Ein Komet wird zum Rosetta-Stein
Die erfolgreiche Mission der europäischen Raumsonde endet auf der Oberfläche von 67P/Churyumov-Gerasimenko
Es ist das Ende einer langen Reise: Am 2. März 2004 gestartet, schwenkte die Raumsonde Rosetta im August 2014 in eine Umlaufbahn um den Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko ein und setzte im November desselben Jahres das Landefahrzeug Philae auf dessen Oberfläche ab. Jetzt ist die Muttersonde selbst auf dem Kern des Kometen niedergegangen – und die Mission damit beendet. Doch die Wissenschaftler werden noch lange an den gesammelten Bildern und Messdaten arbeiten. Schon jetzt versprechen die ersten Ergebnisse einen gewaltigen Erkenntniszuwachs.
Text: Helmut Hornung
Als sich Rosetta vor mehr als zwei Jahren dem Kern des Kometen 67P/Churyumov-Gerasimenko näherte, erschien auf den übermittelten Aufnahmen eine seltsame Gestalt. Nicht die erwartete, wenige Kilometer große „Weltraumkartoffel“ trat zu Tage, sondern immer deutlicher zeichnete sich ein hantelförmiger Doppelkörper ab, der die Forscher an ein Badeentchen erinnerte. Dessen Oberfläche entpuppte sich als keineswegs glatt strukturiert, sondern von etlichen Terrassen überzogen. Diese reichen offenbar mehrere hundert Meter tief und weisen eine Zweibelschalenstruktur auf.
Während die Wissenschaftler noch über ihren Ursprung rätseln, haben sie einige Ideen, wie das kosmische Entchen entstanden sein könnte. Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten: Der Kern wurde als Ganzes aus einem Ursprungskörper „herausgemeißelt“, oder er besteht aus zwei Einzelkörpern, welche die Schwerkraft aneinander kettet. Die meisten Forscher tendieren zur letztgenannten Möglichkeit – zumal die Hantelenden unterschiedliche Zusammensetzungen haben und die beiden Teilkörper einen Dichteunterschied von ungefähr zehn Prozent aufweisen. Das spricht eher dafür, dass sich die beiden Körper erst nach ihrer Entstehung fanden.
Der Kern misst etwa 4 x 3,5 x 3,5 Kilometer und dreht sich in 12 Stunden und 24 Minuten einmal um seine Achse. Auf ihm hat Rosetta im Wesentlichen Wasser (selbstverständlich in Form von Eis) sowie Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und – erstaunlicherweise als vierthäufigste Substanz – Sauerstoff gefunden. Außerdem registrierte die Raumsonde Äthan, Methan, Stickstoff und Argon. Aus der chemischen Analyse des Kernmaterials schließen die Forscher auf eine Entstehungstemperatur von minus 250 Grad.
Aufgrund dieser extrem niedrigen Temperatur muss der Komet weit entfernt von der Sonne geboren worden sein, was sich gut mit den herkömmlichen Ansichten vom Ursprung der komischen Vagabunden verträgt. Diese sind demnach am Rand einer protoplanetaren Scheibe entstanden, die vor knapp 4,6 Milliarden Jahren um die junge Sonne kreiste und aus der das Planetensystem hervorging. Die in dieser Urwolke vorhandenen Staub- und Gasteilchen klebten aneinander und bildeten zunehmend größere Brösel. Sie wuchsen einer Theorie zufolge in den kalten Außenbereichen der Wolke innerhalb von einigen Millionen Jahren zu Kometenkernen heran.
In einem anderen Szenario zeugen die Kometenkerne von Kollisionen zwischen größeren Brocken, die sich nach dem eben geschilderten Prozess bereits gebildet hatten. Bei diesen „Unfällen“ entstanden jede Menge wenige Kilometer große Trümmer. Viele davon waren weiterhin als „Geisterfahrer“ unterwegs und stießen ihrerseits zusammen. Dabei, so zeigen Computersimulationen, konnten sie bei der passenden Aufprallgeschwindigkeit aneinander haften bleiben – und den bei 67P/Churyumov-Gerasimenko aber auch einigen Asteroiden beobachteten Doppelkörper formen.
Ein Ziel von Rosetta war es, den Kometen bei seiner stetigen Annäherung an die Sonne zu verfolgen und die dadurch ausgelösten Aktivitäten auf dem Kern zu beobachten. Denn wenn sich ein Komet unserem Tagesgestirn nähert, dann erwärmen die Sonnenstrahlen die Oberfläche. Der Kern „taut auf“ im wörtlichen Sinn, wobei die leicht flüchtigen Substanzen nicht vom festen in den flüssigen, sondern sofort in den gasförmigen Zustand übergehen. Dieser Prozess heißt Sublimation.
Das ausströmende Gas reißt Staubpartikel mit sich. Das Material hüllt schließlich den Kern ein und bildet dabei die sogenannte Koma. Bei noch stärkerer Annäherung an die Sonne ionisiert die ultraviolette Strahlung das Gas in der Koma, und der Sonnenwind reißt es mit sich fort – ein meist recht geradlinig verlaufender Gasschweif entsteht. Zusätzlich wirkt der Druck der Sonnenlichtteilchen (Photonen) auf den Staub und formt den in der Regel fächerförmigen Staubschweif.
Die beschriebenen und von Rosetta beobachteten Aktivitäten spielen sich jeweils nur auf gut fünf Prozent der gesamten Oberfläche von 67P/Churyumov-Gerasimenko ab. Dort schießen Fontänen aus Gas- und Staub heraus, die vor allem Wasserdampf aus dem Innern des Kerns ins All blasen. Manche dieser Fontänen „feuerten“ nur wenige Minuten und waren danach wieder verschwunden.
Apropos Wasser: Vor Milliarden von Jahren sollen viele Kometen auf die noch junge Erde abgestürzt sein und einen Gutteil des Wassers in die Meere gebracht haben. Doch wie hoch ist dieser Anteil? Um darüber Aufschluss zu erhalten, vergleichen Forscher das Verhältnis von schwerem zu normalem Wasserstoff in irdischen Ozeanen und in Kometen. Sind Kometen die Hauptlieferanten des Wassers, dann sollte dieses Verhältnis einigermaßen identisch sein. Rosetta jedoch maß bei 67P/Churyumov-Gerasimenko eine deutliche Abweichung um den Faktor drei.
Wie oben erwähnt, ist Wassereis ein Hauptbestandteil von Kometen. Dennoch blicken wir auf den Bildern der Oberfläche nicht auf blankes Eis. Vielmehr bedeckt eine dunkle Staubschicht den Kern. Sie ist an manchen Stellen ungefähr 10 bis 20 Zentimeter dick, könnte nach Schätzungen der Forscher hie und da jedoch sogar mehrere Meter mächtig sein.
Spektrometer an Bord von Rosetta und dem Lander Philae fanden in der Staubschicht neben diversen Kohlenwasserstoffen auch mehrere Dutzend unterschiedliche organische Moleküle, unter anderem Glycin. Bereits im Jahr 2004 hatte die Raumsonde Stardust diese Aminosäure im Staub des Kometen Wild 2 nachgewiesen. Das ist eigentlich nicht überraschend, denn die Astronomen kennen – vor allem innerhalb interstellarer Wolken – im All bisher mehr als 150 Moleküle, darunter viele organische Verbindungen. Haben Kometen einst die Lebenskeime auf die Erde gebracht? Diese Frage bleibt auch nach Rosetta weiterhin offen.
Der Mond besitzt lediglich den Hauch einer Atmosphäre und ist von Kratern gezeichnet, die abstürzende Gesteinstrümmer geschlagen haben. Ähnlich sehen die Oberflächen von Asteroiden aus. So könnte man vermuten, dass auch Kometenkerne mit Kratern überzogen sind. Rosetta enthüllte Strukturen, die auf den ersten Blick tatsächlich Kratern ähneln, die sich aber bei näherer Betrachtung als etwas anderes entpuppen: fast kreisförmige Gruben oder Schlote mit Durchmessern von mehreren hundert Metern.
Im Gegensatz zu Kratern, die von außen geformt werden, scheinen die Gruben aus dem Innern des Kerns heraus zu entstehen. Und sie haben offenbar mit der erwähnten Aktivität des Kometen bei Sonnenannäherung zu tun, denn aus manchen strömen Gas und Staub. Die Erklärung: Wenn sich der Kern erwärmt, sublimieren unter der Oberfläche etwa Kohlenmonoxid und Kohlendioxid. Dadurch geht Material verloren und es bilden sich Hohlräume. Im Lauf der Zeit wird der Kern von Innen gleichsam „ausgehöhlt“. Schließlich gibt das darüber liegende Material nach, der Boden bricht ein, Gruben und Schlote entstehen.
Diesem Szenario zufolge sollte der Kern eines Kometen von vielen Hohlräumen durchsetzt und ähnlich porös sein wie ein Schwamm. Rosetta hat das bestätigt, rund vier Fünftel des Kernvolumens bestehen offenbar aus solchen Hohlräumen. Die Forscher diskutieren die Frage, ob Hohlräume nicht schon bei der Geburt des Kometen in den Kern „eingebacken“ wurden – beispielsweise durch das Zusammenklumpen von vielen kleinen Körpern mit Größen von einigen Dutzend Metern – und sich während der Aktivitätsphasen erweitert haben.
Im August 2015 hatte 67P/Churyumov-Gerasimenko seinen geringsten Sonnenabstand erreicht, Rosettas Umlaufbahn musste wegen der zunehmenden Aktivitäten des Kometen auf mehr als 400 Kilometer Höhe angehoben werden. In den folgenden Monaten wurde sie dann wieder abgesenkt und betrug im Sommer 2016 weniger als zehn Kilometer. Prompt entdeckte das Auge der Bordkamera Osiris am 2. September aus einer Entfernung von nur 2,7 Kilometer den Lander Philae im Schatten eines Felsvorsprungs.
Das Vehikel hatte nach der verunglückten Landung am 12. November 2014 – der Verankerungsmechanismus hatte versagt – noch für etwa 56 Stunden Kontakt zur Bodenstation und schaltete sich dann ab. Im Juni 2015 sendete Philae dann einige Datenpakete von Messungen und verstummte schließlich endgültig.
Dieses Schicksal ereilt auch die Muttersonde: Am 30. September soll Rosetta in der Region Ma`at niedergehen und bis kurz vor dem Aufsetzen hoffentlich noch jede Menge Bilder und Daten funken. Von einer kontrollierten Landung kann allerdings nicht die Rede sein, die Sonde ist dafür nicht gebaut worden. So wird Rosetta als ein Stück Schrott auf der Oberfläche des Kometen ihre Kreise im Sonnensystem ziehen. Und die Forscher auf der Erde werden noch ein paar Jahre mit der Auswertung der wertvollen Daten beschäftigt sein.