Störche folgen Störchen
Insbesondere Jungtiere ziehen am liebsten mit ihren Artgenossen
Mit seinen langen Beinen und großen Flügeln ist der Weißstorch ein prominenter Star des Tierzuges. Ob während des Herbstzuges von Europa nach Afrika oder im Frühjahr auf dem Rückweg, die Vögel sind meist in großen, unübersehbaren Schwärmen zu sehen, die den Wechsel der Jahreszeiten ankündigen. Eine Studie des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie hat nun eine Erklärung für die Entstehung dieses kollektiven Phänomens: Die Störche entscheiden sich dafür, gemeinsam zu fliegen. Anhand von Daten der jährlich wiederholten Wanderungen von 158 Störchen liefert die Studie den ersten Beweis für die soziale Präferenz von Störchen während der Migration. In einer Studie zeigen die Forschenden, dass Störche aktiv Routen wählten, die von anderen Störchen stark benutzt wurden. Dabei richteten Jungstörche ihre Routen stärker auf soziale "Hotspots" aus als erwachsenen Vögel.
Dass Störche in Schwärmen fliegen, lässt sich während ihres Zuges jeden Frühjahr und Herbst am Himmel beobachten. Unbekannt war aber bislang, ob die Vögel ihre Routen danach auswählen, dass sie zusammen mit anderen fliegen können. Ihre Routen könnten auch rein zufällig zusammenfallen, weil sie beispielsweisen guten Windbedingungen folgen oder dasselbe Ziel anpeilen.
"Tatsächlich scheinen sich Störche aktiv dafür zu entscheiden, mit anderen zu fliegen", sagt Hester Brønnvik, Doktorandin am Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie und Erstautorin der Studie. "Aber mit zunehmender Flugerfahrung werden sie unabhängiger voneinander und können soziale Einflüsse ignorieren."
Untersuchung der Routenwahl
Das Team griff auf einen Datensatz zurück mit den GPS-Positionen von 158 Störchen aus Süddeutschland zu jeder Stunde ihres Lebens über einen Zeitraum von zehn Jahren. "Wir konnten die kompletten Wanderungen verfolgen, die diese Störche jedes Jahr während ihres gesamten Lebens unternommen haben, von einem drei Monate alten Jungtier auf seiner ersten Wanderung bis zu einem sehr erfahrenen Neunjährigen, der einen seiner letzten Flüge unternahm", sagt Brønnvik.
Als Nächstes rekonstruierten die Forschenden das soziale Umfeld zusammen, in dem diese Vögel gezogen waren. Anhand von Daten von 400 Störchen konnten die Forschenden schätzen, wo und wann sich Storchschwärme in der Landschaft aufhielten. "Dies sagt uns zwar nicht mit Gewissheit, ob die Störche mit anderen zusammen geflogen sind", erklärt Brønnvik. "Aber es gibt uns die Wahrscheinlichkeit dafür, dasss ein Vogel auf einer Route eines Storches auf Artgenossen trifft.“ Ein statistisches Modell verglich dann die tatsächlich gewählten Flugrouten mit solchen, die die Tiere nicht nutzten, die aber ebenfalls möglich gewesen wären.
Gemeinsame Routen
Die Analyse ergab, dass Störche unabhängig von ihrem Alter Flugrouten mit anderen Störchen wählen. Die Bedeutung dieses Auswahlkriteriums nimmt jedoch ab, je älter die Vögel sind und je mehr Migrationserfahrung sie gesammelt haben. Mit anderen Worten: Die Vögel sind dann bereit, Routen mit weniger Störchen zu wählen, wenn sie darauf gute Flugbedingungen vorfinden.
Dieser Strategiewechsel könnte damit zusammenhängen, dass sich Jungvögel auf Informationen verlassen müssen, die sie von ihren Artgenossen erhalten, da sie noch nicht ausreichend aus früheren Flügen gelernt haben. "Störche müssen zum Beispiel Thermiken und Nahrung während ihrer Zwischenhalte entdecken", sagt die Gruppenleiterin Andrea Flack, die die Gruppe Kollektive Migration am Max-Planck-Institut leitet. "Wenn man anderen folgt, kann man diese wichtigen Ressourcen schneller finden.“ Mit zunehmender Erfahrung können sich die Vögel jedoch von diesen sozialen Informationen lösen und unabhängig vom Schwarm werden. "Dies könnte ihnen helfen, ihre Wanderungen so zu gestalten, dass sie ihre eigenen Fortpflanzungsziele erreichen", sagt Flack.
Das Neue an der Studie ist, dass die Entscheidungsfindung eines Langstreckenziehers in einem so großen Maßstab erfasst wurde. "Letztlich wollen wir wissen, wie die Entscheidungen der ziehenden Störche von Artgenossen in ihrem Umfeld beeinflusst werden. Unsere Studie gibt einen ersten Hinweis darauf, wie wichtig das Kollektiv für diese Entscheidungen ist", sagt Flack.