Paläoproteomik hilft bei der Unterscheidung zwischen modernem Mensch und Neandertaler

Forscher entschlüsseln uralte Proteine von Neandertalern aus dem Châtelperronien

16. September 2016

Für die Beantwortung der Frage, was für Fähigkeiten die Neandertaler besaßen und warum sie ausgestorben sind, nimmt die archäologische Kultur des Châtelperronien eine Schlüsselstellung ein. Trotz intensiver Forschung blieb jedoch unklar, wer die Châtelperronien-Kultur geschaffen hatte: der moderne Mensch oder der Neandertaler. Bislang gab es keine direkten molekularen Daten für Neandertaler im Zusammenhang mit dem Châtelperronien. Um dieses Problem zu lösen, hat sich ein internationales Forscherteam jetzt aktuelle Entwicklungen auf dem Gebiet der Proteinanalyse zunutze gemacht und in Kombination mit zahlreichen weiteren Belegen zeigen können, dass während des Châtelperronien Neandertaler die Grotte du Renne, eine archäologische Stätte im nördlichen Zentralfrankreich, bewohnten.

Die Forscher bestimmten mit Hilfe des „Peptide Mass Fingerprinting“, einer Methode zur Analyse der für ein bestimmtes Protein typischen Masse, ob eine Probe menschliche Überreste enthielt. So konnten sie 28 zusätzliche Proben aus einer dem Châtelperronien zugeordneten Sedimentschicht als menschlich identifizieren, was zuvor anhand der Knochenfragmente nicht möglich gewesen war. Durch die Kombination von Methoden aus der Paläoproteomik und der Paläogenetik konnten sie schließlich feststellen, dass die Knochenfragmente von einem einzelnen noch nicht abgestillten Neandertalersäugling stammten. Die 14C-Daten des Babys bestätigen die Zuordnung zum Châtelperronien.

Die aktuelle Studie belegt nun erstmals, dass es allein mit Hilfe der Paläoproteomik – also anhand der Bestimmung von Protein-Aminosäure-Sequenzen – möglich ist, zwischen verschiedenen jungsteinzeitlichen Gruppen innerhalb unserer Gattung zu unterscheiden. „Die Unterscheidung zwischen modernen Menschen, Neandertalern und Denisova-Menschen anhand uralter Proteine eröffnet uns neue spannende Möglichkeiten bei der zukünftigen Erforschung der Herkunft und evolutionären Geschichte dieser Arten“, sagt Erstautor Frido Welker vom Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie und der Universität York. „Die in den jungsteinzeitlichen Knochen enthaltenen alten menschlichen Proteine bergen wertvolle Informationen zur Stammesgeschichte und den Lebensvorgängen dieser Menschen.“

Knochen stammen von Neandertaler-Säugling

So konnten die Forscher beispielsweise unabhängige morphologische, isotopische und proteomische Belege dafür liefern, dass die analysierten Knochenproben von einem noch nicht abgestillten Säugling stammen. “Solche Proteine zu identifizieren, die mit bestimmten Entwicklungsstadien des Knochenaufbaus zusammenhängen, ist eine besondere Stärke der Proteinforschung, vor allem in einem multidisziplinären Kontext“, sagt Matthew Collins von der Universität York. Doktorand Frido Welker ergänzt: „Die dynamische Natur des Knochenproteoms hat für die Erforschung der Lebensvorgänge und Individualentwicklung jungsteinzeitlicher Säugetiere, einschließlich der Homininen, eine Menge zu bieten."

Anhand der 14C-Daten konnten die Forscher belegen, dass die Urmenschen-Proben zeitlich zu den fortschrittlichen Artefakten des Châtelperroniens passen, die Archäologen in der Grotte du Renne und anderen archäologischen Stätten ausgegraben hatten. Dies bestätigt, dass Neandertaler für die Herstellung einiger Artefakt-Typen verantwortlich waren, von denen Wissenschaftler zuvor angenommen hatten, dass ihre Fertigung ausschließlich im Bereich der kognitiven Fähigkeiten moderner Menschen lag.

„Über den Prozess, im Laufe dessen in Eurasien archaische Population von modernen Menschen ersetzt wurden, ist nur wenig bekannt, denn von vielen steinzeitlichen Werkzeugen dieser Periode wissen wir nicht, wer sie geschaffen hat“, erläutert Jean-Jacques Hublin, Direktor der Abteilung für Humanevolution am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie. „Diese Forschung wird es uns ermöglichen, in größeren archäologischen Funden menschliche Knochenfragmente aufzuspüren, die bisher als solche nicht erkennbar waren. So können wir die Art und Weise sowie den zeitlichen Ablauf dieses großen Ereignisses in der menschlichen Evolution mit ‚frischem‘ Probenmaterial neu betrachten.“

SJ/HR

 

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