„Nur mit internationaler Kooperation kommen wir weiter“
Im Doppelinterview diskutieren Anne Peters und Axel Ockenfels rechtliche und ökonomische Ansätze, um die globale Klimakrise zu bewältigen
Um die Herausforderungen des Klimawandels zu bewältigen, braucht es vielfältiges Wissen. Rechtliche und ökonomische Lösungsansätze entwickeln auch Forschende der MPG: Anne Peters, Direktorin am MPI für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg, beschäftigt sich als Völkerrechtlerin dabei vor allem mit Menschenrechten. Wirtschaftswissenschaftler Axel Ockenfels, Direktor am MPI zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, hat sich als Spieltheoretiker und Verhaltensforscher mit internationaler Klimakooperation beschäftigt. Wie sich die Lösungsansätze von Ökonomen und Juristen unterscheiden, zeigt das Interview.
Interview: Petra Maaß
Die Vorbereitungen für die nächste UN-Weltklimakonferenz (COP29) im November in Baku laufen bereits. Die Beschlüsse der vergangenen COP liegen ein halbes Jahr zurück. Halbzeit also. Löst die nächste Konferenz die Klimakrise?
Axel Ockenfels: Da bin ich eher skeptisch. Seit rund 30 Jahren wird verhandelt, und während in einigen Regionen ja durchaus einiges erreicht wurde, klettern die globalen Emissionen auf immer neue Höchststände, statt schnell und drastisch zu sinken. Das Klimaproblem ist im Kern ein Kooperationsproblem, und die Lösung von Kooperationsproblemen erfordert gemeinsame, auf Reziprozität – also Gegenseitigkeit – beruhende Vereinbarungen, wie wir es von Handelsabkommen, Mindestbesteuerung von Unternehmen oder Abrüstungsabkommen kennen. Reziprozität schützt die Willigen vor Trittbrettfahrern und schafft Anreize für die Unwilligen, mitzumachen. Die internationale Klimapolitik setzt dagegen auf freiwillige Selbstverpflichtungen, die so genannten Nationally Determined Contributions (NDCs). Die Kooperationsforschung und die Emissionsdaten legen jedoch nahe, dass das Kooperationsproblem nicht schnell genug gelöst werden kann, wenn jedes Land für sich definiert, was es beitragen will.
Anne Peters: Das kann man so nicht sagen. Das Pariser Abkommen heißt nicht, dass jeder Staat macht, was er will. Es stimmt, dass dieser Vertrag den Vertragsparteien nicht jeweils individuell bezifferte Verpflichtungen zur Reduktion ihrer jeweiligen Treibhausgasemissionen auferlegt. Das unterscheidet das Pariser Abkommen vom Kyotoprotokoll, das nur Industriestaaten (wozu beispielsweise China und Indien nicht gezählt wurden) konkret zur Erreichung von Emissionszielen verpflichtete. Das hat aber nicht funktioniert. Im Pariser Abkommen werden die Begrenzung der Erderwärmung auf zwei bzw. auf möglichst 1,5 Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau und das Erreichen der sogenannten Klimaneutralität, also von Netto-Null CO2-Emissionen, bis Mitte des 21. Jahrhunderts als gemeinsame Ziele vereinbart, aber ohne die für die Zielerreichung notwendigen Beiträge konkret zu verteilen. Jede Vertragspartei hat sich jedoch verpflichtet, einen nationalen Reduktionsbeitrag (NDC) festzulegen, dies zu dokumentieren und öffentlich zu machen. Außerdem legen einige Juristinnen und Juristen gewisse Vorschriften des Abkommens als Progressionsverpflichtung aus, also als eine Pflicht, den nationalen Beitrag kontinuierlich zu steigern. Die verpflichtende Publikation der NDCs in einem Register und die regelmäßige globale Gesamtbilanz (Global Stocktake) soll einen Druck durch kritische globale Öffentlichkeiten aufbauen. Transparenz gilt deshalb als zentraler Mechanismus, um der Erreichung des gemeinsamen Temperaturziels und der Klimaneutralität bis 2050 näher zu kommen, es kann die Zielerreichung aber nicht garantieren oder gar erzwingen.
Klimawandel und internationale Politik
Soll so eine Spirale in Gang gesetzt werden?
Ockenfels: Ja, aber die Kooperationsforschung gibt leider wenig Anlass für Optimismus, solange wir bei der kollektiven Herausforderung vor allem auf individuelle Ambitionen setzen. Die Verhaltensforschung legt sogar nahe, dass Klima-Egoismus ansteckender sein kann als Klima-Altruismus, zumal unilaterale Maßnahmen die Kooperationsanreize anderer Länder sogar schwächen können, sofern sie nicht zu Innovationen führen. Das kann zum Beispiel passieren, wenn energieintensive Unternehmen in weniger ambitionierten Ländern investieren oder fossile Brennstoffe anderswo verbraucht werden. Auch die jüngsten Wahlentscheidungen sind nicht unbedingt ermutigend.
Peters: Das ist das berühmte "Drop-in-the-Ocean"-Argument, das viele Staaten vorbringen, etwa die Schweiz in ihrer Reaktion auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zum Verein KlimaSeniorinnen: Mein Anteil ist ja nur klein. Dieses Argument hat jedoch jedes Gericht bisher abgelehnt, darunter auch das Bundesverfassungsgericht. Die Richterinnen und Richter hielten fest, dass sich Deutschland dem verfassungsrechtlichen Gebot, Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen, nicht durch den Hinweis auf Treibhausgasemissionen in anderen Staaten entziehen kann. Stattdessen, so das Bundesverfassungsgericht, soll Deutschland durch eigenes Handeln internationales Vertrauen stärken. Der Staat muss im Rahmen internationaler Abstimmung versuchen, andere Länder zu motivieren, indem es deren Vertrauen in Deutschlands Erfüllungsbereitschaft stärkt. Dies ist umso wichtiger, als historisch gesehen, der globale Norden, also die EU, die USA, Kanada, Australien und Japan, seit Mitte des 18. Jahrhunderts bis 2017 über 50 Prozent der CO2-Emissionen verursacht haben.
Kann Deutschland denn überhaupt einen Unterschied machen, um das globale Klimaproblem zu lösen?
Ockenfels: Ja, aber um erfolgreich zu sein und unserer großen Verantwortung gerecht zu werden, müssen wir eben auch andere stärker zum Mitmachen motivieren. Seit Beginn der deutschen Energiewende im Jahr 2000 bis 2022 hat sich der Anteil Deutschlands an den globalen CO2-Emissionen nahezu halbiert. Diese Entwicklung ist einerseits auf die erfolgreiche Reduktion der deutschen Emissionen um rund 230 Mio. Tonnen zurückzuführen, andererseits aber auch auf den enormen Anstieg der weltweiten Emissionen um etwa 11.600 Mio Tonnen im gleichen Zeitraum. Ich bin davon überzeugt, dass wir Gutes besser tun können. Ein Schlüssel zum Erfolg liegt in Forschung und Innovationen. Wenn zuverlässige grüne Energie billiger wird als fossile Energie, dann liegt die Transformation im ureigenen Interesse aller Staaten und Unternehmen, und das Kooperationsproblem ist weitgehend gelöst. Tatsächlich könnte schon ein kleiner Bruchteil der Bundesförderung für Gebäudesanierung, um nur ein Beispiel zu nennen, eine gewaltige Innovationsoffensive auslösen, die vom Umfang her mit dem Fördervolumen für die gesamte Max-Planck-Gesellschaft vergleichbar wäre.
Peters: Andere ins Boot zu holen und eben nicht auf Deutschland fokussiert zu sein, darauf zielt das Völkerrecht gerade ab. Das bezieht sich nicht nur auf das Klima, sondern auf zahlreiche aktuelle gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Herausforderungen. Phänomene wie gesundheitsschädliche und prekäre Arbeitsbedingungen, Migrations- und Fluchtbewegungen, Korruption, organisiertes Verbrechen, Ressourcenübernutzung, toxische Abfälle, biologisches Artensterben, Verkehrsüberlastung bis zu digitaler Desinformation, um nur einige Beispiele zu nennen – alle diese haben vielfach grenzüberschreitende Dimensionen. Wir leben in einer globalisierten Wirtschaft mit weltumspannenden Lieferketten, Finanz- und Datenströmen mit sämtlichen Folgeerscheinungen. Deswegen kommen wir ohne internationale Regelungen nicht aus. In einer primär nationalstaatlich organisierten Welt können und sollen die Staaten in allererster Linie innerhalb ihres eigenen Hoheitsbereichs Maßnahmen ergreifen. Sie müssen aber darüber hinaus international kooperieren, da sie viele öffentliche Aufgaben wegen der Abhängigkeit von Faktoren außerhalb des Staates gar nicht im Alleingang erfüllen können.
Lässt sich das lösen?
Ockenfels: Die Frage ist meines Erachtens weniger, ob wir etwas tun sollten – natürlich müssen wir uns gewaltig anstrengen –, sondern wie. Sollen wir unsere Ambitionen ganz auf die deutsche Klimabilanz konzentrieren? Oder dienen wir dem Klimaschutz und den ärmeren Ländern besser, wenn wir mehr darauf achten, dass die Klimaziele gemeinsam mit der Staatengemeinschaft erreicht werden? Letzteres ist möglich, wenn wir stärker auf Innovationen und reziproke Kooperation setzen. Aus der Forschung gibt es dazu viele Impulse. Wir beschäftigen uns beispielsweise mit Förder- und Anreizmechanismen für Innovationen, Blaupausen für internationale CO2-Mindestpreisabkommen, Klimaclubs und Klimazölle.
Peters: Das Bundesverfassungsgericht sagt genau das, was Sie auch sagen, Herr Ockenfels: Nur mit internationaler Kooperation kommen wir weiter. Um jedoch glaubwürdig zu sein, muss man auch im eigenen Haus Ordnung schaffen. Nur dann ist man auch ein vertrauenswürdiger Kooperationspartner. Selbst wenn die CO2-Einsparungen von Deutschland gering sind im Vergleich zu Emissionen sehr großer und wachsender Volkswirtschaften, sind sie doch unverzichtbarer Teil einer Gesamtanstrengung. Nur so setzen wir ein Signal, mit dem wir auch die anderen Länder dazu motivieren, ihre Klimaziele tatsächlich zu verfolgen.
Eine Herausforderung ist die klimabedingte Migration. Die meisten Geflüchteten bei uns haben ihr Heimatland wegen politischer Verfolgung oder wegen eines Krieges verlassen. Die Unbewohnbarkeit von Landstrichen infolge extremer Hitze oder Dürre sind bislang kein anerkannter Fluchtgrund. Sind diese Menschen schutzlos?
Peters: Personen, die sich aufgrund von Klima und Klimafolgen in Bewegung setzen, fallen nicht unter den herkömmlichen Begriff des „Flüchtlings“ im Sinne des Völkerrechts, wie er nach dem II. Weltkrieg definiert wurde. Deswegen ist der Begriff „Klimaflüchtling“ irreführend. Flüchtlinge im Sinne des Genfer Flüchtlingsabkommmens sind solche, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung individuell verfolgt werden. Ein Naturereignis ist keine Verfolgung. Einen ausgeweiteten Flüchtlingsbegriff verwenden lediglich einige regionale Rechtstexte, insbesondere ein afrikanisches Flüchtlingsabkommen. Hiernach gilt als Flüchtling, wer wegen Ereignissen flieht, „welche die öffentliche Ordnung ernsthaft“ stören. Das UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge legt das Abkommmen dynamisch so aus, dass unter Umständen die Flucht wegen klimabedingten Ereignissen eine Flüchtlingseigenschaft im Sinne des regionalen Völkerrechts begründen kann. Es gibt auch andere juristische Ansatzpunkte, um Klimabetroffene zu schützen, etwa die Menschenrechte.
Zum Beispiel?
Peters: Der UN-Menschenrechtsausschuss hat kürzlich festgestellt, dass Australien die Rechte indigener Bewohnerinnen und Bewohner und kleiner und tiefliegender Pazifikinseln, die zum Hoheitsgebiet Australiens gehören, nicht ausreichend gewährleistet hat. Die traditionelle Lebensweise dieser Menschen in kleinen Dörfern mit Subsistenzwirtschaft, Jagd und Fischfang sowie die Pflege ihrer religiöser Stätten sind wegen des steigenden Wasserspiegels und wiederholter Überflutungen konkret bedroht. Australien hatte den Bau von Dämmen verzögert oder aufgegeben. Die Unterlassung von Klimaanpassungsmaßnahmen trotz der vorhersehbaren, unmittelbar drohenden ernsthaften Auswirkungen der Umweltveränderung auf das Wohlergehen der Betroffenen verletzt nach Auffassung des Ausschusses ihr Recht auf Privat- und Familienleben und zusätzlich das Recht auf Genuss der Kultur als indigene Minderheit. Der Menschenrechtsausschuss betonte, dass Australien Abhilfe schaffen muss, wozu auch die finanzielle Entschädigung gehört, und dass der Staat zukünftig Beeinträchtigungen durch aktive Maßnahmen verhindern muss. Ein solcher Bericht ist kein Gerichtsurteil, muss aber von Australien nach Treu und Glauben berücksichtigt werden.
Wo ließe sich noch Abhilfe schaffen?
Peters: Vielleicht passt das flüchtlingsrechtliche Instrumentarium gar nicht so richtig. Man müsste eher, wie es auch jetzt schon die Strategie der Bundesrepublik ist, migrationspolitische und migrationsrechtliche Instrumente nutzen. Die eignen sich besser für solche langsamen und allmählichen Vorgänge wie Meeresspiegelanstieg oder die fortschreitende Versalzung der Böden. Im Migrationsrecht gibt es einige „weiche“ Arrangements, etwa den globalen Migrationspakt. Dieser Pakt wurde von Staats- und Regierungschefs 2018 als feierliches Versprechen auf einer Staatenkonferenz angenommen, er ist aber kein förmlicher Völkerrechtsvertrag wie das Flüchtlingsabkommen. Und es gibt andere Foren, etwa die „Platform on Disaster Displacement“. Das ist übrigens typisch für das Völkerrecht: Wir sehen viele sogenannte weiche Instrumente und auch „weiche“ Organisationen, also Gremien, in denen nicht nur Staaten zusammenarbeiten, sondern alle Stakeholder, also Regierungen, Akteure der Zivilgesellschaft, und auch – ganz wichtig – der private Sektor. In diesen Foren versucht man dann, durch Selbstverpflichtungen, Memoranden und so weiter vorwärtszukommen.
Herr Ockenfels, gibt es ökonomische Ansätze, um diese klimabedingten Fluchtursachen einzudämmen?
Ockenfels: Das Wichtigste ist, den Klimawandel zu begrenzen. Wenn dies nicht ausreichend gelingt, ist es vielleicht zumindest teilweise möglich, Migration nicht nur als Herausforderung, sondern auch als Teil der Lösung zu kommunizieren. Es gibt ja Evidenz, dass ein gewisses Maß an Migration für alle Beteiligten vorteilhaft sein kann: Migrantinnen und Migranten können ihren Wohlstand erhöhen, wovon oft auch die Menschen in den Herkunftsländern etwas haben. Auch das Aufnahmeland kann von den zugewanderten Arbeitskräften profitieren. Eine gut organisierte Migrationspolitik vorausgesetzt, könnte diese Perspektive zu konstruktiven Lösungen beitragen.
Flucht ist aber auch eine Frage der finanziellen Mittel…
Ockenfels: Genau, und das ist meine größte Sorge. Der Klimawandel wird nämlich nicht nur zu mehr Migration führen, sondern auch dazu, dass mehr Menschen durch die Wohlstandsverluste gar nicht mehr die Möglichkeit haben werden, in andere Regionen auszuweichen. Diese Menschen sind ja nicht weniger auf unsere Hilfe angewiesen. Es gibt zwar Pläne, Gelder für die Bewältigung von Klimaschäden in den ärmsten Ländern bereitzustellen, aber ich sehe da noch ein großes Fragezeichen. Nicht, weil es moralisch nicht geboten wäre, sondern weil Zweifel bestehen, ob die reichen Länder tatsächlich dazu bereit sein werden. Die bisherige Bereitschaft, sich an Umverteilungsprogrammen für die ärmsten Regionen der Welt zu beteiligen, ist jedenfalls ernüchternd. Auch hier gilt es, stärker über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen und über effektivere Anreizarchitekturen nachzudenken.
Mehr verhandeln oder mehr tun? Was braucht es jetzt?
Peters: Beides!