Was der Stromzähler über Geburtenraten verrät
Wer mehr Energie verbraucht, lebt länger und bekommt weniger Kinder
Würde eine deutsche Frau ihre tägliche Energiedosis als Nahrung zu sich nehmen, sie würde so viel wiegen wie zwei Elefanten und mit 70 noch Kinder bekommen. Zumindest wenn sie den biologischen Regeln folgt. Denn je mehr Energie ein Lebewesen verbraucht, desto größer ist es, desto länger lebt es und desto später vermehrt es sich. Aber trifft das auch auf den Menschen zu? Schließlich stillt er seinen Energiehunger mittlerweile vor allem an der Steckdose.
Ungefähr 2500 Kalorien benötigt der Mensch am Tag. Tatsächlich aber verbraucht er in Industrienationen im Schnitt 32 000 Kalorien, in reichen Ländern wie Deutschland 110 000, in den USA sogar 220 000 Kalorien. Weil er nur den geringsten Teil davon „isst“, hat das zwar kaum Auswirkungen auf sein Gewicht. Es beeinflusst aber seine demografischen Merkmale wie Lebensdauer oder Geburtenrate, hat Oskar Burger vom Rostocker Max-Planck-Institut für demografische Forschung in einer aktuellen Studie herausgefunden. Und der enorme Energieverbrauch könnte sogar eine Erklärung für die niedrigen Geburtenraten in hoch entwickelten Ländern liefern, schreibt das Team um Burger weiter.
Für fast alle Lebewesen gilt, dass der Energieverbrauch von der Körpergröße abhängt und beides zusammen die demografischen Merkmalen beeinflusst: So verbraucht etwa eine Giraffe, die 13-mal so viel wiegt wie ein Mensch, über 6000 Kalorien am Tag, bekommt 0,6 Junge pro Jahr und wird maximal 36 Jahre alt. Eine kleine Stachelmaus hingegen benötigt für ihre 45 Gramm Körpergewicht lediglich 18 Kalorien pro Tag. Sie lebt höchstens fünf Jahre, bringt dafür aber mehr als acht Nachkommen pro Jahr zur Welt. Diese scheinbar willkürlichen Werte stehen in einer „allometrischen“ Beziehung: Die Giraffe ist 18 000-mal schwerer als die Maus – die Lebenserwartung und die Geburtenrate lassen sich aus diesem Massenunterschied ableiten, aber sie verändern sich in sehr viel kleineren Schritten. Und das gilt nicht nur für Maus und Giraffe, sondern für fast alle Säugetiere von klein bis groß (s. Abb. 1b und 1c).
Der Mensch ist dabei die Ausnahme, welche die Regel bestätigt: Würde ein Deutscher all die Energie, die er täglich verbraucht, in Form von Nahrung zu sich nehmen, müsste er 6435 Kilogramm wiegen (s. Abb 1a). Die menschliche Fähigkeit, auch externe Energie zu nutzen, hat diesen biologisch fundamentalen Zusammenhang zwischen Energieverbrauch und Körpergewicht zwar beseitigt. Doch andere demografische Merkmale reagieren durchaus auf die externe Energiezufuhr, wie Burger in seiner Studie überraschend eindeutig zeigen konnte.
Denn ein Primat, der gut 110 000 Kalorien pro Tag als Nahrung zu sich nehmen würde, müsste nicht nur so viel wiegen wie zwei Elefanten, er würde auch eine maximale Lebenserwartung von 112 Jahren erreichen und im Alter von 27 den ersten Nachwuchs bekommen.
Diese Werte stimmen mit denen eines Durchschnittsdeutschen überraschend genau überein. Auch ein Vergleich zwischen Ländern mit unterschiedlich hohem Energieniveau zeigt: Je mehr Watt verbraucht werden, desto höher ist die Lebenserwartung (s. Abb 1b), desto später werden die ersten Kinder geboren, und desto niedriger sind die Geburtenraten (s. Abb. 1c) sowie die Sterblichkeit von Kindern unter fünf Jahren.
Damit eine Bevölkerung bei den sinkenden Geburtenraten nicht schrumpft, müsste mit dem Energieverbrauch eigentlich auch der Zeitraum, in dem Kindern geboren werden können, größer werden. Das elefantöse Fabelwesen mit dem Energieverbrauch eines Durchschnittsdeutschen etwa würde noch mit über 70 Jahren Nachwuchs bekommen können. Deutsche Frauen hingegen können im Schnitt nur bis zu einem Alter von 42 Jahren Kinder bekommen. In dieser Verkürzung der reproduktiven Phase (vgl. Abb. 1d) sieht Oskar Burger eine mögliche Erklärung für die niedrigen Geburtenraten in vielen Industriestaaten: Denn fast alle Länder, die viel Energie verbrauchen, haben Geburtenraten unter dem Bestandserhaltungsniveau.