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik. Eine Möglichkeit ist etwa, zunächst einige Worte aus dem Satz des Vorredners aufzugreifen und dadurch Zeit zu gewinnen, zur eigentlichen Aussage zu kommen. Auf die Frage „Was ist dein Lieblingsessen?“, kann die Antwort dann beispielsweise lauten: „Mein Lieblingsessen? – Das ist Pizza.“ Langsameres Sprechen und Pausen im Satz, die oft mit „Ähs“ gefüllt werden, helfen dem Sprecher ebenfalls, Zeit zum Denken zu gewinnen.
Wie lernen Kinder Sprache?
Kinder machen sehr schnell große Fortschritte im Sprachenlernen. Trotzdem können erst Erwachsene komplizierte Formulierungen ohne Probleme begreifen. Angela Friederici, Direktorin am Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften, hat herausgefunden, warum das so ist: Bis zum dritten Lebensjahr ist nur ein bestimmter Bereich des Großhirns bei der Sprachverarbeitung beteiligt. Erst danach kommt mit dem Broca-Areal langsam eine zweite zentrale Sprachregion dazu. Dieses Areal ist ein wichtiges Sprachzentrum im Stirnbereich des Großhirns, das vor allem komplexe sprachliche Information verarbeitet. Wie Friederici entdeckte, wird das Areal mit zunehmendem Alter nicht nur stärker aktiviert, sondern auch zunehmend in das gesamte Sprachnetzwerk eingebunden.
Wie viele Sprachen gibt es?
Weltweit existieren nach heutiger Erkenntnis rund 7000 Sprachen – und immer wieder werden neue entdeckt. Eine der großen Fragen der Linguistik ist seit langem: Gibt es universelle Prinzipien, die all diese Sprachen verbinden? Die Suche nach Antworten gestaltet sich schwierig: Die Vielfalt der Wörter und Grammatiken ist riesig, doch tatsächlich haben sie auch Gemeinsamkeiten. Bei bestimmten Begriffen findet sich etwa in völlig unterschiedlichen Sprache eine überraschend deutliche Häufung bestimmter Laute und Buchstaben. Das ist das Ergebnis einer Vergleichsstudie, für die Wissenschaftler von den Max-Planck-Instituten für Menschheitsgeschichte und für Mathematik in den Naturwissenschaften Wörter aus mehr als 4000 Sprachen analysiert haben. Außerdem existieren weltweit grundlegende Strategien, um Missverständnisse in der Kommunikation aufzudecken und zu beheben, wie Forscher vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik herausgefunden haben.
Russel Gray, ehemals Direktor am Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte und seit 2020 am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie, geht der Frage nach, wie die Vielzahl der Sprachen entstanden ist. Seine Ausgangsthese ist, dass sie sich ebenso evolutionär entwickelt haben wie körperliche Merkmale. Mithilfe computergestützter Modellierungsmethoden arbeitet er daran, Stammbäume für Sprachen zu erstellen.
Beeinflusst Sprache das Denken?
Menschen verschiedener Kulturen und verschiedener Sprachen nehmen die Welt unterschiedlich wahr. Das wirkt sich auch auf ihr Denken aus. Wie Kultur und Sprache, Wahrnehmen und Denken genau zusammenhängen, ist eine alte und bis heute aktuelle Forschungsfrage. Lange ging man davon aus, dass vor allem der Wortschatz die Sicht auf die Welt prägt. Aber auch die Grammatik hat einen Einfluss darauf, wie wir unsere Umgebung erleben. So fanden Forscher am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik heraus, dass deutsche und englische Muttersprachler Bewegungen unterschiedlich wahrnehmen. Das liegt daran, dass in der englischen Grammatik Verlauf und Ziel der Bewegung das gleiche Gewicht haben, während im Deutschen der Endpunkt hervorgehoben ist.
Was haben Sprache und Musik gemeinsam?
Es ist wohl kein Zufall, dass wir Menschen mit Sprache und Musik zwei Kommunikationskanäle haben, über die kein anderes Lebewesen verfügt. Das menschliche Gehirn scheint sich im Laufe der Evolution so verändert zu haben, dass es beides verarbeiten kann. Eine wichtige Rolle in beiden Bereichen spielen Melodien - auf der einen Seite die Sprachmelodie, also die Betonung von Wörtern oder der Tonfall des Gesprochenen, auf der anderen Seite die Wahrnehmung von Melodien in der Musik. Wie Untersuchungen an den Max-Planck-Instituten für Kognitions- und Neurowissenschaften und empirische Ästhetik ergaben, sind die gleichen Hirnareale bei der Verarbeitung von Melodien in Sprache und Musik beteiligt.
Fragen über Fragen
Nicht nur Linguisten und Literaturwissenschaftler, Psychologen und Kognitionsforscher befassen sich mit dem umfassenden Thema Sprache, sondern auch Forscher angrenzender Gebiete. So untersuchen Genetiker, wo und wie das Sprechen in unserem Erbgut verankert ist. Am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung gehen Forscher der Frage nach, wie Schüler am besten den Umgang mit geschriebener Sprache lernen. Ein weiteres wichtiges Thema an mehreren Max-Planck-Instituten ist die Kommunikation von Tieren - und wiederum der Vergleich mit dem Menschen. Die Forschungsfragen rund um das Phänomen Sprache und Sprechen werden den Wissenschaftlern also noch lange nicht ausgehen.
mez