Rhesusaffen-Mütter entwickeln zu Söhnen eine schwächere Bindung als zu Töchtern
Ihren Söhnen gegenüber verhalten sich die Weibchen in deren erstem Lebensjahr aggressiver
Primaten und viele andere Säugetiere bauen enge soziale Bindungen zu verwandten Artgenossen auf; besonders eng ist die Mutter-Kind-Beziehung. Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Leipzig untersuchten auf Cayo Santiago, einer Insel nahe Puerto Rico, ob Rhesusaffen-Mütter ihren männlichen und weiblichen Nachwuchs gleich oder unterschiedlich behandeln, wenn es um den Aufbau dieser Bindungen geht. Das Ergebnis überraschte: Söhnen schenkten die Mütter während des ersten Lebensjahrs zwar genau so viel Zuwendung wie Töchtern, verhielten sich ihnen aber gegenüber aggressiver. Dies führt offenbar dazu, dass Rhesusaffen-Söhne eine weniger starke Bindung zu ihren Müttern aufbauten als Töchter. Söhne, die weniger Zeit mit ihren Müttern verbracht hatten und aggressiver behandelt worden waren, tendierten außerdem dazu, ihre Geburtsgruppe früher zu verlassen.
Viele Säugetierarten leben in sozialen Gruppen und entwickeln starke Bindungen zu einigen Artgenossen, ganz besonders zu ihren Verwandten mütterlicherseits. Dass diese Bindungen je nach Geschlecht unterschiedlich stark sind, wird der Tatsache zugeschrieben, dass bei vielen Tierarten entweder die Männchen oder die Weibchen bei Erreichen der Geschlechtsreife die Geburtsgruppe verlassen. Sie schließen sich dann einer neuen Gruppe und bauen neue Beziehungen auf. „Bei den Rhesusaffen verlassen Männchen ihre Geburtsgruppe, wenn sie im Alter von etwa vier Jahren geschlechtsreif werden“, sagt Anja Widdig. „Weibliche Tiere verbleiben in der Gruppe und sind auf starke Bindungen zu anderen Gruppenmitgliedern, insbesondere ihrer mütterlichen Verwandtschaft, angewiesen.“
Ob Söhne und Töchter aber in Abhängigkeit vom Verhalten der Affenmütter bereits vor Erreichen der Geschlechtsreife unterschiedlich starke Mutter-Kind-Bindungen aufbauen, untersuchte jetzt ein Forscherteam des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie und der Universität Leipzig auf der unbewohnten Insel Cayo Santiago. Die Forscher untersuchten das Verhalten von Müttern ihren Söhnen und Töchtern gegenüber, von deren Geburt bis zum Eintritt der Geschlechtsreife. Sie zeichneten auf, wann Mütter ihren Nachwuchs säugten oder das Fell pflegten und wann sie sich ihm gegenüber aggressiv verhielten.
„Unsere Ergebnisse zeigten, dass Affenmütter sich ihrem Nachwuchs gegenüber recht unterschiedlich verhalten“, sagt Lars Kulik. „Söhnen brachten sie im ersten Lebensjahr entschieden mehr Aggression entgegen als Töchtern. Mütterliche Zuwendung erhielten jedoch beide Geschlechter gleichermaßen.“ Nach dem ersten Lebensjahr wendet sich das Blatt ein wenig: Mütter verhalten sich Töchtern gegenüber aggressiver als Söhnen, möglicherweise weil sie sich prioritär um das nächste Neugeborene kümmern müssen. Generell nimmt die mütterliche Aggression ab, wenn die Nachkommen älter werden.
Weiterhin ergab die Studie, dass „Söhne, die weniger Zeit mit ihrer Mutter verbringen und von dieser besonders aggressiv behandelt werden, die Geburtsgruppe häufig auch früher verlassen“, so Kulik. Da Töchter im ersten Lebensjahr, welches für die Entwicklung des Sozialverhaltens der Tiere besonders wichtig ist, nur wenig mütterliche Aggression und relativ viel Nähe zur Mutter erfahren haben, ist deren Bindung sowie das weibliche Sozialgefüge gefestigt und hilft den Töchtern dabei, ihren Platz in der Geburtsgruppe zu finden. „Die Ergebnisse unserer Studie zeigen, dass Mütter die Stärke der Mutter-Kind-Bindung beeinflussen, indem sie sich Söhnen gegenüber aggressiver zeigen als Töchtern.“
SJ, AW, LK/HR