Die Psychologie des Gebens
Warum wir teilen, auch wenn das keinen direkten Nutzen für uns hat
Weihnachtszeit ist Spendenzeit. Umfragen zufolge geben die Deutschen in keinem anderen Monat so viel von ihrem Vermögen ab wie im Dezember. Viele besinnen sich während dieser Zeit auf die christliche Tugend, für ihre Nächsten – insbesondere für Arme und Notleidende – zu sorgen. Hilfsorganisationen nutzen diese saisonale Großzügigkeit und bitten mit gezielten Kampagnen um finanzielle Unterstützung. Aber was bewegt Menschen dazu, Unbekannten etwas von ihrem Eigentum abzugeben? Und unter welchen Bedingungen? Sozialwissenschaftler und Psychologen haben in den letzten Jahren einige aufschlussreiche Antworten auf diese Fragen gefunden.
Das Teilen ohne Gegenleistung widerspricht eigentlich dem verbreiteten wirtschaftswissenschaftlichen Modell des Homo oeconomicus, wonach jeder seine Entscheidungen danach ausrichtet, dass sie ihm maximal nützen. Dementsprechend würde kein Mensch Geld ohne Gegenleistung verschenken – vor allem nicht an Fremde. Untersuchungen zeigen jedoch, dass Menschen durchaus bereit sind, freiwillig etwas von ihrem Hab und Gut abzugeben.
Eine Möglichkeit, die Psychologie des Gebens zu ergründen, sind spieltheoretische Experimente. Insbesondere ein Spiel hat sich dabei wegen seiner Einfachheit bewährt: das sogenannte Dictator Game. Bei einer Partie sind jeweils zwei Spieler beteiligt; üblicherweise kennen sie sich nicht. Einer davon bekommt die Rolle des „Diktators“, also des Gebers, zugeteilt. Er erhält einen bestimmten Geldbetrag, zum Beispiel 10 Euro, und kann dann frei entscheiden, ob er diesen behält oder einen beliebigen Anteil an seinen „Mitspieler“ abgibt. Der Diktator hat also eine Machtposition inne, und der andere ist ihm gewissermaßen ausgeliefert – daher der Name des Spiels.
Wäre der Mensch ein reiner Nutzenmaximierer, überließe im beschriebenen Spiel der Diktator dem anderen nichts. Er würde nach Gewinnoptimierung streben, und dabei wäre es nicht dienlich, einem Unbekannten etwas abzugeben. Allerdings haben Dictator-Game-Studien immer wieder gezeigt, dass die Mehrzahl der Teilnehmer sich entscheidet, zumindest einen Teil ihres Geldes zu verschenken. Anhand dieser Resultate folgern die Wissenschaftler, dass wir uns offenbar zu einem gewissen Grad um das Wohlergehen anderer Personen sorgen – auch um das von Fremden.
Zwei Drittel sind großzügig
Christoph Engel, Direktor am Max-Planck-Institut zur Erforschung von Gemeinschaftsgütern in Bonn, befasst sich seit längerem mit der Frage, unter welchen Bedingungen Menschen zum Teilen bereit sind. Um die Einflussfaktoren genauer herauszuarbeiten, untersuchte er in einer Meta-Studie insgesamt 129 Dictator-Game-Experimente aus den Jahren 1992 bis 2010. Aus der Gesamtheit der Publikationen zeigte sich, dass die Diktatoren durchschnittlich fast 30 Prozent des Geldbetrags einem Mitspieler überlassen. Im Schnitt geben knapp zwei Drittel der Diktatoren etwas ab, einer von Zwanzig schenkt sogar die gesamte Summe her.
Die Höhe des gegebenen Geldbetrags wird durch viele Faktoren beeinflusst, etwa Herkunftsland, Alter oder Geschlecht. So treten Frauen im Durchschnitt signifikant mehr ab als Männer, sie bekommen jedoch auch als Empfängerinnen mehr. Auch das Alter spielt eine wichtige Rolle: Während Kinder selten mehr als die Hälfte abgeben, steigt mit dem Alter die Großzügigkeit; die meisten Teilnehmer mittleren Alters teilen gleichmäßig halbe-halbe, während im höheren Alter der Trend dazu geht, den gesamten Betrag dem anderen zu überlassen.
Stehen die Diktatoren unter sozialer Kontrolle, etwa indem sie sich vor dem Empfänger oder gar einer Gruppe outen müssen, dann geben nur noch wenige gar nichts ab. Interessanterweise sinkt in diesem Fall auch die Wahrscheinlichkeit dafür, dass ein Diktator seinen gesamten Betrag verschenkt. Fast 40 Prozent geben nun die Hälfte ab. Einen sozialen Kontrolleffekt, der nur durch die Beobachtung des Experimentators entsteht, konnte Engel nicht finden.
Bedürftigen wird gegeben
Ein starker Anreiz zum Teilen entsteht, wenn der abgegebene Betrag vervielfacht wird. Bekommt der Empfänger zum Beispiel für einen gespendeten Euro das Dreifache, dann geben die Diktatoren im Schnitt mehr ab. Umgekehrt tendieren die Diktatoren dazu, mehr zu behalten, wenn die gespendete Summe verringert wird, wenn also von einem Euro beispielsweise nur 30 Cent beim Empfänger ankommen. Die Großzügigkeit sinkt ebenfalls, wenn sich die Diktatoren das Geld erst verdienen müssen und wenn der Empfänger im Vorfeld schon Geld bekommen hat. Je „reicher“ die Empfänger, desto weniger geben die Diktatoren ab. Insgesamt spielt Bedürftigkeit eine Rolle: Wenn die Diktatoren glauben, dass der Empfänger Unterstützung nötig hat, oder wenn der Empfänger eine Hilfsorganisation ist, steigert das die gegebenen Geldmengen deutlich. Etwa jeder fünfte Diktator gibt dann sogar die gesamte Summe ab.
Welche Rolle Hilfsorganisationen im Sinne der Spender einnehmen können, hat Christoph Engel gemeinsam mit zwei niederländischen Kolleginnen, Renate Buijze und Sigrid Hemels, in einer separaten Studie untersucht. Dabei stellte das Team zwei Unsicherheitsfaktoren in den Mittelpunkt, die Menschen davon abhalten können, Geld zu geben: zum einen das Risiko, dass die Spende ihr Ziel verfehlt, also beispielsweise in den Taschen korrupter Bandenchefs landet, statt den Opfern einer Naturkatastrophe zu nützen; zum zweiten die Möglichkeit, dass sich die Spende als kostspieliger herausstellt, als gedacht, weil von der Steuer kein Geld zurückerstattet wird.
Hilfsorganisationen als Versicherung
Vor diesem Hintergrund interpretierten Engel und seine Kolleginnen die Rolle von Hilfsorganisationen als eine Art Versicherung, die gewährleistet, dass die Spende bei den Bedürftigen ankommt, und die zudem die steuerliche Absetzbarkeit garantiert. In einer Serie von Diktator-Spielen testeten die Forscher, ob die Teilnehmer weniger geben, wenn das Risiko besteht, dass ihr Geld das angestrebte Ziel verfehlt und sie die Spende nicht von der Steuer absetzen können. Und sie untersuchten, ob die Probanden bereit sind, für eine Versicherung gegen diese Risiken zu zahlen.
Tatsächlich reduziert schon eine 20-prozentige Gefahr, dass Gelder fehlgeleitet werden, deutlich die Spendenbereitschaft. Entsprechend wirkt sich die Möglichkeit, sich gegen den Missbrauch von Spenden zu versichern, positiv auf die Großzügigkeit der Spender aus. Die Teilnehmer waren in hohem Maße bereit, für eine derartige Versicherung zu zahlen; ebenso für eine Absicherung, dass sie Spendengelder steuerlich geltend machen können. Das Risiko, kein Geld von der Steuer zurückzubekommen, spielt allerdings keine Rolle für die Bereitschaft zu geben.
Wenn Hilfsorganisationen also in der Weihnachtszeit und darüber hinaus erfolgreich Spenden sammeln wollen, sollten sie vor allem sicherstellen, dass die Gelder ihr Ziel erreichen.
JD/MEZ